FSK-18 Fieber...
#1
Erster Abend

Es war eine heiße Nacht. Nicht im übertragenen Sinne heiß - obwohl die Gespräche zuvor in der Taverne ein Maß angenommen hatten, bei dem selbst Farilda vorsichtig wurde -, sondern wörtlich heiß.

Es war eine Nacht, die man unmöglich durchschlafen konnte. Der ganze Schlafraum roch schlimmer als die Achselhaare eines richtig fetten Mannes. Die verschiedensten Ausdünstungen der Söldner vermischten sich in äußerst unappetitlicher Weise. Die Luft - wenn man das so nennen wollte, was da im Raum stand - schien zu flimmern. Und die Hitze der Nacht tat ihr Übriges dazu. Keiner trug mehr einen Harnisch um für einen Angriff in der Nacht gewappnet zu sein, manch einer trug sogar überhaupt nichts mehr. Ihre Decken katapultierten sie weit von sich.

Farilda griff hastig nach diesen Decken und lümmelte sich ein. Sie rochen kein bißchen besser als der Rest des Raumes, aber sie brauchte sie auch nicht als Schild gegen den Geruch, sondern... weil sie unglaublich fror.
Irgendwie war ihr einfach nur kalt. So kalt, dass sie glaubte, nie wieder warm zu werden. So kalt, dass sie nicht überrascht gewesen wäre, Kristalle auf ihrer Haut zu finden wie im Winter an den Fenstern. Alles an ihr war gefroren. Ihre Finger, ihre Nase, ihre Beine, alles fühlte sich kalt an. Sie hätte am liebsten laut geschrien, aber dann wäre das Eiswasser in ihren Mund geflossen... sie drückte sich gleich drei Kissen auf's Gesicht. Das eine war ihr eigenes. Die anderen beiden waren von irgendwem.
Wenn sie zu tief einatmete, musste sie husten. Ein trockenes, kratzendes Husten. Also atmete sie weiter flach in ihre Kissen hinein. Vielleicht würde ihr dabei endlich warm werden. Farilda presste ihre Augen zu und sah Schneeflocken vorbeiziehen.

Es war sicher die Keuche. Sie würde sie alle anstecken. Sie musste hinaus. Vielleicht ein heißes, sehr heißes Bad nehmen. Alle anderen Keuchenopfer hatten doch immerhin auch den Anstand, auf den Straßen zu sterben.

Wollte Marquard sie nicht wecken, um sich den Arsch einölen zu lassen? Marquards Kopf kreiste vor ihr. Seine weissen Haare passten zu den tanzenden Schneeflocken... Kurz stellte sie sich vor, wie er wohl aussehen würde, wenn er auf einem gefrorenen Teich tanzen würde, in einem kurzen weissen Kleid - und die silbernen Schneeflocken nahmen auf seinen weissen Haaren Platz wie eine Krone. Für einen Moment fühlte sie sogar, dass es ihr wieder etwas wärmer wurde.

Sie strengte sich an, den Berg von Decken von sich herunter zu schieben. Sofort kam der Husten, schüttelte sie mal kräftig durch und schubste sie unbarmherzig ihr Lager herunter. Da lag sie nun zwischen den zwei Strohballen auf dem feuchten, kalten Boden. Es würde nicht lange dauern und sie würde auf dem Holz festfrieren. Farilda zog die Beine unter ihr Kinn und klapperte mit den Zähnen. Es war so kalt, so kalt. Sie war gefangen unter dem Eis...


Zweiter Abend
Die fiese Fratze war Aryn. Eigentlich war er ja sonst so hübsch wie die jungen Mädels mit den hüftlangen Haaren, die man in ganz Löwenstein fand. Vielleicht sogar hübscher. An diesem Abend jedoch war er nur eine fiese Fratze. Eine fiese Fratze... die ihr die Decken klaute. Es war gemein, sie fror doch so! Er machte sich einen Spaß daraus, sie zu quälen. Er zog die Decken weg, obwohl sie versuchte, sie festzuhalten. Sie fluchte, sie stöhnte, sie bettelte... aber er nahm ihr alles weg, was sie noch etwas warm hielt.

Dann holte er die Eisprinzessin Marquard. Mit einem Mal wusste Farilda, dass Marquard nicht alt war, sondern weisse Haare hatte, weil er ein Schneemagier war. Diese Magier vollbrachten ihr Werk normalerweise weitab von den Menschen, auf irgendwelchen Bergen in Nortgard und zauberten eisigen Regen herbei, der mit kalten Fingern nach Menschen, Tieren und Pflanzen griff. Das machten sie, weil ihre Haare sonst wieder braun würden. Oder rot. Demnach musste es viele Schneemagier in Löwenstein geben, die lange nicht mehr auf Bergen gestanden und gezaubert hatten. Oder sie zauberten gerade alle gleichzeitig auf Farilda. Das musste es wohl sein, ja.
Marquards eisige Hand berührte ihre Stirn, ihren Arm... sofort wurde alles taub. Bis auf die Zunge. Sie redete auf die beiden ein und wunderte sich, warum keiner antwortete. Normalerweise antworteten sie immer, selbst wenn sie dumme Sachen sagte. Also, wenn sie ausnahmsweise mal dumme Sachen sagte.

Die Zimmerdecke begann sich zu bewegen. Eigentlich war das eine sehr hübsche Zimmerdecke. Sah aus wie der Boden, nur dass niemand darauf herumstiefelte und sie dreckig machte. Oder kaputt. Oder etwas draufstellte. Die Decke war der jungfräuliche Boden. Sie war das, was der Boden einst war. Unberührt. Unbekümmert. Naja, ein paar Flecken waren da irgendwie schon. Vielleicht musste sie mal die Decke wischen. Aber wie sollte sie das machen? Mit einem langen Besen...?

Da rückte die Decke auch schon wieder in die Ferne. Der Raum wurde immer höher, mit jedem Schlag auf den Hinterkopf, den sie von den Treppenstufen bekam.
Jetzt 'nen heißen Tee... oder 'ne heiße Brühe. Magda konnte leckere Brühe machen. Sie musste lächeln. Bei Magda musste man keine Angst haben, dass sie einem die Decke stahl.

Sie redete ununterbrochen auf die beiden Männer ein, die sich herumtrugen. Sie fluchten. Und fluchten. Und schrien zwischendrin. Als hätte Farilda nicht schon genug Sorgen, dass ihr kalt war... sie blickte in die Sonne. Auch die war kalt. Sie schickte kalte Strahlen hinab. Schlimme Sache.
"IST IN DIESER VERDAMMTEN STADT KEIN HEILER?", brüllte Marquard.
"He, 'ne Decke und 'n warmer Körper neben mir würden's auch tun", scherzte sie zurück, wie sie da wie ein nasser Sack zwischen den beiden Männern hing. Keine Reaktion. Heute war die Sonne kalt und alle ignorierten sie. Selbst Aryn, der sonst alles und jeden ansprang...

Irgendwann lag sie in einem fremden Zimmer. Das hatte auch eine schöne Decke.
Die Sonnengöttin beugte sich über sie. Farilda dachte angestrengt nach. Vermutlich hatten Mabon und Sulis eine Tochter bekommen. Wird sie mich retten? Wird sie mich retten? Sie tat es. Endlich bekam Farilda ihre Decke. Mussten die Götter erst ihre Botin senden, dass das jemand verstand? Dass sie Durst hatte und fror? Dass man ihr etwas zu Trinken geben musste und eine Decke?

Eine Botin der Götter konnte es mit jedem Schneemagier aufnehmen. "Na warte, ich kenne dein Geheimnis...", wisperte sie.
Mit sanften Händen wurde sie untersucht. Ihr war schwummrig... dauernd bewegte sich etwas... die Sonnengöttin betrachtete Farildas nackten Oberkörper. Da gab's viel zu sehen - die große Schürfnarbe zum Beispiel, die sie sich am Schiffsrumpf geholt hatte.
Es war alles so anstrengend. Hatten die Männer sie hierher getragen... oder hatte sie die Männer getragen? Ihren Schmerzen nach zu urteilen hatte sie die beide auf dem Rücken gehabt. Gleichzeitig. Und Aryn hatte sich extra schwer gemacht.

Nun war Zeit zu schlafen...

Dritter Abend

Bis auf die mutige Sonnengöttin hatte sich niemand ihrer Meute ins Heilerhaus getraut. Eigentlich war dies kein Grund, um traurig zu sein. So brachte sich niemand in Gefahr... aber sie war trotzdem traurig. Sie hätte sich gerne noch von Marquard verabschiedet und ihm für alles gedankt. Eigentlich war er für sie noch immer einer der neueren Söldner, aber... Marquard war ihr bester Freund. Schon komisch in dieser kurzen Zeit, aber es war einfach so.

Von Harl hätte sie sich auch gern verabschiedet, aber es war wohl besser... besser so.
Sie dachte zurück an den Abend, als er vor ihr im Stroh lag. Wehrlos, nach Pisse stinkend - und wunderschön!
Sie wollte ihn eigentlich gar nicht berühren, nicht so! Als ihre Hände über seine Schultern glitten, standen ihr Tränen in den Augen. Sie wollte nicht, aber sie konnte nicht aufhören. Harl war das Gegenteil von ihr. Und in ihren Augen hatte er etwas Unschuldiges, Unbekümmertes, auch wenn er längst nicht so unschuldig und unbekümmert war, wie er sich immer gab. Dennoch war da etwas an ihm, das so leicht war wie eine Feder. Oder eine Pusteblume. Oder ein Spinnennetz. Und genauso leicht zerstörbar. Gut, eine Feder war nicht leicht zerstörbar. Man konnte sie knicken, aber dann war sie nicht zerstört, denn sie bog sich. Man konnte an den Fahnen zupfen, aber auch dieser Effekt war eher mau. Man konnte hineinbeißen, aber man kann überall hinein beißen. Fast überall. Pusteblume passte besser.
Ja, er hatte schlimme Dinge gesehen, alptraumhafte Dinge. Schlimmer für ihn waren sicherlich die Dinge, die er getan hatte. Ob freiwillig oder auf Befehl. Das war wohl der Unterschied zwischen Harl und Axis: Harl empfand diese Dinge als schlimm.
Auch Farilda fand die meisten Dinge schlimm, die sie getan hatte. Die sie freiwillig getan hatte. Die sie anderen befohlen hatte zu tun. Die andere nicht freiwillig getan hatten und die sie dazu gezwungen hatte. Sie trug diese Narben nicht ohne Grund.
Aber der wirkliche Alptraum bestand in dem Erkennen, dass die Zeit das einzig Unzerstörbare in dieser Welt war, unzerstörbarer als es jede Feder nur sein konnte.
Es gab keinen Gott, weder bei den Mithrasanhängern noch bei den Mondwächtern, der sie verkörperte. Sie war mächtig in sich selbst, brauchte keinen Boten.

All' diese Momente gehen unter, verloren, verschwinden im Fluss der Zeit... wie Tränen im Regen. [Blade Runner!]

Und so lange... blieb Harl glücklich, sie wollte diese Pusteblume nicht umpusten, obwohl es verlockend war, obwohl Pusteblumen dazu da waren!
Sie kämpfe gegen den Drang an, ihn zu berühren, doch... sie war nur ein Mensch. Ein schwacher Mensch. Sehr schwach. Schwach gegenüber allen Verlockungen - seien es Männer, Frauen, Alkohol oder Pusteblumen.

Die Erinnerung daran ließ erneut gegen die Tränen kämpfen.

Auch hätte sie sich gerne von Aryn, dem alten Haudegen, oder Ansgar, der vermutlich auch eine Art Freund für sie war, oder Zamael oder Seyd und dem ganzen Haufen verabschiedet, aber... es war vielleicht wirklich besser so.

Mit einer Gänsehaut stieg sie aus dem Bett und ging aus dem Haus, das, wie sie jetzt erst mit Bestimmtheit wusste, das Heilerhaus war. Sie hatte keine Ahnung, wo sie hin sollte und ob sie wirklich sterben würde, weil sie die Keuche hatte oder weil sie mutterseelenallein mit Fieber auf Wanderschaft ging...
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Fieber... - von Farilda Schwarzbrandt - 24.07.2013, 08:35
RE: Fieber... - von Farilda Schwarzbrandt - 26.07.2013, 09:08
RE: Fieber... - von Farilda Schwarzbrandt - 28.07.2013, 02:48
RE: Fieber... - von Farilda Schwarzbrandt - 17.09.2013, 09:01
RE: Fieber... - von Farilda Schwarzbrandt - 26.02.2014, 22:36



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