Zwei Leben
#11
Es war spät, als sie endlich den Weg Richtung Klammtal einschlug. Aber die Tage als Soldat waren immer lang, arbeitsreich und selten kam sie vor Einbruch der Dunkelheit nach Hause, wenn sie abends noch etwas für das Regiment zu erledigen oder Wachdienst zu schieben hatte. Sie kannte den ausgetretenen Pfad mittlerweile, so dass es ihr auch nichts ausmachte, das sich der Mond, ohnehin im Abnehmen begriffen, sich hinter dem gewaltigen Bergmassiv versteckt hielt.

Als sie eintrat, erkannte sie gleich, dass ihr Ehemann nicht untätig gewesen und einige seiner Sachen in der Wohnküche untergebracht hatte: Eine neue Kommode an der Wand, ein Stuhl sowie eine Bank und zwei Fässer komplettierten die noch immer recht magere Ausstattung. Mit Cois’ Ecke, in die er Fell und Stroh geschmissen hatte, denn er brauchte nach eigenen Angaben nicht viel, sah der Raum eher wie eine misslungene Mischung aus Stall, Schankraum und Werkstatt aus, nicht jedoch nach einer gemütlichen Behausung. Doch aus Erfahrung wusste Cahira, dass das Einrichten eines Heimes eine langwierige Prozedur war; nicht immer hatte man die Möglichkeiten, gleich die Sachen zu kaufen, die man sich vorstellte, sei’ es, weil kein Handwerker greifbar war oder die Münzen einfach knapp waren, so dass sie über dieses Chaos hinwegsehen konnte.

Auf Zehenspitzen schlich sie die Treppe empor. Hätte Kyron es nicht geschafft, den Knirps ins Bett zu bekommen, hätte sie das keinen Wimpernschlag nach ihrem Eintreffen erfahren, doch es war ruhig um Haus, so dass sie annehmen konnte, das Vater und Sohn oben einträchtig schliefen. Tatsächlich lagen ihre beiden Männer, wie Cahira sie gedanklich liebevoll zu nennen pflegte, eingeschlafen in ihren Betten. Die junge Frau zupft vorsichtig an der leichten Leinendecke, um diese über die Schulter des Jungen zu ziehen, der sich vermutlich im wilden Traum aufgedeckt hatte und strich Kyron eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie wollte, konnte noch nicht schlafen gehen und so angelte sie sich ein frisches Hemd aus der Kleidertruhe und begab sich wieder nach unten, um sich ihrer Uniform und Lederkluft zu entledigen und sich den Dreck des Tages vom Leib zu waschen.

Die Harpie, die sie vor der Wachstube aufgestöbert hatte, hatte doch tiefere Kratzer hinterlassen, als zuerst angenommen. Dazu kamen die Blessuren des Wachgangs mit Kordian und Arthar. Sie schmierte Helvas Salbe ziemlich dick auf jede schmerzende, zerschunde Stelle, ließ diese kurz antrocknen, ehe sie in das Hemd schlüpfte. Während sie den irdenen Tiegel, der die Kräuterpaste enthielt, in ihrer Hand betrachtete, kam ihr unwilligerweise das Gespräch mit Kyrthon in den Sinn. Dabei hatte sie es doch während der letzten Stunden erfolgreich geschafft, diesen Mann aus ihren Gedanken zu verbannen, doch nun war er wieder da, störte ihre Nachtruhe.

Nach dem kleinen Ritual am Steinbergwerk hatte er sich eine Weile nicht gezeigt und Cahira hatte gehofft, dass er wie eine Assel unter den Stein zurück gekrochen war, unter dem er hervor gekraucht ist. Doch wie es Alpträume nun mal an sich hatten, sie kehrten immer wieder. Irgendwie hatte die junge Frau auch das Gefühl, dass Dureth genau wusste, wo sie sich aufhielt. Er verdarb ihr den so schön geplanten Abend auf dem Löwensteiner Markt - sie wollte sich in der Menge von Bude zu Bude treiben lassen, vielleicht irgendeinen sinnlosen Tand für Kyron erstehen und mit Naschwerk nicht nur das Herz ihres Sohnes, sondern auch ihr eigenes erfreuen - und trat ihr nicht wenig später aus der Wachstube entgegen, als sei’ er wie Helva festes Inventar des Regiments.

Als sie ihn beschuldigte, doch nur ein Lügner zu sein, denn schließlich konnte er Kyrons Seele nicht wieder vervollständigen, deutet er an, ihm zu folgen, damit sie etwas abseits dieses Gespräch - sie verzweifelt und erregt, er souverän und besonnen - in Ruhe weiterführen konnten. “Ich habe nie gesagt, dass ich seine Seele heilen könne. Ich kann eine Barriere errichten, dass nicht noch weitere Teile nach Yaq'Charyb gezogen werden und ich kann ihn lehren, damit umzugehen.” Kyrthon stand dabei so nahe am Steilhang, von dem man über das gesamte Eisenthal schauen konnte, dass es tatsächlich ein leichtes gewesen wäre, ihm einen kleinen Schubs zu geben … und der Mann wäre Vergangenheit gewesen. Aber sie hatten eine Abmachung und er schien der einzige zu sein, der ihrem Ehemann helfen konnte.

“Ich kann es nicht leiden, wie Ihr ihn zu Eurem Kettenhund macht.” Am Abend des Marktes hatte sie mitansehen müssen, wie Kyron eine wehrlose Frau nur auf Kyrthons Geheiß hin einen ziemlichen häßlichen Schlag in die Magengegend verpasst hatte und hätte Dureth ihn nicht zurück gehalten, wer wusste, wie das geendet hätte. Natürlich hatte er auch darauf eine Erwiderung: “Aber ich bin nicht der, der die Kette hält. Das schafft Kyron ganz alleine. Er tut es aus seinem Verständnis der Pflichterfüllung heraus. Ist Kyron der Hund, ergeben und folgsam, so bist Du wie eine Katze, eigenwillig, leidenschaftlich und stark.” Stark, das war sie also in seinen Augen. So wie bei Kyron das Monster zum Vorschein trat, offenbarte sich bei ihr unter dem Dreck ein Diamant, dessen Kräfte noch nicht voll ausgeschöpft waren, behauptete er jedenfalls.

Bei jedem anderen hätten sie die Worte stolz gemacht - nicht der Teil mit Kyron - aber bei Kyrthon schien immer alles einen Hintersinn zu haben und sie versuchte zu ergründen, was er mit diesen Schmeicheleien zu bezwecken versuchte. Sie kam zu keinem rechten Ergebnis, so dass sie nur matt erwiderte: “Wie seid Ihr nur so geworden? Ich weiß, das Dorkolan und Kyron Euch einst gefoltert hatten ... “ Ihres Wissen nach, und das war nicht viel, war Dureth durchaus ein guter Mann gewesen, vielleicht durch die Folter gebrochen, und irgendwo in ihm dort drinnen musste sich doch noch soetwas wie ein menschliches Herz befinden. Da trat er näher und flüsterte ihr in unangenehmer Intimität entgegen: “Ich war nicht ihr Opfer!”

Und ein Herz, vielleicht hatte er noch nicht einmal mehr das, denn Kordian hatte ihm das seine durchbohrt. Wie er das überleben konnte, wollte er ihr nicht verraten. Cahira hatte sich immer gefragt, warum er damals so plötzlich verschwunden war nach all’ seinen Bemühungen, hatte aber nie gewagt, zu fragen. Mit Kordian und der Infanterie hatte ein neues Leben begonnen. Dennoch war es Cahiras Wesen, immer an das Gute im Menschen zu glauben, auch wenn dieser so verderbt wie Kyrthon war. “Du solltest aufhören, nur das zu sehen, was Du willst. Hinterfrage und erkenne Kyrons wahres Wesen.”

Sie war schließlich davon gestapft, weil sie ihm nicht mehr zuhören wollte und ihr langsam aber sicher die Argumente ausgegangen waren. Zum Glück beließen es Kordian und Arthar auf ein paar scharfe Blicke - sie hatte die Tür der Wachstube hinter sich zugeknallt und sich schnaufend dagegen gelehnt, als wäre sie froh, irgendein Tier draußen ausgesperrt zu haben - und dann waren sie dankenswerterweise zum Wachgang aufgebrochen und hatten mit den Räubern in der Höhle alle Hände voll zu tun, so das Cahira keine weiteren Nachfragen ob ihres Verhaltens zu befürchten hatte. Jedenfalls nicht an diesem Abend.

Leider kam sie auch an diesem Abend zu keinem Ergebnis, wie sie mit der Situation am besten fertig werden würde. Da die Salbe ihr auch keine Antworten geben wollte, verschloß sie den Tiegel und stellte ihn auf die neue Kommode. Gewiss, sie hatte ihre kleine alberne Liste, von der sie jeden Tag einen Strich tilgte, um den Ablauf der Jahresfrist zu zählen. Doch die beiden Abende, die sie mit Kyrthon verbracht hatte, hatten ihr gezeigt, dass ein Jahr eine ganz schön lange Zeit war, in der so mancherlei passieren konnte.

Während sie nun wieder die Treppe hinauf stieg, um sich doch noch ein kleines Stückchen Schlaf zu ergattern, musste sie sich eingestehen, dass sie im Grunde genommen nichts hatte, was sie dem Mann entgegensetzen konnte: Sie war weder gewitzt, noch gerissen, noch wortreich talentiert und magisch begabt war sie erst recht nicht. Alles, was sie hatte, war die Liebe zu ihrer Familie, der Glaube an das starke Band zwischen Kyron und ihr und die Hoffnung, dass sie auch diese Misere irgendwie überstehen würden, so wie sie bisher alles überstanden hatten. War ihr das Herz schwer gewesen, als sie die ersten Stufen erklommen hatte, wurde sie wieder froher, als sie oben angelangt war und die beiden Körper dort unter ihren Decken liegen sah.

So lange ich atme, hoffe ich.
[Bild: Cahira-Sig.jpg]
Herzlichen Dank an Morrigan!
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Zwei Leben - von Cahira Mendoza - 04.05.2015, 02:24
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