Wein und Weiber
#4
[Bild: hl.png]
Ungewohnte Geräusche weckten Welf. Das Schimpfen einer Krähe, leises Trippeln wie von winzigen Füßen, die unter dem Boden liefen. Ein zerschellender Tonkrug, gefolgt von einem derben Fluch. Langsam schlug er die Augen auf. Der kleine Raum war dämmrig und es roch leicht nach Mäusen. Er lag in einem schmalen, schlichten Bett und musste kurz überlegen, wie er dorthin gekommen war. Leise streckte er sich, wobei er mit Füßen und Händen an den Wänden anstieß.
Ah, natürlich. Ich bin in Aygos kleinem Kabuff gelandet, hab' ihn gestern Abend noch gefragt, ob ich nicht bei ihm übernachten könne, weil ich den langen Weg zurück zum Fuchshof nicht mehr machen wollte.
Aygo hatte eindringlich drauf bestanden, dass Welf sich ins Bett lege, als er die Altstadttaverne verlassen hatte, und sich dieser wohl noch eine Weile in der Stadt herumtrieb oder die Taverne aufräumte, oder weiß der Henker, was der noch so trieb, wenn man ihn aus den Augen ließ. Welf hatte sich selbstverständlich auf dem sogar recht gemütlichen Teppich ausgestreckt und war sofort ins Reich der Träume gesegelt. Mit dem Einschlafen hatte er noch nie Probleme gehabt, egal wo oder wann. Welf schwang langsam und leiße die Beine aus dem Bett und lugte um die kleine Trennwand in die Stube. Der drahtige Ravinsthaler musste ihn vom Teppich ins Bett geschafft haben, während er schlief. Keine schlechte Leistung, aber auch nicht unmöglich, wenn man seinen für gewöhnlich seeligen Schlaf in Betracht zog.
Nun, solange er sich nicht mit zu mir ins Bett legt...
Sein Gastgeber lag jedenfalls an der Stelle auf dem Teppich, wo er selbst eingeschlafen war. Welf stand auf und zog sich an. Kurz überlegte er, den Schlafenden von oben her betrachtend, ob er es ihm gleich um gleich vergelten sollte, und ihn in sein weicheres Bett hieven. Aber er traute es seinen eher schmächtigen Armen nicht ganz zu. Sollte er ihm vielleicht eine kleine Notiz hinterlassen? Nein, auch nicht, er würde ihn sicher schon die Tage wieder sehen, wenn nicht sogar schon heute Abend. Sie gehörten ja nun sozusagen zu einer Familie. Welf grinste kurz im Dunkeln und öffnete dann leise die Tür. Einige kleine Kreaturen huschten von der Tür weg in die Düsternis des Ganges und Welf erkannte das Trippeln kleiner Füße wieder. Kurz schüttelte er den Kopf und verließ dann das Haus. Der graue Gilbhartsmorgen dämmerte gerade erst über den alten Hafen herein und die Feuchtigkeit in der Luft schien sich nicht recht entscheiden zu können, ob sie jetzt Niesel oder Nebel sein wolle. Welf zog den Umhang enger um sich und stolperte zum Stall in der Altstadt. Und wie so oft drängten die Ereignisse des letzten Abends in seinem Hirn an die Oberfläche.
Er hatte sie rein zufällig am Stadttor getroffen, war sogar fast in sie hineingeritten und sein braves Pferd, das immer noch keinen vernünftigeren Namen hatte außer "Brauner", war nur knapp schlitternd und bockend auf dem Kopfsteinpflaster zu stehen gekommen. Anabella hatte sich äußerlich kaum verändert. Sie war ja schon immer in eher dunklen Farben gekleidet gewesen, nun war sie also zu gänzlichem Schwarz übergegangen. Doch wie unscheinbar der Wandel im Äußeren, so offenbar im Inneren, hatte er bald fesstellen müssen. Nun, sie war schlechter Stimmung, das kam wohl vor. Er lud sie in die Taverne ein, auf ein gemütliches Gespräch und um sie aufzuheitern. Erzählte ihr, wo er abgeblieben war, warum er zurückgekehrt war nach Löwenstein und das alles. Dass es Gwendolyn und Onkel Janusch gutging wusste er zu berichten, doch anstatt sich zu freuen, moserte sie herum, von wegen, alle ließen sie im Stich, auf niemanden wäre Verlass. Zugegeben, sie war schon damals eine der sentimientalen Sorte gewesen - was ja wohl auch Grund dafür gewesen war, dass er nichts mit ihr als Freundin hatte anfangen können, aber, so musste er ungläubig feststellen, sie war zu einer Schwarzseherin verkommen, die an nichts und niemand ein Haar lassen konnte und sich nur zu beschweren und in Selbstmitleid zu versinken wusste. Auf alle ihm erdenklichen Weisen versuchte er sie aufzuheitern, doch vergebens. Zum Ende hin beschimpfte sie ihn gar und seine gute Absicht nahm sie ihm übel. Zwecklos...
Er ritt gerade über die Grenze zu Candaria und nun regnete es doch. In Selbstmitleid versinken, genau das ist es, was sie tut. Und diese Tatsache sucht sie zu verdecken mit ihrer Einstellung von Nichts und Niemand etwas Gutes zu erwarten, mit einer Gleichgültigkeit, die doch nichts anderes sein kann, als sich am Bemitleiden seiner selbst zu laben. Ihm graute wahrhaft vor ihrer nächsten Begegnung.
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Wein und Weiber - von Welf - 09.07.2013, 16:03
RE: Wein und Weiber - von Welf - 15.07.2013, 14:52
RE: Wein und Weiber - von Welf - 01.10.2014, 07:31
RE: Wein und Weiber - von Welf - 14.10.2014, 20:12



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