Anouk: Gedanken
#1
David Kincaid - Free and Green

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Ich bin nur wegen dir hier.

Du bist der Grund, warum ich mir das hier antue.
Die kalten Nächte, die kräftezehrenden Kämpfe, all den Dreck, das Blut und den Gestank der Verwesung.
Ob alles in Ordnung ist, fragst du? Ich hätte beinahe gelacht.

Es ist die Angst, die mich wahnsinnig macht. Die Angst, die mich immer dann überkommt, wenn ich in der Nacht allein in der warmen Stube am Esstisch hocke, in unserem kleinen Hof, den wir unser Zuhause nennen, während du dort draußen dein Leben riskierst - für uns, für unsere Freunde, für das Herzogtum und zu Ehren der Götter.

Wenn dich die Pflicht ruft, will ich aufstehen, dich am Arm festhalten und dir sagen: "Bitte bleib hier. Ich habe Angst um dein Leben." Aber dann sehe ich den fiebrigen Glanz in deinen Augen und das lodernde Feuer in deinem Herzen, über die dein ernster Gesichtsausdruck und auch die Sorgenfalten auf deiner Stirn nicht hinwegtäuschen können.

Du bist für den Kampf geboren.

Der Krieg ist dein Handwerk, so wie mein Handwerk der Glaube an die Götter ist.
Wie könnte ich dich davon abhalten das zu tun, was deiner Bestimmung entspricht?
Wie könnte ich von dir erwarten damit aufzuhören, wo du doch dein ganzes Leben lang nichts anderes getan hast?
Wie könnte ich dich bitten etwas sein zu lassen, für das dein Herz so leidenschaftlich schlägt?

Sag, wie könnte ich?

Ich habe keine Angst vor dem Tod. Ich habe Angst davor, dass du eines Tages nicht mehr zu mir zurückkehrst und mich als Witwe zurücklässt - jung, dazu verdammt den Rest meines Lebens allein zu verbringen, ohne Mann und ohne Kinder.

Erinnerst du dich daran, wie du mir einst von deinem Traum erzähltest? Das Haus am See - nur du und ich - und friedvolle Ruhe.

Denkst du wirklich, dass dieser Traum eines Tages in Erfüllung gehen wird?

So sehr ich mich nach diesem Frieden sehne - ich glaube nicht daran.

Es wird Morrigu sein, die deine Seele empfängt und nicht Amatheon.

Ich werde diejenige sein, die an deiner Seite ist, wenn dein Herz den letzten Tropfen Blut ans Tageslicht pumpt.
Ich werde diejenige sein, die deine Hand hält, wenn du deinen letzten Atemzug tust.
Ich werde diejenige sein, die deinen leblosen Körper vom Schlachtfeld zerrt.
Ich werde diejenige sein, die dich zu Grabe trägt.
Ich ...

Ich bin nur wegen dir hier.


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#2

~

Ein wohliger Schauer läuft mir über den Rücken und ich spüre, wie sich die feinen Häärchen an meinen Armen und Beinen aufstellen. Das Kribbeln zieht meinen Rücken hinauf, hoch in den Nacken und von dort bis zum Scheitel. Es ist der bloße Gedanke an das, was passiert ist, der meinen Körper in Erregung versetzt.

Dein Blut ist längst getrocknet und in den Fugen zwischen den Steinen versickert. Mit meinen Fingern berühre ich die kalte, glatte Oberfläche, während der Wind unbarmherzig dunkle Wolken über den Himmel treibt. Der Schnee wird das Zeugnis dieser Nacht unter sich begraben und mit Einsetzen der Schmelze unwiderruflich vom Antlitz der Erde tilgen, doch keine natürliche Kraft vermag mir die Erinnerung daran zu rauben. 

Es fällt mir schwer dieses Gefühl in Worte zu fassen. Es ist, als würde es sich mit aller Kraft meinem Verstand entziehen wollen. Ich schließe die Augen und lausche in mich hinein, doch auf das Flüstern der Götter warte ich vergebens - stattdessen höre ich ein leises, scharrendes Geräusch.

Ein Scharren, das meinen Herzschlag beschleunigt.
Ein Schnauben, das mir durch Mark und Bein fährt.
Ein Knurren, das mich zusammenzucken lässt.

Angst keimt in mir auf und ich verspüre den Drang zu fliehen, ehe ich realisiere, dass es keine Fluchtmöglichkeit gibt. Ich sitze in der Falle.

Die Jägerin entblößt ihre Zähne. Wie ein gespiegeltes Ebenbild imitiere ich ihre Grimasse und starre ihr trotzig entgegen. Das schwarze Haar rahmt ihr in Mondlicht getauchtes, blasses Gesicht. Die dunklen, eng zusammengeschobenen Augenbrauen verleihen ihr einen bedrohlichen Ausdruck.

"Töte sie!", befielt die Kriegerin zu ihrer Rechten mit eisiger Stimme. 
"Verschone sie!", fleht die Mutter zu ihrer Linken leise.
Die Jägerin schweigt und sieht auf ihre Beute hinab.

Ich sehe deine stahlblauen, klaren Augen noch vor mir, weit aufgerissen vor Angst. Meine Finger haben dein Haar fest im Griff und zwingen dich mich anzusehen. Tränen wandern an deinen Wangen hinab und hinterlassen eine feuchte Spur auf deiner Haut. Die Klinge des Dolches drückt sich zärtlich in deinen schmalen Hals. Es ist dieser Moment, von dem ich zehre, der meine Gier stillt und mich berauscht.

"Töte sie!"


Die Kriegerin gurrt verzückt beim Anblick des Blutquells, der deiner Kehle entspringt.
Dein Leib sinkt kraftlos in die Arme der trauernden Mutter.

"Schenk ihr das Leben!"


Der Kuss der Mutter nährt deinen fast erloschenen Lebensfunken und spendet ihm neue Kraft, während die Kriegerin sich enttäuscht vom Geschehen abwendet.
Du ziehst die klirrend kalte Luft gierig in deine Lungen und schlägst die Augenlider wieder auf.
Die Jägerin leckt sich über die blutigen Lippen - ihr Hunger ist vorerst gestillt.


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#3
RAN - VINDA

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Ich erinnere mich an den Tag, als ob es gestern gewesen wäre, dabei liegt es inzwischen über 15 Jahre zurück. Ihre Gesichter hatte ich auf Steine gemalt, die ich wütend in den Sumpf warf. Stein um Stein. Es waren genau sieben Stück. Ich hatte mir keine Mühe beim Malen gegeben; ihre Fratzen sollten möglichst hässlich sein. In meinem Zorn hatte ich nicht mitbekommen, dass mir meine Mutter auf den Holzsteg gefolgt war.

"Anouk? Warum weinst du?", fragte sie besorgt.

"Ich hasse sie!"

"Sag so etwas nicht", ermahnte sie mich streng.

"Sie wollen nicht mit mir spielen!"

Der letzte Stein flog in hohem Bogen über den Sumpf und verschwand mit einem "Plopp!" im schwarzen Morast. Ich zog den Rotz hoch und ließ mich dann am Ende des Holzstegs auf meinen Hintern fallen. Meine Füße baumelten nur knapp über der Wasseroberfläche. Mutter kniete sich neben mich und sah mich an, aber ich starrte weiterhin trotzig auf meine Knie. Dass mir die Tränen über die Wangen liefen, hatte ich gar nicht bemerkt.

"Warum spielen sie nicht mit dir?"

"... weil ich eine Hexe bin, sagen sie - wegen meiner verschiedenfarbigen Augen. Aelyn behauptet, ich würde sie alle in schleimige Kröten verwandeln. Ich wünschte, ich könnte es!"

Mutter legte mir behutsam ihre Hand auf die Schulter.

"Sie fürchten sich vor dir. Zeig ihnen doch, dass sie keine Angst haben brauchen, hm?"

"Sie lassen mich ja nicht. Bhreac ist gleich zu seinem Vater gerannt, dem Dorfschmied. Der hat mich geschimpft und gebrüllt, ich solle mich verziehen."

Mutters Stirn legte sich in tiefe Sorgenfalten. Ich konnte es nicht sehen, aber ich wusste, dass es so war, weil sie ihre Augenbrauen immer zusammenzog, wenn sie sich Gedanken über etwas machte - eine Eigenart, die ich unbewusst von ihr übernommen habe.

"Wie fühlst du dich?"

Mir schossen viele Beschreibungen durch den Kopf: Ich war wütend, enttäuscht und traurig zugleich. Aber das, was ich in diesem Moment am deutlichsten spürte, war das Gefühl allein zu sein.

"... einsam."

Mutter zog mich an sich heran und legte ihre Arme um mich. Ich vergrub mein Gesicht in ihrer Brust. Sie roch nach Kräutern: Lavendel und Eberraute, frisch und herb mit einen Hauch von Zitrone. Mutter hatte mir früh beigebracht die einzelnen Kräuter voneinander zu unterscheiden.

"Du bist nicht allein, Anouk. Die Welt um dich herum ist lebendig. Schau, siehst du den Vogel da drüben? Du hast ihn sicher nicht bemerkt."

Ich drehte meinen Kopf und sah zu dem hohen Schilf herüber. Dort saß ein kleines Vögelchen, eine Bartmeise, auf der Spitze eines Schilfrohres. In seinem Schnabel hatte es Nistmaterial gesammelt. Es war Frühling und die Brutzeit stand kurz bevor.

"Es sind nicht nur die Tiere, die die Götter mit Leben beseelt haben. Jeder Baum, jeder Strauch und jeder Stein ist lebendig, Anouk."

"Steine sind lebendig?", fragte ich ungläubig.

"Ja, auch die Steine."

Mein kindlich-naives Ich empfand in diesem Moment tatsächlich so etwas wie Reue gegenüber den Steinen, die ich wenige Augenblicke zuvor noch im Sumpf ertränkt hatte. Beschämt über mein Handeln, drückte ich mein Gesicht wieder an die Brust meiner Mutter.

"Du bist niemals allein. Wenn du ruhig bist und lauschst, kannst du die Vögel singen hören, den Atem des Windes auf deiner Haut spüren und den Herzschlag der Erde unter deinen Handflächen fühlen."

Mutter hob ihren Kopf an und sah zum Himmel hinauf.

"Und dann sind da noch die Götter, die auf uns hinabsehen und uns zuhören, Anouk."

"... aber sie antworten mir nicht!", protestierte ich.

"Sie antworten dir. Du erinnerst dich, was ich dir über die Zeichen erzählt habe?"

"Ja", gab ich kleinlaut zu.

"Eines Tages wirst du die Zeichen erkennen und sie verstehen."

Sie gab mir einen sanften Kuss auf den Haarschopf.

"Werde ich eines Tages auch Freunde haben?"

Mutter drückte mich zur Antwort einmal fest und schob mich dann von sich, um mir mit ihrem Ärmel die restlichen Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Ihr warmes, liebevolles Lächeln gab mir Hoffnung.

Hoffnung, die mir dieser Tage fehlt, wenn mich die Einsamkeit wieder einzuholen droht und ich mich fremd fühle unter den Menschen.

Ich vermisse dich, Màthair.


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