Sprecht eure Gebete
#4
Wenn Götter sprechen, dann sprechen sie nicht mit Worten. Worte, diese kleinlichen Konstrukte aus Lauten, das war nur etwas, womit ein Mensch um ein Gespräch bettelte. Man schrie, man flehte, man betete und hoffte. Worte waren wie das Greinen eines Neugeborenen um die Aufmerksamkeit seiner Eltern in der Nacht. In all ihrer Ausgefeiltheit doch ungeformt und roh. Sie zu nutzen und zu hoffen, dass man verstanden werden würde, das war etwas Einfältiges. Götter gaben sich nicht mit so etwas ab. Zumindest nicht in diesen Zeiten. Früher war alles anders gewesen, aber wer scherte sich schon um früher wo es so viel ungewisse Zukunft gab?

Ein sanftes Kratzen leistete Viktor Gesellschaft in seiner Stube. Eben erst war er das Haus des Barons vom Südwald ungefähr das zwölfte Mal durchschritten, auf der Suche nach etwas, das er nicht sehen konnte. Nun war es für das Erste genug und Viktor erfüllte pflichtbewusst andere Pflichten. Wie zum Beispiel dieses Schriftstück anzufertigen, das im Falle seines Ablebens an seine einzig erreichbare Verwandte überstellt werden sollte. Ein Testament? Nein. Er besaß schließlich nichts, das er ihr hätte vermachen können. Eine Entschuldigung? Nein. Er war im Recht. Es war …

Er hielt inne und das Kratzen verstummte. Müde hob er den Kopf und versuchte, durch das Fenster den Nachthimmel auszumachen, doch alles, was er sah, war sein Spiegelbild, schwach beleuchtet von der Öllampe. Ihr sanfter Schein und der leichte Geruch der Flamme berührten seine Sinne wie zuvor das Kratzen des Federkieles. Dieser Gedanke ließ ihn nicht los. Mithras sprach zu ihm, gewiss, und Viktor antwortete. Doch war es kein Dialog. Es war die gröbste Form eines Austausches. Sein Gott, der einzig wahre Gott, der es wert war, so genannt zu werden, ließ ihn an etwas Teil haben, das man nicht beschreiben konnte. Vielleicht ließ er seine Priester ein wenig seines gewaltigen Planes wissen. Und seine Priester dankten es ihm, indem sie seine Ohren mit ihren Schwüren füllten. Beide Seiten meinten es ernst miteinander, doch beide Seiten redeten aneinander vorbei.
Wenn Götter sprechen, dann nutzen sie einen anderen Weg. Sie nutzen Gefühle. Viktor lehnte sich in einer Zurschaustellung von Menschlichkeit, die er sonst so verabscheute, an die Lehne des Stuhles. Es gab nur drei Zeiten, zu denen er sich sicher war, dass Mithras ihm gegenüber deutlich seine Meinung geäußert hatte. Eine Botschaft, die nur für ihn bestimmt war und nicht dieses allgegenwärtige Gefühl des Gehalten Werdens, das jeder Gläubige spüren konnte. Diese erste Zeit war das Öffnen der Quelle, das erste Nutzen der Macht. Die zweite war seine Vision zur Erhebung als Erzpriester. Und die dritte war die Aufforderung gewesen, alles hinter sich zu lassen und zur Wallfahrt aufzubrechen. Jedes mal konnte er die Präsenz' Mithras so überdeutlich in sich spüren, dass er wusste, der Gott würde nun ihn als Spielstein auf seinem Spielbrett führen. Und jeder dieser Momente war so erfüllt von einem alles bestimmenden Gefühl. Es war nicht nur der Rausch der Quelle, die sein Geist berührte, sondern auch die Gewissheit, dass eine einzelne Emotion ihn auf den Weg brachte.
Beiläufig schüttete er Löschsand über die Worte auf dem Schriftstück. Es war nicht gut. Nicht gut genug. Er würde neu beginnen müssen. Vielleicht ein wenig direkter, ohne Gruß. Vielleicht aber auch ein wenig versöhnlicher. Vielleicht … er knüllte das Papier zusammen und warf es von sich. Als es von der Wand abprallte, trat er es gleich noch einmal durch den Raum. Seine Wut projezierte sich gänzlich auf dieses eine verfluchte Stück Papier. Das fünfte seiner Art, das sich nun unter seinesgleichen tummelte. Still lagen die zerdrückten Papierbögen dort und bewegten sich nicht, wie eine Herde, die den Zorn des Schäfers fürchtete. Er ertrug die dreiste Art nicht, mit denen die aus den Knäulen heraus lugenden Wörter ihn anstarrten, darum erhob er sich und ging, durch die Wohnstube, hinaus auf den Balkon. Der nächtliche Wind und der gelegentlich fallende Regen kühlten ihn nur schwach wieder ab.

Was war, wenn das nicht die einzige Art war, mit der Mithras sprach? Der Gedanke durchzog ihn, als er sich nach einer Weile der Kontemplation wieder in seine Kammer begeben wollte und ließ ihn fürs Erste verharren. Manche Menschen hatten bestimmte Wesenszüge, die sie definierten und von anderen abhoben. Mithras hatte die Menschen nicht geschaffen und legte großen Wert auf freien Willen, doch er machte sich, um seine Nachrichten zu überbringen, gelegentlich ihre Fähigkeit zu empfinden zunutze. Wäre es möglich, dass er bei bestimmten Menschen das ganze Wesen anrührte, um sie seinen Wünschen gemäß das Assam durchschreiten zu lassen? Besondere Werkzeuge? Er musste an die heilige Alina denken, die Rose. Ihr Leben war von Liebe bestimmt gewesen und einer Aufopferungsbereitschaft, wie sie nur wenige teilten. Sie war zu einem Symbol der Wertschätzung anderer geworden.
Ein blasphemischer Gedanke beschlich ihn, anmaßend in seiner Größe. Wenn Viktor einst stürbe, würde man seiner als des Heiligen der Wut gedenken? Zeit seines Lebens brannte in ihm eine unterdrückte Wut und was war, wenn diese seinem Geist von Mithras selbst eingepflanzt worden war? Schlicht, weil es die Zeit war, in der so etwas gebraucht wurde?

Ein wenig später teilte er das Zimmer wieder mit der Öllampe und dem Kratzen. Es gab viel zu tun, so viel Zukunft zu planen. Er würde Rahel noch einmal besuchen. Sie war auf einem guten Wege, doch gab es auch einige direktere Worte zu wechseln. Der Baron musste von seinem Übel befreit werden und Viktor musste sowohl eben jenes Übel als auch die Lösung dafür finden. Ginsterstrauch musste einen Kopf kürzer gemacht werden … Ah, ja. Ginsterstrauch. Viktor war sich noch nicht sicher, wie und in wieweit er diesem Mann schaden konnte. Er wollte, dass er litt. Aber er wollte auch nicht, dass er aus dem Leben schied. Noch nicht. Gwendolyn würde es ihm nie verzeihen. Aber wenn es so weit kam, war der Wächter Viktor um Meilen im Kampf überlegen. Ein unüberbrückbares Hindernis. Es sei denn, dachte Viktor, den Blick auf die Öllampe gerichtet, mir fiele etwas ein. Im nächsten Moment hatte er auch schon einen Plan gefasst.
Nun würde er das Schreiben für Gwendolyn nur umso schneller fertig bringen müssen. Eine Erklärung? Vielleicht. Es würde zumindest etwas beleuchten. Wenn Menschen mit Menschen sprechen, dann nutzen sie Worte, und manchmal klingen diese dann eben wie ein Gebet mit dem man aneinander vorbei redet.
"Novizen, die ich segne, sind großindoktriniert. Nicht."
-Elian


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Sprecht eure Gebete - von Viktor Veltenbruch - 25.04.2015, 01:27
Göttliche Intervention ist am besten, wenn man selbst diese Intervention ist - von Viktor Veltenbruch - 03.02.2016, 01:37



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