Zwei Leben
#38
An jenem Morgen kam ihr das Haus so schmutzig vor und sie sah in jeder Ecke Dreck und Chaos. Nach einem kräftigen Frühstück bewaffnete sie sich mit Putzlappen, Wassereimer, Seife und Besen und begann zunächst die Schlafkammer auszufegen, dann feucht zu wischen, schließlich die Wohnküche. Brynja wedelte quietschend mit einem Staubbesen herum und wirbelte wohl mehr Dreck auf als das sie wirklich zum plötzlichen Reinigungswahn der Mutter beigetragen hätte und Lionel räumte murrend seine Sachen und die der Schwester auf und aus; die beiden hatten, nach Cahiras Meinung, Kram für fünf Kinder und könnten bei der Kleidersammlung am Ende des Wochenlaufs gut und gerne etwas beitragen.

Nach dem Mittagessen fiel die Tochter in einen tiefen Schlaf und der Sohn verflüchtigte sich nach draußen, um die Hühner zu füttern und dem Auftrag, Feuerholz mitzubringen. Cahira ahnte, dass er sich extra lange Zeit lassen würde, aber es störte sie auch nicht sonderlich. Auf den Knien bearbeitete sie einen besonders hartnäckigen Fleck im Holz direkt vor der Küchenanrichte.

“Frühjahrsputz zum kommenden Winter, Liebes?”

Für einen Moment versteiften sich ihre Schultern und sie biss sich auf die Unterlippe. Nein, diesmal würde sie der Versuchung nicht nachgeben und mit ihm sprechen. Stattdessen tauchte sie den Putzlappen energisch in den Wassereimer.

“Unser Haus war dann immer am saubersten, wenn wir uns gestritten haben, Eris und ich. Du kannst Dich an meine Eris erinnern?”

Natürlich wusste sie genau, wer Eris war. Aidan hatte von seiner verstorbenen Frau immer mit solcher Wehmut gesprochen - seine hellen Augen wurden dann stets Dunkel wie das Meer nach einem Sturm - dass sie das Gefühl hatte, sie hätte Eris persönlich gekannt.

“Wir haben uns nicht gestritten!”, platzte sie dann doch heraus und stöhnte resigniert auf. So schnell hatte sie eigentlich nicht aufgeben wollen. Aber nun war es schon mal geschehen ...

“Ach, Du sprichst also doch mit mir, wie schön!”, gurrte die bekannte Stimme mit mildem Spott.

“Wir haben nur … geredet. Einige Dinge ... mussten angesprochen werden. Es war gut, dass sie auf den Tisch gekommen sind … das Gespräch war …”, gestikulierte Cahira etwas hilflos umher und verstieß nun vollends gegen ihr vorheriges Schweigegelübde.

“ … reinigend?”, lachte Aidan.

Sie widerstand dem Drang, ihm entweder die Zunge rauszustrecken oder den Putzlappen ins Gesicht zu klatschen und erklärte mit mehr Nachdruck in der Stimme: “Das Gespräch war nötig. Du hast es doch selber gesagt. Und nun … können wir nach vorne sehen, weitermachen, die Dinge anpacke. Und nichts hat sich zwischen uns geändert!” In ihren Ohren klangen die Worte wahr, machten Sinn und sie straffte ihre Haltung, während die Finger sich um den nassen Lappen klammerten.

“Liebes. Wenn doch alles so schön und gut ist, warum hockst Du dann hier und schrubbst Dir die Hände blutig?” Aidan klang ehrlich besorgt, der Tonfall so sanft und weich wie Samt.

Cahira sah blinzelnd auf ihre Hände hinab. Die Feldarbeit hatte eindeutige Spuren hinterlassen; die Handflächen waren rauh, die Finger voller Schwielen. Natürlich hätte sie Handschuhe tragen können aber durch Leder oder Stoff fühlte sie sich in ihrer Arbeit eher behindert. Seifenlauge und heißes Putzwasser hatten ihren ohnehin zerschundenen Händen nicht gerade gut getan und in der Tat waren einige Schrunden aufgeplatzt, die Knöchel blutig geädert.

“Ich kann Dir sagen, warum. Ich kann Dir sagen, was gestern passiert ist.”

“Bitte nicht …”, wehrte sie nur schwächlich ab; sie wusste ja ohnehin, was nun kommen würde und sie wollte es nicht hören.

“Die zwei Männer, die Deinem Herzen so nah stehen wie sonst nur wenig andere, sind gestern Abend rüstungsstarrend mit ihren grellen Wappenröcken in Dein erschaffenes Heiligtum eingedrungen. Sie haben Dich zu etwas überredet, dessen Notwendigkeit Du zwar erkennst, Dich im Grunde genommen aber vollkommen anwidert. Dann wurden Geheimnisse, die Du so lange ängstlich behütet hast und von denen Du Dir selber nicht schlüssig warst, mit wem und wann und wie Du sie teilen sollst, gnadenlos hervor gezerrt. Und zwar nicht sanft und behutsam, wie Du es Dir vielleicht gewünscht hättest, sondern mit der sprichwörtlichen Axt im Walde und schließlich ….”

“... hör’ auf, ich bitte Dich …”, murmelte sie kopfschüttelnd.

“... hast Du erkennen müssen, dass Dein Refugium, Dein kleiner heiler Hof nichts ist im Vergleich zu den Opfern Deines Ehemannes. Und selbst dieses bisschen haben sie Dir genommen, hart und brutal, ohne zu fragen, ohne nachzudenken, indem sie den Mann, den einzigen Mann, den selbst Du hassen würdest, wenn Du nur etwas kaltherziger, etwas erbarmungsloser wärst, in eure Mitte geladen haben: Dureth.”

Cahira kniff die Augen zusammen, während ein Schauer ihre Schultern erzittern ließ. Sie wollte fliehen, um sich schlagen, schreien - und doch hätte alles nichts genützt, um die in ihrem Kopf wispernde Stimme zum Schweigen zu bringen.

“Sie haben diesen Ort, Deinen Ort verunreinigt, geschändet … und Du kannst es immer noch nicht aushalten, diesen Namen zu hören, aber Du musst, wenn du stark sein willst  … Dureth …”

Seine Stimme strich durch ihr Nackenhaar wie eine unaufgeforderte, doch dafür umso zärtlichere Berührung und als Cahira ahnte, wie sich Aidans weiche Lippen schon wieder zur ersten Silbe formten, sein Atem ihre Ohrmuschel umschmeichelte: Du …”, da spie’ sie zur Seite aus mit aller Verachtung, die ihr wirrer Geist in diesem Moment aufbringen konnte: “Wenn Du noch einmal Dein Schandmaul öffnest, dann schwöre ich Dir bei allem was mir Lieb und Teuer ist, werde ich Deinen abyssverfluchten Knochensack aufspüren und endgültig ins immerwährende Nichts befördern!”

Die Befriedigung der plötzlichen Stille ließ ihre Mundwinkel zucken. Doch die Geräuschlosigkeit ballte sich hinter ihrem Rücken unheilvoll wie eine Gewitterwolke zusammen und zerplatzte mit einem rumpelnden Geräusch und einem jehen, erschrockenen Aufschniefen.

Cahira fuhr herum und sah in die schreckensgeweiteten Augen ihres Sohnes, der nach einigen weiteren Herzschlägen, in welchen sie Lionel nur anstarren konnte, verstört murmelte: “Ich habe doch nur gefragt, wo ich das Holz … was ... warum … was habe ich denn getan?” Die letzten Worte gingen bereits in Schluchzen unter und noch ehe die Mutter sich aufrichten konnte, um den Sohn in ihre Arme zu nehmen, zu beruhigen war der Junge bereits über die fallenen gelassenen Holzscheite gestolpert und zur Tür hinaus gerannt.

“Gut gemacht, Liebes. Wirklich gut.”
[Bild: Cahira-Sig.jpg]
Herzlichen Dank an Morrigan!
Zitieren


Nachrichten in diesem Thema
Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 04.05.2015, 02:24
RE: Zwei Leben - von Kyron Mendoza - 07.05.2015, 14:28
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 08.05.2015, 00:57
RE: Zwei Leben - von Kyron Mendoza - 09.05.2015, 04:50
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 10.05.2015, 23:08
RE: Zwei Leben - von Biriba - 12.05.2015, 16:49
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 13.05.2015, 03:53
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 18.05.2015, 02:14
RE: Zwei Leben - von Kyron Mendoza - 18.05.2015, 03:42
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 06.06.2015, 00:03
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 12.06.2015, 03:24
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 01.07.2015, 00:10
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 15.07.2015, 02:12
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 11.08.2015, 16:29
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 30.08.2015, 19:05
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 10.10.2015, 02:27
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 15.10.2015, 11:40
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 08.11.2015, 04:25
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 22.11.2015, 02:56
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 29.02.2016, 18:21
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 11.05.2016, 01:01
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 31.05.2016, 21:58
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 19.06.2016, 15:41
RE: Zwei Leben - von Kyron Mendoza - 21.06.2016, 18:00
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 24.06.2016, 00:06
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 30.09.2016, 15:38
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 15.11.2016, 23:59
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 27.12.2016, 01:33
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 28.12.2016, 03:33
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 29.12.2016, 04:20
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 31.12.2016, 03:22
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 16.02.2017, 14:28
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 23.02.2017, 01:58
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 15.05.2017, 13:56
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 17.07.2017, 01:26
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 10.10.2017, 00:34
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 23.10.2017, 23:26
RE: Zwei Leben - von Kyron Mendoza - 26.10.2017, 13:49
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 02.11.2017, 00:07
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 30.11.2017, 18:59
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 06.12.2017, 02:15
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 07.01.2018, 02:10
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 09.02.2018, 02:17
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 06.04.2018, 02:12
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 23.04.2018, 21:23
RE: Zwei Leben - von Kyron Mendoza - 09.05.2018, 20:02
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 18.05.2018, 02:33
RE: Zwei Leben - von Kyron Mendoza - 02.06.2018, 11:58
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 25.08.2018, 00:27
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 14.11.2018, 00:47
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 13.02.2019, 18:43
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 13.03.2019, 17:36
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 31.10.2019, 14:03
RE: Zwei Leben - von Kyron Mendoza - 13.11.2019, 19:38
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 15.11.2019, 00:26
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 26.11.2019, 23:38
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 27.01.2020, 23:33
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 18.04.2020, 01:41
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 15.05.2020, 16:54
RE: Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 09.08.2020, 13:20



Benutzer, die gerade dieses Thema anschauen: 1 Gast/Gäste