Das Lied der Klinge
#1
Eine Straße, egal in welcher Stadt, oder in welchem Landstrich, ob oben im Norden oder tief im Süden, wo die Heiden ihre häretischen Manngötter anbeten, hat Charakter. Anfangs, wenn sie geboren wird, ist es das Gefühl von harten, kantigen, kindskopfgroßen Steinen unter den Stiefeln. Man stolpert oft, wenn man müde ist, oder betrunken, und wenn man stürzt, ist eine Verletzung unvermeidlich. Ob es nur die Handballen sind, die aufgeschürft werden, oder ob man sich gar einen Bluterguss oder einen Bruch holt, hängt lediglich vom Glück und von der Agilität des Stürzenden ab.
Umso älter eine Straße aber wird, umso schrulliger wird sie. Einige Steine sinken ab, manche tief genug, dass sich Mist und Staub darin sammeln und ihn ausschwärzen wie eine Zahnlücke im Gesicht eines alten Seemanns. Einige Steine verbleiben wo sie waren, Inseln im Strom des täglichen Fußmarschs, die instinktiv von Mensch und Tier gemieden werden, und selbst nach Jahrzehnten noch in heller Sauberkeit erscheinen.
Sandstein reibt sich so schnell ab, dass die eisenbereiften Räder der Karren tiefe, fast mit dem Lineal gezogene Spuren in ihnen hinterlassen, die sich nach jedem Regenguss in kleine Bäche verwandeln. Tränken für die Ratten, Hunde und Katzen, die den Sandstein mit ihrem Kot und Mist düngen, und der von Sonne, Moos und Flechten nur all zu bald in einen grünschimmernden Belag verwandelt werden, dort wo die Karren und Füße ihn nicht abtragen können.
Granitstraßen glitzern in der Sommerhitze, als habe man feinste Metallflinsel oder Glasscherben darauf verteilt. Edel, zuverlässig und von gleichmässiger Struktur, gleichwohl aber stabil und witterungsfest, so ist die Granitstraße jene, die erst nachgibt, wenn der Untergrund es tut. Im Winter aber, vor allem da, wo es bitterlich kalt wird, da zerspringen die großen Steine gerne, und hinterlassen eine feine Kiesschicht in den Ritzen und Zwischenräumen.
Basaltpflaster ist schwarz, und im Winter wie von Zauberhand vom Schnee befreit. Im Sommer aber erhitzt er sich, dass einem die Kettenrüstung vom Körper schmelzen mag, und hält nackte Füße, Straßenköter, Katzen und selbst Ratten fern, sodass die Vögel sich ohne der Konkurrenz zu erliegen an den verschütteten Resten vorbeiziehender Händlerwagen gütlich tun können.
Gneis schließlich ist rutschig bei Regen, glatt, ob Sommer oder Winter darauf niederprasseln mag, glitzernd und voller scharfer Kanten, die weiche Sohlen, tiefhängende Gewänder oder Pfoten schmerzlich schlitzen können.
Straßen haben, egal wo man ist, einen Charakter. Genügend Eigenheiten, um sie selbst mit geschlossenen Augen und in stockfinsterer Nacht noch wieder erkennen zu können.
Man muss ihnen nur zuhören.


~~*~~

Der alte Hafen bei Nacht war kein guter Ort, vor allem nicht mit geschlossenen Augen.
Es war nicht der nimmertrocknende Schlamm, der an Kyrons Stiefeln sog, und auch nicht der Gestank nach Morast, menschlichen Ausscheidungen, faulendem Fisch und schimmelnden Netzen, der ihn davon überzeugt hatte, nein. Eher schon war es das ab und an hörbare Geräusch von Füßen, die ihm folgten, und das Wispern hinter der letzten Ecke, um die er gekommen war, von dem die Urheber wohl glaubten, es sei leise genug, um über das Klimpern seiner Rüstung nicht hörbar zu sein.
Vor gut zehn Minuten hatte er noch überlegt, ob es vielleicht vernünftiger gewesen wäre, die Uniform der Stadtwache aus den Tiefen seines Seesacks zu kramen, wo er sie damals vor Jahren verstaut hatte, aber das würde hier niemanden von einem Überfall abhalten. Es hätte wohl eher dazu geführt, dass er zu diesem Zeitpunkt mehr als diese zwei Zecken an sich gehabt hätte. In Zeiten wie diesen hing an der purpurnen Uniform kaum mehr als nur der Ruf, die Nase in die Geschäfte Anderer zu stecken.
Langsam öffnete er die Augen, und warf einen Blick gen' Himmel. Im Sommer waren Löwensteins Nächte beinahe auszuhalten, - wenn man keinen Geruchssinn hatte, - denn im Sommer konnten die unzähligen Schornsteine den Himmel nicht verdunkeln und die Sterne verdecken. Im Winter aber, selbst im Spätwinter, schien er stets bewölkt und verdunkelt, deprimierend auf seine eigene, unpersönliche und ungnädige Art. Nun im Tauwetter war es etwas besser, aber immer noch nicht mit einer Sommernacht zu vergleichen. Wäre der Mond voll gewesen, hätte er sich seinen Verfolgern gestellt, aber obwohl die Sterne hell schienen war der Himmel gräulich und Mond nicht mehr als eine schmale Sichel, und die Welt um ihn herum kaum mehr als Schemen in schwarz.
Aus dem einfachen Vorhaben sich in aller Ruhe zu betrinken war ein Katz' und Maus Spiel geworden, das Kyron sich gerne erspart hätte. Früher war er die Katze gewesen, zumindest für Geld, das er nur zu gerne in Schnaps investiert hatte. Nun aber war er die Maus, ins graue Fellkostüm gesteckt von genau den Gesetzen und der Moral, die er sich vor Monaten noch zurück in sein Leben gewünscht hatte. Welch ein ausgezeichneter Plan das gewesen war!
Natürlich hätte er sich in morbider Todesverachtung den Angreifern stellen können, und nach alter Tradition eine Prügelei anfangen können, um wenigstens einen der Angreifer für den Verlust von Hab und Gut seinerseits auch bluten zu lassen, aber die Nachteile dieses Vorgehens waren ihm schmerzlich bewusst – wer niemanden auf seiner Seite hatte, der hielt die Füße still, oder wurde eines Tages zu einer weiteren Leiche in der Gosse.
Mit einem leisen Brummeln zog Kyron die Stiefel aus dem uringetränkten Matsch, und marschierte weiter. Solange er nicht losrannte, oder übermäßig auffällig über seine Schulter blickte, konnte er vielleicht auch die Beutelschneider abschütteln, die ihm wie hungrige, aber unentschlossene Wölfe hinterher schlichen.
Wenn er nur-

Die einzige Vorwarnung war ein gezischtes "Los!" hinter ihm, dann rammte ihn ein Körper und riss ihn von den Beinen und in den Dreck. Dass die zwei Beutelschneider sich so dicht an ihn heran geschoben hatten, ließ Kyron sich selbst im Stillen heftig verfluchen, aber nun konnte man daran nichts mehr ändern.
Es schien auch nicht ihr erster Ritt zu sein, denn während der Eine auf Kyrons rüstungsbeschwertem Rücken sitzen blieb, machte der Zweite sich unter heftigem, gedämpftem Streit daran, seine Taschen auszuräumen. "Mach, mach, schneller!" - "Halts Maul oder machs selbst, ich tu so schnell ich kann!" - "Los, hol dir die Stiefel!"
Als der eifrig Kramende allerdings an seine Stiefel ging, gab es einen Tritt. Bei nacktem Fußwerk zog selbst ein überwältigter Mann die Grenze, vor allem bei all dem Dreck und den Scherben in diesem Viertel.
Zu seinem Glück schien es die zwei Ratten auch nicht allzu sehr nach Schuhwerk zu gieren, denn kaum dass seine Gegenwehr einsetzte, machten sie sich flink wie ihre Namensvettern in die Dunkelheit auf.

Mit einem angestrengten Keuchen rappelte Kyron sich aus dem Dreck hoch, fluchte leise vor sich hin und tastete über seine Taschen. Das Geld war weg, ebenso sein Trinkschlauch, sein Speisemesser und ein Päckchen Trockenfleisch. Ein frustrierender, aber geringer Preis dafür, dass ähnliche Auseinandersetzungen früher in Fleischwunden geendet hatten.
Vielleicht war an dem ruhigeren Lebensweg ja doch etwas dran. Lebe ruhig, lebe länger. Laufe schmutzig durch die Stadt. Vielleicht auch nicht.

An der Tränke des Stalls in der Altstadt wusch er den gröbsten Dreck von sich ab, und konnte sich im letzten Moment noch davon abhalten, nach alter Gewohnheit in die Taverne gleich gegenüber einzukehren. Nicht nur war ihm sein Brotgeld für den Tag geraubt worden, auch sein sauberes Wasser war hinfort, aber ein Gang in die Taverne würde das wohl kaum ungeschehen machen. 'Denk daran, ein besserer Mensch werden.' Stattdessen trottete er - nun durchgehend unterm Atem fluchend - weiter gen' Hafen. Eine weitere Nacht in der Kälte einer unbeheizten Scheune war nicht sein Traum gewesen, als er am Morgen aufgestanden war.
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Das Lied der Klinge - von Kyron Mendoza - 06.03.2015, 13:44
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