Halblicht
#1
Es war nicht zu fassen, was man dieser Tage alles von ihm verlangte: Als wäre der Kampf für einen verlorenen Posten, das Streiten in einer verlorenen Schlacht nicht genug, nein, nun musste er dabei auch noch versilberte Klingen und Bolzen benutzen. Natürlich war niemand bereit, dafür aufzukommen. Und natürlich würde im unwahrscheinlichen Falle, das jemand von der Expedition zurückkehrte, der Ritter oder sonstwer klar stellen, dass Er für das Gelingen der Operation verantwortlich gewesen war: Der sorgsame Planer. Warum also tat er sich den Unfug an? Was trieb ihn dazu?

"Es geht ums Überleben, Ilvar. Es ist eine Sache der Notwendigkeit. Du hast keine Wahl." Er sprach die Worte zu den kleinen, träge unter der Decke entlang ziehenden Rauchfäden hin, die im Schein der Öllampe feine Schatten auf das grob bearbeitete Gebälk warfen, das der Kälte und Nässe von draußen nur ungenügend zu trotzen vermochte. Regen trommelte aufs Dach und bei jedem Windstoß knarzten die Balken des alten Hauses bedrohlich. Manchmal wunderte er sich, dass die Katz' überhaupt noch stand, nach so vielen Jahren ... Ein schwerer, süßlicher Geruch hing in dem kleinen, unordentlichen Arbeitszimmer und ein letzter Funke glomm noch in der Pfeife, die halb vergessen in seinem Mundwinkel hing. Er würde alsbald ersterben, denn die Aufmerksamkeit des Rauchenden wollte und wollte nicht zu ihr zurück kehren.

Er hatte eine Wahl gehabt: Die, sich zurückzuziehen, sich aus den Dingen herauszuhalten, die mehr Ärger als Nutzen versprachen, aber eine Stimme in seinem Ohr pflegte in diesen Fällen stets zu sagen, dass es nur recht so war. Es war Recht, den Leuten, denen er etwas nahm, auch etwas zurück zu geben. Später, als er dann eine bedeutende Funktion in der Stadt übernommen hatte war es eher ein Rachegedanke gewesen, der ihn an Rückzug denken ließ: Die Rache an einer Gesellschaft, die ihm niemals eine faire Chance gelassen hatte, wie sehr er auch für sie eingetreten war. Eine Gesellschaft, die ihn bei all seinem tun, mochte es auch im Verborgenen geschehen sein, doch ausgestoßen hatte. Sein Bürgertitel war ebenso eine Farce wie das Amt, das er bekleidet hatte. Andererseits war ihm so erst bewusst geworden, wie sehr man die Amtsträger und Entscheider der Stadt doch schlicht ignorieren konnte. Sie entschieden nichts weiter als das, was in den engen Grenzen ihrer Besprechungssäle geschah. Darüber hinaus waren sie machtlos. Sie hörten nicht, was auf der Straße gesprochen wurde. Sie handelten niemals selbst. Ihre Augen waren andere, ihre Ohren waren andere und sogar ihre Hände waren nicht ihre eigenen. Sie waren tot.

"Lasse niemals zu, das persönliche Gefühle dein Handeln leiten. Du neigst dazu, nicht mehr klar zu urteilen, wenn Persönliches im Spiel ist. Und nichts, Ilvar, ist persönlicher als Rache. - Wenn die Dinge persönlich werden, dann nimm Abstand davon." ließ er die Decke wissen und furchte dabei die Stirn. In nüchternen Momenten war ihm bewusst, dass - bei allem verletzten Stolz - gerade jetzt alle an einem Strang zu ziehen hatten. Er würde also seinen Teil tun. - Er würde ihn auf seine Weise tun.

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Er war schon immer ein wahrer Lyonsgläubiger gewesen. Münzen, gleich welcher Prägung, gleich welchen Materials, hatten sein Leben in festem Griff gehalten. Da war es nur recht, diese sehr intime Beziehung auf eine neue Stufe zu heben. So dachte er wenigstens, als er den kleinen, blechernen Salbentiegel vor den Augen drehte. Es würde funktionieren, da war er sich ganz ganz sicher. Zumindest sicher genug.

Etliche Stunden hatte er über seinen Schreibtisch gebeugt verbracht, einen Schilling in der einen Hand, eine Feile in der anderen. Feiner Silberstaub hatte sich zuerst hauchdünn, dann immer dicker und schließlich als kleines Häufchen auf das untergelegte Pergament gelegt. Schließlich war sein Geldbeutel leer gewesen. Dies war also das Gift, das die Bleichen verwunden konnte. - Und es war erstaunlich leicht zu beschaffen.

Leider war das Gift selbst nur die Hälfte dessen, was das Waffengift ausmachte. Man musste es schließlich auch noch auftragen können. Für Flüssigkeiten war das halbwegs einfach: Man nahm ein wenig Honig zur Hand und vermengte so viel davon mit dem Gift, bis sich eine klebrige Paste ergab. Diese wurde dann eben auf den Stahl gestrichen. Bei öligen Giften wurde es schon schwieriger. Da musste es genau der rechte Talg sein. Er musste sich nämlich einerseits mit dem Gift vermengen lassen und dann auch noch so weich bleiben, dass man ihn ohne große Mühe auf die Klinge bekam. Aber wie stellte man sich eigentlich bei Metallstaub an?

Er hatte sich auch hier für den Talg entschieden und ihn mit dem Silberstaub und einigen weiteren, wundersam duftenden Ingredienzien zu einer Salbe zu vermengen. Es war hauptsächlich Salbei und - für die Abergläubischen - ein Hauch Knoblauch. Schließlich hatte er das ganze auf einen Metallbolzen geschmiert und siehe da: Die Paste haftete ganz wunderbar. Danach hatte er sein Gemisch in Metalltiegel gefüllt und Etiketten angeleimt. Der gewählte Name auf dem Etikett erschien ihm völlig angemessen und nicht einmal einen Hauch reißerisch. - Solange das Ganze auch wirkte.

Schillings Bleichenschreck
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#2
Vor der Blutkonklave im Jahre 1403 hatte es eine Gewissheit gegeben, die in seinen Augen unumstößlich war: Das Armenviertel war sein. Er teilte die Hoheit darüber mit niemandem. - Und dann hatte die lieb gewonnene Ansammlung von Zelten und windschiefen Holzhütten ganz einfach Feuer gefangen. Das die Bleichen dafür die Verantwortung trugen konnte kein recht denkender Mensch bezweifeln. Der heilige Zorn hatte ihn gepackt und er hatte gegen die Zahnmonster gefochten wie nie zuvor gegen einen Gegner. Jetzt ging es offenbar in deren Heimat und so gebot es das Recht, das er zurück gab, was man ihm angetan hatte: So die Spiegelwelt brennen konnte würde er sie brennen sehen.

Die Silberpaste konnte dabei nur der erste Schritt sein. Mit gewöhnlichen Waffen war nur gegen einzelne Gegner Schaden zu verursachen, aber was, wenn die Visionen nicht übertrieben waren? Was, wenn man sich wirklich einer Horde gegenüber sah, denen mit Schwertern und Bolzen nicht beizukommen war? Sicher, er hatte Brandflaschen zur Verfügung, aber die waren schwer herzustellen und zudem in Innenräumen schierer Selbstmord.

Warum nicht weiter denken? Warum nicht die Kraft des Silbers auf eine Sprengbombe übertragen?

Zuerst hatte er seine sämtlichen Mittel mobilisiert. Binnen kürzester Zeit war ein passendes Gebäude im Armenviertel gefunden. Er hatte Regale aufgestellt, Schutzhelme besorgt, Lederwämse bereit gelegt und sogar ein Wasserfass angeschafft, um einen möglichen Brand zu löschen, der auf den ebenfalls aufgestellten Werkbänken entstehen konnte. Eine alchemistische Grundausrüstung hatte ebenso Platz gefunden wie ein umfangreicher Satz Feinwerkzeuge. Wenn man an Sprengflaschen arbeitete, dann war Fingerspitzengefühl vonnöten und dafür brauchte es ordentliches Werkzeug. Er hatte sich nicht lumpen lassen.

Danach hatte er sich mit der weitaus schwierigeren Frage beschäftigt, die Sprengflaschen zu versilbern. Ihm war dabei durchaus bekannt, dass es häufig Teile und Bruchstücke der Metallflasche waren, die den Opfern einer solchen Waffe den Tod brachten und so hatte er bereits damit begonnen, Schillinge mit einem Hammer platt zu klopfen und zu zerschneiden, um sie auf eine Flasche zu kleben, als ihm - so dachte er - eine bessere Idee kam. Er zog sich seine Handschuhe über und machte sich auf den Weg, um ein paar Besorgungen zu erledigen.

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Er hatte lange und gründlich darüber nachgedacht und jetzt, da er die Waffe in der Hand hielt, gab es kein Zurück mehr. "Glaub mir, das hier tut mir sehr viel mehr weh als dir, mein Junge. Aber ich brauche dein Silber." sprach er mit einem schmerzlichen Ausdruck auf den Zügen, als er mit dem Knüppel ausholte. Sekunden später erklang das Klirren von Glas im Armenviertel. 

Spiegel waren stets seine Freunde gewesen. Dabei war er nicht etwa eitel, er fand sie nur besonders praktisch. War es, um um Ecken zu spähen oder den Sitz eines falschen Schnurrbartes zu korrigieren: Für einen Dieb lohnte es sich bereits früh in der Karriere, in einen Handspiegel zu investieren. Das hatte auch er getan. Später waren dann weitere Spiegel dazu gekommen und andere zerbrochen und schließlich, zu seinem letzten Geburtstag, hatte man ihm ein besonders formschönes (und vor allem großes) Exemplar - einen Standspiegel - geschenkt. Das der nun sein Ende ausgerechnet auf seiner Werkbank fand hatte er indes nicht erwartet, doch verzweifelte Zeiten forderten wohl verzweifelte Methoden. Er hatte einen weiteren Geistesblitz gehabt, und für den brauchte es eben Spiegelscherben. Da mussten persönliche Gefühle in den Hintergrund treten. Es galt, Spiegel mit Spiegeln zu bekämpfen.

Scherbe um Scherbe hatte er den zerbrochenen Spiegel in den Mörser befördert und mit viel Geduld waren aus großen Scherben kleine geworden. Danach hatte er einen Leinenbeutel  zur Hand genommen, eine Handvoll des gewonnenen Materials hinein gegeben und eine kleine Sprengflasche ins Innere gestellt, ehe er mit Scherben aufgefüllt hatte. Zum Schluss hatte er den Beutel unterhalb des Halses der Sprengflasche zugebunden und dann in Leim, ehe alles auf ein Trockengestell gewandert war.

Er wusste nicht, ob das ganze die Mühe wert gewesen war. Er wusste nicht einmal, ob der Hauch von Silber überhaupt ausreichen würde, um einem Bleichen ernstlich gefährlich zu werden. - Aber das war ihm gleich. Sein Tatendrang war gestillt und er fühlte sich vorbereitet. So sehr das im Angesicht der bevorstehenden Aufgabe überhaupt möglich war. Musste nur noch ein passender Name für die völlig sichere Konstruktion her. Nach reiflichem Überlegen erschien ihm nur ein einziger Name angemessen:

Schillings Silbersturm
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