FSK-18 Auf dünnem Eis
#11
26. Ernting (Sommer)

Falk packte ihr Handgelenk zwischen Armschiene und Handschuh. Sie stand wie festgenagelt, während drinnen eine Frau laut anfing zu klagen und grelle Kinderstimmen sich haltlos greinend dazugesellten. Die Stimme des Erzpriesters an ihrem Ohr:

„Vorwärts! Jetzt beweist Ihr Euch, Anwärterin. Hat dieses Gesindel etwa ein Dach über dem Kopf verdient?“

Die Frage, was das Gesindel getan hatte, lag ihr auf der Zunge, aber sie kannte Laurenz Falk gut genug, um sie nicht zu stellen. Er sparte sich das Warten auf die Antwort, nachdem die Frage ohnedies rhetorischer Natur gewesen war. Der Schraubstockgriff um ihren Arm löste sich und so senkte Marit den Kopf, um die Keusche zu betreten. Aus dem Augenwinkel sah sie Falk folgen, die Türe schließen und sich im Türrahmen aufbauen, den er damit blockierte. Pentos’ und Talpas Fackeln leuchteten das Zimmer mühelos aus. Sie senkten die Fackeln rasch, sonst hätte das strohgedeckte Dach Feuer gefangen. Wieder eine niedrige Stube, doch weitaus schmuckloser als die letzte. Hier residierten keine Kaufleute, sondern Keuschler, die von Zuckerwerk und Portwein nur träumen konnten. Der gestampfte Erdboden in der Hütte war mit Stroh bedeckt. Fliegen belagerten einen Topf, der offen am Herd stand und dunkel von ihren Körpern war. Träge erhob sich ein erstes Bataillon der Insekten, als das Licht sie erreichte. Ein erschlagender Geruch nach Kraut und ungewaschenen Körpern, nach beißendem Zwiebeleintopf und unverhüllter Armut beherrschte den Raum. An einem Kamin drängten sich jammernd zwei Jungen und eine Alte mit verhärmtem Gesicht zusammen, alle drei in unterschiedlichen Tonlagen beständig heulend, sie hätten nichts getan. Die Jungen, die etwa vier und sechs Jahre sein mochten, klammerten sich an dem fleckigen Rock der Alten fest. Diese blickte hilfesuchend zu einer vierten Person. Pentos und Talpa standen einem breitgebauten Kerl von etwa 20 Sommern gegenüber, der mit nichts als einer Leinentunika, einer dünnen Hose und seinen Fäusten bewaffnet war. Die geballten Fäuste reckte er ihnen mit erhobenem Kinn entgegen. Mut und Dummheit lagen manchmal nah beieinander.

„Was wollt Ihr hier? Verdammtes Aschegottgesocks! Lasst uns in Frieden!“

Pentos’ Gesicht war ein offenes Buch. Die Fackel fiel ihm beinah aus der Hand, als er sie Marit in die ihre drückte. Er konnte sich kaum still halten von der Aussicht, dem Diktat seines Naturells ungestraft folgen zu dürfen. Und wirklich – Falk senkte gnädig seinen Kopf und ließ den Bluthund von der Leine. Krachend schoss die Faust des Anwärters gegen das Holz, nur knapp am Kopf des Keuschlers vorbei. Falk trat zu Pentos vor, die Ruhe selbst. Seine Stimme war so tragend wie bei der Morgenandacht, ganz als spräche er zu einem unsichtbaren Publikum. Weit breiteten sich die Arme des Erzpriesters aus, wie Flügel.

„Seht den Verdammten, der in Schmutz und Elend lebt, nah an der Erde, wie die dreckigen Götter, denen er huldigt. Seht Lan Parzer, der sich von blindem Fanatismus leiten ließ! Er wurde verraten und plante einen feigen Anschlag gegen unseren geliebten Hermeno Falkner, Pfeiler des wahren Glaubens!“

Parzer wollte sich auf ihn stürzen, wurde aber von einem Bolzen in seinem nackten Fuß daran gehindert. Jeder vergaß auf Talpa. Immer. Er jaulte auf und kippte bewusstlos zur Seite, als Pentos ihm einen Kinnhaken mit gerüsteter Hand verpasste. Marit hörte es knirschen. Es lag nicht in Pentos’ Natur, Zurückhaltung walten zu lassen, wenn er endlich seine Zähne in ein Opfer schlagen durfte. Die Alte wollte Talpa davon abhalten, ihr weniges Hab und Gut aus der einzigen Kommode im Raum zu reißen, wurde aber von einer langsam erhobenen Fackel abgelenkt. Talpa führte ihr Werk ungehindert durch. Die Kinder hockten starr am Kamin und waren verstummt, während die kleine Hohenmarschnerin in der Kommode herumstöberte.

Führte Mithras ihre Hand oder war der Wunsch, bedingungslose Gehorsamkeit walten zu lassen, endlich gefestigt in ihrem Inneren geworden? War es Falks Erwartung, die den Impuls gab oder war es ein tiefer Glaube an die Herrlichkeit des Herrn, die ewig währen und einen jeden ereilen sollte? Es war nicht zu sagen, was ihr Kraft gab, aber Marit Stein fühlte, wie die Welt stillstand und unendlicher Friede in ihr einkehrte, als sie die Fackel anhob. Sanft sprach die Anwärterin über das aufkeimende Geschrei hinweg:

„Mögen die Flammen alles Lästerliche an diesem Ort ausbrennen.“

Das Stroh über ihrem Kopf brauchte keinen Herzschlag lang, um das reinigende Feuer anzunehmen, ganz als sei es ihm willkommen. Zu lange schon hatten Trockenheit und Hitze das Land beherrscht. Ja, Marit Stein vermeinte gar, ein frohlockendes Seufzen wahrzunehmen, als das Dach Feuer fing. Sie hatte keine Eile und hielt den Kopf in den Nacken gelegt, beseelt vom hell auflodernden Rot. Pentos steckte den Kopf in die Stube und zog Marit nach draußen.

Die Kinder und die Alte klammerten sich aneinander fest und weinten vor sich hin, nunmehr leiser. Der kampflustige Mondwächter lag reglos neben ihnen, von der Alten hinausgeschleppt. Hätte Marit etwas anderes als diesen inneren Frieden fühlen sollen? Alles in ihr war so ruhig. Kein Zagen, kein Zaudern, kein Abwägen. Keine Verzweiflung. Keine wild lodernden Sehnsüchte, die unstillbar bleiben mussten. Keine Bilder eines nackten Männerkörpers in der Wintersonne, kurz vor dem Eintauchen in den See. Kein trockener Mund, nur weil Yngvars Blick zu lange auf ihr ruhte. Kein Aussetzen des Herzschlags, weil sie ihn mitten in Silendir zu sehen glaubte. Stille. Frieden. Tun, was zu tun war. Befehle ausführen, die es auszuführen galt. Der Schild des Herrn sein, das Schwert, das Falk ersehnte.

Die Keusche brannte lichterloh, und es war recht so. Niemand kam mit Wasser, niemand kam mit Eimern. Ahnten die Guldenacher, was hier passiert war?

„Nehmt ihn mit, Anwärter.“

Lan Parzers Familie leistete keinen Widerstand mehr, als der Reglose von Pentos und Marit hochgehoben wurde. Die Mithrasdiener packten ihn an den Beinen und Handgelenken, während die Alte mit den Kindern in der Nacht verschwand. Aus sicherer Entfernung rief sie ihnen etwas nach. Marit konnte die Worte nicht ausmachen. Falk widmete weder ihr noch den Jungen weitere Aufmerksamkeit, sondern betrat den Weg. Die Flammen waren bald aus dem Blickfeld. Der Angeschossene hätte schwer sein müssen, aber Marit fühlte, sie hätte einen Amboss schleppen können. Nichts war mehr schwer in dieser Nacht.

An den Toren des Tempels angekommen, traten die Wachen hinzu, um den Gefangenen zu inspizieren. Falk wies sie barsch an, an ihren Posten zurückzukehren.

„Bringt ihn ins Verlies. Untersucht ihn auf Waffen. Anwärterin Stein, Ihr werdet der Befragung morgen früh beiwohnen. Nehmt die Schlüssel, Anwärter Ruthe. Ihr schreibt das Protokoll.“

Pentos wirkte enttäuscht. Marit wusste, er hätte liebend gerne mit ihr getauscht. Talpa gähnte und wurde von Falk mit ruppigem Befehl in die Waffenkammer geschickt. Sie stiegen langsam die Treppen hinunter. Die Wendeltreppe hinunter in den Kerker war eng und steil. Ab und an tockte der Kopf des Mondwächters gegen die Wände. Die Anwärter kümmerten sich nicht darum. Pentos schloss die Tür zu einer der mittig gelegenen Zellen auf. Zusammen legten sie den Mann hinein. Die Mühe, den Bolzen aus seinem Fuß zu entfernen, machte sich keiner.

„Ich den Unterkörper, du den Oberkörper. Mach schnell, ich verdurste.“

Marit nickte, und während Pentos methodisch die Beine des Bewusstlosen abtastete, zog sie ihre Handschuhe ab, hängte sie am Gürtel ein und hob das Hemd des Fremden an. Sie erwarte nicht, eine Waffe vorzufinden. Wenn er eine trug, warum hatte er sie dann vorhin nicht gezogen? Unter dem Leinenhemd blitzte etwas schwach im fahlen Licht der Kellerfackeln. Ein bronzenes Medaillon an einem Lederband. Pentos hatte sich schon wieder aufgerichtet und murrte ungeduldig vor sich hin, Richtung Treppe wandernd. Marits Körper verdeckte ihm die Sicht auf den Gefangenen. Sie ballte die Faust um das blitzende Ding und hob es dem Mondwächter von seinem drecksstarrenden Hals. Er riss die Augen auf, lallte etwas Unverständliches und grapschte nach ihrer Hand, doch da hatte sie sich schon erhoben und die Zellentür ins Schloss geworfen.

„Hehe. Gute Nachtruhe. ‘S is’ mit Sicherheit sauberer hier als in deiner stinkenden Hütte, Drecksschwein.“

Marit hörte den Gefangenen noch stöhnen, als sie hinter Pentos die Treppe hinaufstieg. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, das Medaillon in ihrer Hand fühlte sich heiß an, als wollte es ihr die Handfläche versengen. Sie wagte nicht, es genauer anzuschauen. Nicht hier. Pentos schwatzte unablässig und öffnete endlich die Tür zur Küche.

„Na komm, Steinchen, ein Belohnungstrunk.“

„Anwärterin Stein. Nein, danke. Ich muss meine Rüstung säubern.“

„Wie du willst, Steinchen. Ich wart’ auf den Tag, an dem du mal aufweichst!“

„Möge der Herr deinen Schlaf segnen.“

Die Tür fiel hinter ihm zu und sie trat unter die nächstbeste Fackel. Langsam öffnete sie die Faust. Die eingestanzten Buchstaben hatten sich in ihre Haut gedrückt, so fest hatte sie das Medaillon umklammert gehalten. M und A. Ein Medaillon in Form einer Münze. Wie die Münze, die Aurel Behringer auf den Tempeltreppen verloren hatte. Die Münze, die angeblich seinem Freund, dem Mondwächter, gehörte.

Ihr Frieden zerbröckelte.
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#12
27. Ernting (Sommer)

Es war die Stunde vor der Morgenandacht. Der Tempel würde lichtdurchflutet erstrahlen, und die Gläubigen die Heiligkeit des Herrn in ihren Herzen erwachsen spüren. Man würde mit frischgewaschenem Gesicht unter das Tempeldach treten. Man würde chorisch die altbekannten Worte sprechen. Man würde sich gemeinsam erheben, man würde sich gemeinsam niederlassen. Man wäre eins mit einer erstarkenden Gemeinde aus Mithrasgläubigen, man wäre eine jubelnde Stimme in einem mächtigen Chor, der Tempelmauern erzittern lassen konnte. Man würde die Hände im rechten Augenblick falten, das „So sei es!“ an der Seite seiner Glaubensbrüder und –schwestern sprechen und die Wärme des anbrechenden Tages dankbar empfangen, wenn sie durch die bunten Glasfenster fiel.

Es gab wenig, das Marit Stein liebte und vieles, das sie hasste. Aber die Morgenandacht liebte sie seit jeher. Daran dachte sie, als sie eine Zange, eine Fackel, zehn schmale Holzpflöcke und einen kleinen, goldenen Hammer auf einem goldenen Tablett drapierte. Nicht an ausgerissene Fingernägel. Nicht an verbrannte Hautstellen in empfindlichen Körperregionen. Nicht an das Schmatzen von eingetriebenem Span unter Haut. Nicht an Schreie. An die Morgenandacht.

Sein Siegelring stieß immer wieder gegen die goldene Schüssel, in der er sich die Hände wusch. Dieses dumpfe Geräusch war das einzige, welches die Stille in der kleinen, lichtlosen Kammer in den Eingeweiden des Tempels störte. Die Kammer war zur Vorbereitung gedacht und bestand ausschließlich aus dunklem Holz und grauem Stein. Schwere Eichenkästen nahmen die gesamte Längsseite ein. Unzählige Schubladen wuchsen bis zur Decke, fein säuberlich außen beschriftet. Ihr Inhalt? Werkzeuge der Pein.

„Seife.“ Er hatte sich an der einen Breitseite des einzigen Möbelstücks, eines einfachen, schweren Tisches, aufgebaut, sie bereitete an der anderen jene Hilfsmittel vor, die der Wahrheitsfindung dienen sollten.

Marit Stein reichte dem Erzpriester ein perfekt geformtes weißes Seifenoval mit eingestanztem T, das von einem eifrigen Anwärter auf einem lächerlich kleinen Teller platziert worden war. Ein Gruß der Talers, eine Aufmerksamkeit für die neue Kundschaft. Ein eigener kleiner Goldteller für Seife. Silendir war so eigentümlich. Penibel trocknete seine Seligkeit sich die Hände mit einem bestickten Leinentaschentuch. Geistesabwesend starrte Marit Stein auf die Stickerei: „Ewig Mithras!“ Sie hatte nicht bedacht, wie schnell er Witterung aufnehmen konnte.

„Habt Ihr Zweifel? Ihr habt sein Haus in Brand gesetzt, Anwärterin. Vergesst das nie. Das wart Ihr allein.“

„Sehr wohl, Eure Seligkeit.“

„Das war ein Lob, Anwärterin Stein.“ Ein Lob und eine Drohung. Wenn jemand fragte, wer das Haus der Asche gleichgemacht hatte, war ihr Name die Antwort. Sie wusste das, genauso wie sie wusste, wie die Hammerhallner Obrigkeit agieren würde, wenn man Häuser in Brand setzte: Sie würde den Büttel schicken, jemanden finden, der unsanft am Schlafittchen vor aller Augen aus seinem Haus gezogen werden konnte und den Verantwortlichen einkerkern, bis eine fürstliche Entscheidung am Tisch war. Welchen Glaubens man war, welche Motive man hatte, das kümmerte den Büttel dabei so wenig wie goldene Seifenteller. Aber Silendir war nicht Nortgard.

„Ich habe es verstanden, Eure Seligkeit. Danke, Eure Seligkeit.“

„Weder Anwärter Ruthe noch Ihr habt also etwas von Wert bei ihm gefunden. Keine Papiere, keine Briefe. Nichts. So stand es in seinem – mit Fehlern gespicktem – Bericht.“ Er las aus der Akte vor, die Hände daneben flach auf den Tisch gestemmt.

„Lan Parzers Armut ist der schmierige Fleck auf dem reinweißen Altartuch, der das Auge beleidigt, Eure Seligkeit. Nein, wir haben nichts bei ihm gefunden außer einer Armada von Flöhen.“

Er schaute auf und sie zwang sich, seinem Blick ehern standzuhalten. Zu viele Worte? Zu viel Gegensatz zu ihrer üblichen Einsilbigkeit? War die Lüge so offensichtlich? Die Münze brannte heiß in der Wappenrocktasche. Sie spürte nervöse Hitze ihr Gesicht hinaufsteigen und hoffte auf das fahle Licht als Komplizen. Schließlich wandte er sich zu den Schubladen und entnahm ihnen ein paar dünne Seile, die er prüfend spannte. Zufriedengestellt hängte er sie an seinen Gürtel.

„Das muss nichts heißen, Anwärterin. Er hatte kaum Zeit, etwas an sich zu raffen. Wir werden die Wahrheit ans Licht bringen, so wie es ihr bestimmt ist. Wir brennen die Falschheit und die Sünde aus ihm, denn so und nicht anders hat es jeder verdient, der sich dem Licht in solcher Hybris entgegensetzt.“

„Jawohl, Eure Seligkeit.“

Er schritt zu der niederen Türe, die in den Kerker hinabführte und öffnete sie weit, nur um wieder einen Schritt zur Seite zu tun. Sie hatte schon das Tablett aufgehoben, bereit, es an den Ort seiner Bestimmung zu tragen.

„Singt etwas.“

„Bitte?“ Sie ließ den Titel weg. 

„Ihr habt in Nortgard gesungen, Anwärterin. Singt hier.“

„Ich kenne keine silendrischen Lieder.“

„Singt ein nortgardisches. Für dieses Vieh da unten macht es keinen Unterschied. Wir werden es das Wort des Herrn fürchten lehren. Das ist ein Vorgeschmack. Ihr seid das Schwert des Herrn. Doch nicht jeder fürchtet Stahl. Lernt, feine Klingen zu ziehen, wenn es sein muss.“

Was sie sagen wollte, war: „Man erhebt seine Stimme nicht in Kellern, wo das Licht so unendlich weit entfernt ist.“
Was sie sagte, war: „Wie Ihr wünscht.“

Die Stimme klang ihr selbst falsch und fremd in den Ohren, von den Wänden zurückgeworfen, gedämpfter als sonst. Das Lied, das ihr als erstes in den Sinn kam, war für hohe Feiertage gedacht, die Töne klangen verzerrt, die Harmonien unausgewogen und sie kämpfte sich förmlich bis ans Ende:

Tauet Himmel den Gerechten // Wolken regnet ihn herab // rief das Volk in bangen Nächten // dem er die Verheißung gab // Einst den Retter selbst zu sehen // ins Elysium einzugehen // denn verschlossen war das Tor // bis dann Mithras trat hervor

„Ihr werdet die Instrumente ansetzen. Ich werde sprechen.“

„Eure Seligkeit.. ich.. das kann ich nicht.“

„Ihr könnt, Ihr werdet.“

Er wandte sich zur Treppe, und ob sie sich über diese Aufgabe freute, ob sie sie scheute wie der Dämon den jungen Morgen, ob sie sich daraufstürzte oder sich verweigerte – es spielte keine Rolle. Benommen und hölzern folgte sie dem Erzpriester in die Tiefe. Pechfackeln erhellten die enge Treppe. Es wurde kälter und kälter. Ahnungen von Sommer, von Wärme und Licht verflüchtigten sich mit jeder Stufe mehr, bis ihr nur der blanke Wille blieb, zu tun, was zu tun war.

Lan Parzer war an die Wand gerutscht. Sie fand seinen Anblick erbärmlich. Ein dreckiges Bündel Mensch hinter Gittern mit einem Bolzen im Fuß, das in einem Haufen Lumpen kauerte. Dieses Geschöpf, ein ekelhaftes Konvolut aus Sehnen, Fleisch, Haut und Knochen sollte es auf Hermeno Falkners Leben abgesehen haben? Obschon breitschultrig gebaut, war im Augenblick jegliche Spannung aus seinem Körper gewichen. Eine mitleidige, aber vorsichtige Seele hatte ihm Essen hingestellt. Er war an Händen und Beinen gefesselt und die angekauten Brocken Brot in der Schüssel verkündeten, dass er versucht haben musste, wie ein Tier an ihnen herumzubeißen. Seine Augen waren geweitet. Kein Wort verließ die spröden Lippen des Gefangenen.

Falk packte zwei Sessel an der Lehne und stellte sie einander gegenüber. Ein leeres Fass bildete einen kruden Abstelltisch für Marit Steins goldenes Tablett mit den finsteren Werkzeugen.

„Heraus mit ihm. Genug der Faulenzerei.“

Falk drückte ihr seinen Schlüsselbund in die Hand. Sie schritt mit bleiernen Gliedern zur Zellentüre, schloss sie langsam auf, öffnete sie mit Bedacht und packte den Gefangenen am Oberarm. Halbherzig versuchte er, sich zu wehren, doch nach einer Nacht im Kerker und mit der Verletzung, die ihn zwang, sein Bein so still wie möglich zu halten, um den Bolzen nicht tiefer zu treiben, blieb es beim Versuch. Marit trat ihm einmal gegen den Bolzen im Fuß, der damit abbrach. Er heulte auf, erschlaffte aber in ihrem Griff und ließ sich zum Sessel ziehen. Sie hievte ihn hinauf, nahm Falks angebotene Seile entgegen und fädelte sie in die Fesseln des Gefangenen ein. Für einen kurzen, irren Moment hallte die Stimme ihrer Mutter in ihrem Kopf wieder, die Nadel und Faden hochhielt und mahnte: „Langes Fädchen, faules Mädchen, Vigdis! Nun schneid schon ab.“ Sie hätte gern gelacht. Sie lachte nicht. Nicht an Mutter denken. Nicht an Nortgard. Nicht an... keine Namen mehr. Nur an die Morgenandacht.

Mit methodischen Griffen wand sie die Seile um die Stuhlbeine. Die Handfesseln löste sie, damit sie die Arme um die Rückenlehne führen und die Hände dort wieder festbinden konnte. Falk setzte ein Raubtierlächeln auf. Parzers Blick flackerte zu dem hübschen Tablett und dem in Szene gesetzten Werkzeug, das darauf prangte.

„Wir legen Wert auf Ordnung, müsst Ihr wissen. Es klebt kein Blut eines anderen daran, falls Euch das Sorge bereiten sollte.“

„Ich spucke auf deine Ordnung, du Schweinepriester!“

„Na na na. Nur mal nicht unflätig werden. Anwärterin, ich denke das verdient einen Span. Was meint Ihr?“

Sie antwortete nicht, sie handelte nur. Das Hämmerchen sah aus wie das teure, filigrane Instrument eines Heilers, der sich nur um silendrischen Adel kümmerte. Es würde sich gewiss gut in einer Heilervitrine machen. Lan Parzers Hand wollte aus der schraubstockartigen Umklammerung fliehen, in die sie sie zwang, aber da hatte sie die Rechnung ohne Anwärterin Stein gemacht. Sie sang das Lied im Kopf noch einmal, als der Span zwischen Nagel und Haut getrieben wurde.

Tauet Himmel den Gerechten

„Du Hure!“

„Noch einen, Anwärterin. Er lernt nicht.“

Wolken regnet ihn herab

Haut war so nachgiebig.

Rief das Volk in bangen Nächten

„Mithrasdreckstück!“

„Alle zehn, Anwärterin.“

Dem er die Verheißung gab

Seine Hände waren gekrümmte Klauen geworden. Marit Stein trat hinter Falk auf die andere Seite und richtete den Blick zur Wendeltreppe, weit über den Kopf des Gefangenen hinweg.

„Wer sind die Drahtzieher?“

„Verfaul doch im Abyss, Hundsfott.“

„Ihr habt die Anwärterin kennengelernt. Ihr seht die Zange hier. Wisst Ihr, wofür die Zange ist? Dafür, Euch die Nägel herauszureißen. Jeden einzeln. Ihr habt allerdings nicht nur zehn Fingernägel, sondern ihr habt auch Füße. Ich bin überzeugt davon, dass sie drecksstarrend sind, aber das wird Anwärterin Stein nicht aufhalten. Wir finden Handschuhe für sie. Wie ich schon sagte, wir legen großen Wert auf Ordnung. Ihr könnt Euch nun also entscheiden. Entweder Ihr sprecht und wir lassen Euch keine weiteren Zuwendungen zukommen, Ihr wandert wieder zurück in Eure Zelle und könnt dort den Rest Eurer Tage bei guter Verpflegung zubringen. Oder Ihr schweigt und lernt unsere weniger gastfreundliche Seite kennen.“

Falk neigte sich nach vorne, als wolle er Parzer ein Geheimnis erzählen. Dieser starrte ihn schweißgebadet und leichenblass an.

„Wir schätzen es nicht, wenn man uns angreift, Herr Parzer. Das werdet Ihr gewiss verstehen.“

„Deine Mutter soll sich schrundig kratzen, bis sie elendig verreckt, Arschloch.“

Der Erzpriester drehte den Kopf zu Anwärterin Stein und schnalzte mit der Zunge.

„Ich würde der Anwärterin ja befehlen, Seife zu holen, um Euch den Mund damit auszuwaschen. Aber die ist eigentlich viel zu schade für Euch. Nein. Nein, wir sparen uns die Seife. Wir werden übergehen zu Mithras’ ureigenstem Element.“

Wie ein Schauspieler, der seine Mitspieler präsentierte, wies Falk mit grandios ausholender Geste auf die unbedrohlich ruhende Pechfackel am Tablett.

„Wenn ich bitten darf, Anwärterin.“

Sie schloss die Augen für zwei selige, lange Momente, als sie die Fackel an einer der schon brennenden Lichtquellen im Kerker entzündete. Parzer knurrte und geiferte Beleidigungen. Angesichts der nahenden Flamme erblasste er unter seinem verschwitzten, gequälten Gesicht. Er musste die Wärme spüren, sie trat hinter ihn und hielt die Fackel nur eine Handbreit von seinem Kopf entfernt.

Laurenz Falks Züge explodierten in einem herzlichen Lächeln.

„Ihr wollte das Licht des Herrn nicht nah an Euch wissen? Wie bedauerlich. Anwärterin, ich denke, wir fangen mit den Kniekehlen an. Wenn der Gefangene sich dann nicht kooperativ zeigt, versucht es mit den Achselhöhlen. Wer braucht schon Achselhöhlen, nicht wahr? Und wenn er hernach immer noch meint, den Helden spielen zu müssen..“

Er senkte den Blick auf Lan Parzers Hosenbund unter der Tunika ab.

Marit Stein dachte angestrengt an Madita Talers gepudertes Haar, den schweren Brokatstoff der Vorhänge in ihrem prunkvollen Haus, die sorgfältig aneinander gereihten Bücher in staublosen Eichenregalen, die konzentrierte Zivilisation, die Kristallgläser. Labsal. Ordnung.  Frau Taler würde maßlos enttäuscht sein, denn ein kleiner hohenmarschner Priester aus Lilienbruch war eingeteilt, die Messe zu halten, gerade in diesen Momenten. Morgenandacht, Morgenandacht, Morgenandacht.

„Morrigús Armee“, brach es aus dem Gefangenen hervor, „ihr sucht nach Morrigús Armee.“ Beschämt wandte er den Kopf ab, als Tränen über seine Wangen flossen.

Der Erzpriester aber hob den Kopf und musterte die Anwärterin und den Gefangenen fast sanft.

„Das habt Ihr gut gemacht.“

Niemand wusste, wen er meinte.
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#13
27. Ernting, später

Novize Hans Pollach wischte sich heillos schwitzend mit einem schon triefend nassen Taschentuch über die pausbäckigen Wangen. „Werde Priester“, hatten sie gesagt, „du vergeudest deinen Grips hier nur“. „Mithras lächelt dir“, hatten sie gesagt. Und ein besonders Vifer, der hatte gesagt: „Die Kirche holt sich immer die besten Köche, schwöre!“. Nichts davon war eine Lüge, aber die letzte dieser Wahrheiten verlangte ihm in diesem Sommer, in dem die Temperaturen unablässig anstiegen, alles ab, was er hatte. Unruhig schob er einen Finger unter seinen Gürtel. Bildete er sich das ein oder saß der schon lockerer, weil er so viel Wasser verlor?

Wulstig schob sich das Kinn des Novizen stets vor dem Rest seines Körpers durch die Welt, als wollte es jede Widrigkeit, die sich auf seinem Weg auftürmte, schon Kraft seiner Entschlossenheit zersprengen. Ein enormer Bauch türmte sich unter dem Novizenkinn auf. Novize Pollach hätte ohne die Kirche niemals dieses imposante Gewicht erreicht. Als er ihr beigetreten war, drei Jahre musste es her sein, war er ein rankes und schlankes Bäuerlein gewesen, ein viele Spannen langer Hansel, der siebte Sohn eines freien Bauern, der nur erben hätte können, wenn Mithras besonders ekelhafter Laune gewesen und seine Geschwister samt und sonders hinweggerafft hätte. So lange seine Erinnerung zurückreichte, war Novize Pollach brav neben dem Ochsenpflug gegangen, hatte stoisch Heu vom Wagen in den Heuschober verfrachtet, die Nasenlöcher gänzlich vom Staub verklebt, und die Scholle seiner Familie bestellt, wie der Herr es vorgesehen hatte – bis ihn eines Tages schlagartig die Erkenntnis traf, dass der Herr es so vielleicht gar nicht vorgesehen hatte. Seitdem hatte er sich fröhlich einen riesigen Bauch angefressen, auch wenn Laurenz Falk ihn dafür abwechselnd mit beißendem Spott und frommer Verachtung überhäufte und Hans Pollach nicht nur eine Buße für seine Maßlosigkeit und Völlerei hatte auf sich nehmen müssen. Die Schelte glitt an ihm ab wie Wasser an einer Wachsschicht. Niemand hatte ihn bisher überzeugen können, dass lukullische Enthaltsamkeit besser war als das eklektische Gefühl, sich fünf Törtchen hintereinander in den Mund zu schaufeln, bis die gesamte Mundhöhle von Biskuit und Schlagobers gefüllt war. Niemand hatte ihm weismachen können, Zurückhaltung schlüge das wohlige Essenskoma, das sich nach dem Genuss eines halben Schweinsbratens einstellte. Und schon gar nicht hatte ihm jemand erklären können, was so großartig am Fasten war, wenn Mithras doch Erdäpfelpüree erfunden hatte, damit man sein Gesicht in das zarte Gelb schmiegen konnte, wenn niemand hersah.

Sie warfen ihn trotzdem nicht hinaus, denn er hatte etwas, das nur wenige in der Kirche vorweisen konnten: Bauernschläue und jahrelange Erfahrung in der Landwirtschaft. Wer so eifrig wie die Silendirer Kirche Mondwächter ihres Besitzes entledigte, konnte nicht einfach deren Felder mirnixdirnix brachliegen und verkommen lassen. Wer so eine Schiene fuhr, brauchte eines dringend: starke – oder einfach nur willige – Arme, die Heugabeln in die Hände nahmen und die Drecksarbeit machten. Oft genug traf es Tagelöhner, die für ein paar Heller Lohn ihrer alten Mama die Erbsensuppe vom Herd gestohlen hätten. Manchmal trat jedoch eine Tagelöhnerknappheit auf, die mit verstärktem Anwärtereinsatz ausgeglichen werden konnte. So wie heute.

Novize Pollach sehnte sich nach Abkühlung, und nicht einmal der voluminöse Strohhut, der auf seinem Glatzenhaupt thronte und dessen baumwollenes Inneres bereits schweißdurchtränkt war, brachte ihm diese. Seine Laune wurde nicht besser durch die Betrachtung einer gänzlich nutzlosen Anwärterschar, von denen einer jämmerlicher aussah als der nächste.

Pentos Ruthe hielt die Heugabel martialisch-raubeinig in seiner Pranke als wäre sie ein Dreizack. Philomena Ruthe hatte ihre in den weichen Boden gerammt, die eisernen Spitzen voran, als fürchtete sie, sich von der fortgesetzten Berührung mit dem Holzstiel die Keuche zu holen und verharrte mit verschränkten Armen schmollend daneben. Talpa Ulat stützte sich vornübergeneigt und bucklig auf die aufgestellte Gabel als wäre das Werkzeug ein Krückstock und Talpa ein altes Weib mit Gicht. Anwärterin Marit Stein stand steif, übertrieben aufrecht und wachsam in der Gegend herum, als hielte sie die Heugabel für eine gesegnete Standarte, die sich nur durch ein Versehen während ihrer Wache in ihre Hand verirrt hatte. Einzig Aurel Behringer war in der Lage, zumindest so zu tun als habe er den Anflug einer Ahnung, wozu seine Forke überhaupt gut war. Pollach hatte den Anwärtern Leinenhemden und -hosen in die Hand gedrückt, in denen sie sich deutlich unwohler zu fühlen schienen als in ihren Rüstungen. Bestückt mit leichten Lederstiefeln, neuen Strohhüten und feingebügelten Kopftüchern wirkten sie eher wie eine Bande Amateurschauspieler, die den Auftrag bekommen hatten, eine Landszene mit Bauern darzustellen, aber dabei partout zu gut aussehen wollte, als die glorreiche Zukunft der Legion.

„Legionäre! Das seid ihr, schaut nicht so überrascht! Gradegestanden, Anwärterin Ulat! Und nicht so glupschäugig in die Gegend geglotzt, es tut Euch keiner was! Anwärterin Ruthe, ihr ruiniert mir die Heugabel. Aufnehmen! Das ist ein Werkzeug, Anwärterin Stein, keine fünfhundert Jahre alte Reliquie – es beißt Euch nicht, anpacken! Nehmt Euch ein Beispiel an Behringer! Was habt Ihr da in der Hand, Anwärter Ruthe?“

„’Ne Heugabel.“ Maulender als Pentos Ruthe konnte man die zwei Worte kaum hervorspucken.

„Habt Ihr vor, mich damit aufzuspießen?“

„Zu viel F... nein, Novize Pollach!“

„Zu viel Fett, oh, empfangt meine Huldigungen, großer Meister, ihr seid der brillanteste, kreativste Witzbold, den Guldenach je hervorgebracht hat. Habe Euren Pokal schon vorbereitet. Dann runter mit dem Ding, stellt Euch nicht dümmer an, als Ihr seid. Die spitzen Enden nach oben.“

Pentos Ruthe sah drein, als habe er einen Krug Essig getrunken und tat, was man ihm auftrug. Das funktionierte ja immerhin. In manchen Belangen war eben doch Verlass auf Legionärsanwärter. Sie widersetzten sich nur selten einer ausreichend geblafft vorgetragenen Anweisung, wenn sie ein paar Monde gedient hatten. Novize Pollach warf sich entkräftet das angesogene Taschentuch über die Schulter und besah sich die Reihe der fünf Aushilfstagelöhner, breit grinsend die Arme ausbreitend, als wollte er sie alle wie eine verlorene Brut missratener Sprösslinge an seine ausladende Brust ziehen.

„Ihr haltet es alle für unter eurer Würde, Heu einzubringen wie ein dreckiger Tagelöhner, der drei Tage vor seiner minderen Arbeit am Feld vielleicht noch zu seinen grässlichen Erdgöttern gebetet hat und beteuern würde, jedem Gott auf Mithras’ Erdkreis zu dienen, wenn man mit einer Handvoll Heller vor seiner Nase klimpert. Seht ihr diese Finger?“

Fünf Augenpaare richteten sich auf die dicken Finger des Novizen.

„Diese Finger fassen nie wieder eine Heugabel an. Warum nicht?“

Talpa piepste: „Kriegt Ihr Pusteln vom Heu? Mein Vetter kriegt Pusteln v..“

„Falsch, nächster! Behringer!“

„Ihr wisst schon, wie’s geht und es gibt ja uns.“

„Das ist mein Goldjunge! Ich habe so verdammt viel Heu geschaufelt, dass es für drei Leben reicht. Und ich werd euch jetzt anhand eines Beispiels – Behringer, an meine Seite! – zeigen, wie man eine Heugabel so anfasst, dass man nur fünf Blasen hat anstelle von zwanzig. Ihr könnt auch in die Luft schauen – ist eure Entscheidung!“

Aurel Behringer baute sich neben dem Novizen auf und bemühte sich zu bemüht um eine möglichst ausdruckslose Miene, die Heugabel absenken. Der schwitzende Landwirtschaftslehrmeister interessierte sich jedoch ohnedies nicht für den Gemütszustand des Anwärters, sondern nur für seine Hände. Er packte die Gelenke Behringers mit jovialem Breitmaulfroschlächeln und platzierte sie auf dem Werkzeug.

„Die Linke unten, die Rechte oben. Gewöhnt euch dran. Die nächsten zwei Wochen steht ihr auf den Wiesen unserer heiligen Mutter Kirche euren Mann, und zwar von Sonnenauf- bis untergang. Heute wird gegabelt, morgen, sobald die Sonne aufgeht, gerecht! Kommt von Rechen, nicht Gerechtigkeit! Stein, wie erkennt man, ob das Heu trocken genug ist? Jetzt habt ihr mich, der’s euch sagt, aber wenn mich die Keuche hinwegrafft oder ich übermorgen auf Pilgerreise geh, müsst ihr selber schauen, wo ihr bleibt!“ Novize Pollach konnte der riesigen Nortgarderin ansehen, wie sehr sie es verabscheute, keine konkrete Antwort zu haben.

„Ich nehme an, man könnte Halme brechen und schauen, ob sie innen nass sind,“ wagte die Anwärterin sich auf das ihr eindeutig unvertraute Terrain.

„Teilweise richtig! Macht es wie bei einem Waschlappen!“ Pollach bückte sich ächzend, fiel fast vornüber, griff beherzt in die feinsäuberlich zusammengerechte Reihe Heu, die längsseitig parallel zum Rand des Feldes entlanglief und drehte das Büschel, das aus seinen ausgiebigen Pranken ragte während er sich wieder aufrichtete mit der zweiten Hand, als wollte er es auswringen.

„So. Wenn’s grau ist und aromatisch riecht wie der Unterrock eurer entzückendsten Magd nach dem ersten Waschtag im Ernting, ist’s fertig. Ah, bei Mydrion, diese Johanna, hätte sie einen doch rechtzeitig erhört, als man noch durfte! Anwärterin Ruthe, wie stellt man sich am besten auf, damit’s für alle gleich anstrengend ist?“

„Ahm. Ahm. Drei am Wagen, zwei unten?“

„Damit man sich auf der Ladefläche gegenseitig mit der Heugabel ins Auge stechen kann? Heiei. Vergesst es, Ihr werdet nachrechen, her mit der Heugabel, nehmt einen der Rechen von dort drüben. Anwärter Ruthe, Ihr macht den Belader. Dazu stellt Ihr Euch auf den Wagen – ah, da kommt er schon, sehr schön. Drei von euch spießen das Heu zu Schübeln auf – jawoll, Behringer, so gehört sich das – und schupfen Ruthe die Heuschübel zu. Schwester Ruthe recht hinten das übrige Heu nach. Bruder Ruthe schichtet und schiebt es auf dem Wagen dicht zusammen. Verstanden, Stein?“

„Verstanden, Novize Pollach.“

„Hervorragend. Das ist euer erster Wagen! Die Tagelöhner schaffen vier pro Tag. Ahhh. Alle einatmen, das ist der blumige Duft der schweißtreibendsten Schinderei!“ Er scheuchte sie aufs Feld wie eine Gouvernante ihre Schützlinge in den Benimmunterricht, platzierte sie geschickt hintereinander und wies sie an, den Abstand zueinander stetig beizubehalten. Eben zeigte er Pentos Ruthe, wie dieser auf der Ladefläche seine Arme schonen konnte, als dessen Schwester am Ende der Reihe pikiert ihren Mitanwärtern zuzischte: „Dafür bin ich nicht zur Legion gegangen, dafür nicht!“ Pollach schwenkte um, strahlte beseelt, als ginge eine Sonne zwischen seinen Gesichts- und Halsfettpölstern auf und waberte auf Philomena Ruthe zu.

„Ruthe, wiederholen, zack zack: ‚Früh auf und spät nieder, friss schnell und lauf wieder!’“ Philomenas Geschwindigkeit war dezent langsamer als seine, als sie stotternd wiederzugeben versuchte, was Pollach heruntergerasselt hatte. Der Novize lächelte hingerissen, die fleischigen Backen von Grübchen eingedellt. „Schön ist sie wie der junge Morgen, aber so enttäuschend langsam wie Damon Vorbis, wenn das Wetter umschlägt! Wenn Eure Hände schneller sind als Euer Mundwerk, werden wir noch Freunde, Anwärterin! Legion, zuuuu den Gabeln!“

Die Zeit weigerte sich, zu vergehen. Die Sonne, Sinnbild ihres festen Glaubens, versengte den Hellhäutigen, darunter Marit Stein, den Nacken. Novize Pollach lachte nachsichtig und klatschte ihnen eine stinkende Paste in die Hände, die er mit seinem wurstigen Zeigefinger aus einem Tiegel aufnahm. Anwärterin Stein konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, die Fliegen wurden davon noch zudringlicher. Immerhin kühlte das gräuliche Gemisch den Sonnenbrand, auch wenn es nach einer Stunde krümelig den Rücken hinunterbröselte, sobald sie den Kopf bewegte.

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Sieben Stunden später ließ Marit Stein sich unter der nächstbesten Eiche neben einem nunmehr mit zahllosen Heuballen versehenen Feld einfach fallen. Novize Pollach hatte den Ruf, der verträglichste unter den Priesternovizen zu sein. Das mochte stimmen, aber er kannte kein Erbarmen, wenn es darum ging, eine Aufgabe zu erledigen, die sich in unerledigtem Zustand ungünstig für ihn auswirken konnte. Vor ein paar Momenten hatte er, der er die letzten Stunden Limonade trinkend unter dieser Eiche zugebracht hatte, das Dienstende für diesen Tag verkündet. Seine genauen Worte waren gewesen:

„Rückzug, Essen fassen, Legion! Wer mir sein Erdbeerkuchenstück überlässt, fängt morgen einen Viertelstundenlauf später an! Ansonsten: Tagwache zur fünften Stunde!“ 

Pollach belieferte einen der Köche regelmäßig mit Räucherspeck aus seinem Elternhaus, um den aktuellen Speiseplan zu erfahren, hieß es. Die Ruthes und Talpa hätten ihre Heugabeln fallengelassen, wenn Behringer sie nicht gescholten hätte. Er band den Ballen zusammen, während die drei anderen Anwärter sich zurückschleppten und Novize Pollach an ihrer Seite das Feld entlangwatschelte. 

Marit Stein spürte ihre Arme nicht mehr. Halbblind starrte sie in die untergehende Sonne und zog sich den Strohhut vom Schopf. Nach dem zehnten sinnlosen Versuch, den Halmen im Haar per Ausschütteln desselben Herr zu werden, hatte sie es aufgegeben und zähneknirschend versucht, den allgegenwärtigen Staub, die krebsrote Haut im Nacken, die Halme und die fünfhundert Insekten, die ständig die Beine hochkrochen, als schlicht gegeben anzusehen, sich kalte Orte in Erinnerung zu rufen – Nortgard im Sommer war so angenehm, das sommerkühle Seehaus schob sich aus dem Dunkel. Ein Fehler. Erinnerungsblitze schossen ihr durch den Kopf und verfingen sich mit Widerhaken in ihren Gedanken, penetrant wie die Halme im Haar, nicht loszuwerden. Der Steg. Er und sie. Jugendlicher Wagemut, abgerissene Worte.

„Hier?!“ – „Genau hier.“ – „Du bist ja verrückt. Im Sonnenlicht?!“ – „Mithras sieht uns sowieso! Sag, du liebst es.“ – „Du bist ja verrückt!“ – „Sag’s jetzt!“ – „Ich lieb es.“

Einfach ein bisschen die Augen zumachen, und nicht an den Staub in der Lunge denken, nicht an die Münze in der Hosentasche, für ein paar selige Momente diesem grässlichen, flirrend heißen Ort entfliehen, der jeder gestandenen Nortgarderin die Grausbirnen aufsteigen ließ.

„Anwärterin? Geschlafen wird später. Wir sollten zurückgehen.“

Niemand gönnte ihr Frieden.

„Noch nicht.“
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#14
27. Ernting, noch später
 
„Hier. Trinkt etwas.“ 
 
Marit Stein dämmerte in einem süßen Zustand zwischen Erschöpfung und Halbschlaf dahin, zu müde, die Augen aufzuzwingen, zu müde, aufzustehen ja, selbst zu müde, die Finger zu öffnen und die angebotene Flasche zu nehmen. Ihre Hände fühlten sich an, als wollten sie sich nie mehr öffnen nach all den Stunden, in denen sie die Heugabel zu fest gepackt hatten – ein typischer Anfängerfehler, wie Novize Pollach nicht müde wurde, festzustellen. Die Wurzel ihrer Pein lag harmlos neben ihr auf der Erde, die gebogenen Spitzen gen Boden gerichtet, damit keiner irrtümlich drauftreten konnte, wie Pollach verlangt hatte. Erst als Aurel Behringer ihr die kalte Steingutflasche mit Nachdruck in die Hand schob, öffnete sie immerhin die Lider, hob sie an die spröden Lippen und trank.
 
Anwärter Behringer hatte den strohblonden Schopf gegen den Baumstamm sinken lassen und betrachtete das Feld aus staubroten, stolzen Augen, ein Knie angezogen, das andere Bein ausgestreckt. Zufrieden kaute er auf einem Halm herum, der ihm aus dem Mundwinkel ragte und brachte es fertig, auszusehen, als sei er kein bisschen mitgenommen, seinem Spitznamen wieder einmal alle Ehre machend. 
 
„... sechzehn, achtzehn, zwanzig.“
 
Behringers Augen zogen eine unsichtbare Linie über das Feld, als er die gebundenen Heuballen zählte. Es ließ sich nicht mehr länger aufschieben. Die gefasste Entscheidung ließ sie jäh wach werden, als hätte man ihr einen Kübel Eiswasser über den Kopf geschüttet. Anwärterin Stein ließ das schale Wasser aus der Steingutflasche unter seinem kurz herübergeworfenen mitleidigen Blick weiter in ihre Kehle fließen, bis die Flasche leer war, stellte sie beiseite, schob die Hand in die Hosentasche, holte die Bronzemünze heraus, die der Kern des Übels war und ließ die geballte Faust vor seinen Augen aufspringen.
 
„Was ist das, Anwärter?“
 
Als hätte Marit Stein den Vorhang einer Theaterbühne abrupt einen halben Tag vor der offiziellen Generalprobe aufgezogen, offenbarte sich Behringers Innerstes wie ein unfertiges Bühnenbild, in dem die Stühle noch umgedreht auf dem Tisch abgestellt sind, der Teppich zusammengerollt an der Wand lehnt und die Requisiten kreuz und quer am Bühnenrand verteilt liegen. Da war keine Zeit, sich etwas zurechtzuzimmern. Während er noch um Fassung rang, den Kopf hurtig senkte und flink so tat, als betrachtete er die Münze wie jemand, der sie zum ersten Mal sah, konnte sie förmlich zuschauen, wie er unruhig und fahrig nach der erstbesten glaubwürdigen Lüge haschte. Nervosität kroch ihm in die Poren und brach sich Bahn im erratischen Flattern der Lider.
 
„Soweit ich sehe, eine Münze.“
 
Es gelang ihm nicht, seine Stimme unter Kontrolle zu halten, auch wenn er sich um einen spöttischen Unterton bemühte und verkrampft versuchte, Herr der Lage zu bleiben. Seine Mitanwärterin ließ die Hand ruckartig zuschnappen, ballte die Faust und schüttelte den Kopf, im Aufspringen die Heugabel packend.
 
„Stell dich nicht dümmer als du bist. Diese Münze gehörte Lan Parzer. Dir ist vollkommen klar, wer das ist.“ 
 
Sie stopfte die münzhaltende Faust in die Hosentasche, nutzte die Heugabel wie einen Speer, stieß das stumpfe Ende gegen den Boden und machte sich nicht die Mühe, ihrem Ton auch nur den Anschein einer Frage zu verleihen. 
 
„Dir ist klar, wer das ist, weil du einer von ihnen bist. Ein Soldat in Morrigús Armee. Ein Mondwächter. Ein schändlicher, räudiger, gewissenloser Verräter.“ 
 
Verachtung schlug ihm in ungefilterter Form entgegen, jedes Wort ein Dolchstoß. Seine Gegenwart war ihr schlagartig unerträglich. Er hatte seine Haltung zwar nicht merklich korrigiert, aber sie nahm die subtile Veränderung wahr: im Straffen der Schultern, im Anspannen der Kiefermuskeln, in der bemühten Arglosigkeit in seinen Augen. Es war die gespielte Harmlosigkeit einer Schlange, die die Zahnlosigkeit nur vortäuscht und sich um den Hals wickelt, als wolle sie ihn nur liebkosen, nur um im passendsten Moment die Giftzähne in die Halsschlagader zu schlagen. Den Kopf in den Nacken legend, fixierte er sie, atmete tief, ruhiger nun, stiller werdend, nach Contenance suchend. 
 
Die Tempelglocken läuteten zum Abendgebet. Die Anwärter schenkten ihnen keine Beachtung und zeichneten nicht das Sonnensymbol, wie man es ihnen eingebläut hatte, vielleicht zum ersten Mal, seitdem sie den Dienst in der Legion angetreten hatten. Ein Seufzen, sein Blick wurde weich, nachsichtiger. 
 
„Du hast dir keinen Moment überlegt, warum ich einer sein könnte, nicht wahr? Wirst du’s dir anhören, oder willst du mich gleich in den Kerker werfen? Ich würde keinen Widerstand leisten, das verspreche ich. An deiner Stelle würde ich genauso handeln. Aber wenn dir Kameradschaft etwas bedeutet, dann lass mir ein paar Momente, um mich zu erklären.“ 
 
In einer bemüht friedvollen Geste hob er die Hände. Ihre Augen waren feindliche, schmale Schlitze. Unwirsch und, wie sie hoffte, bedrohlich, hob sie die Heugabel an, und letzte Sonnenstrahlen beleuchteten die Spitzen, ließen sie verheißungsvoll aufglänzen.
 
„Wenn du irgendetwas versuchst, dann gnade dir Mithras.“
 
Er rutschte näher an den Stamm, weiter weg von der Heugabel, die wieder Bodenkontakt fand, und schüttelte sacht den Kopf, eine minimale Bewegung nur, als hätte er Sorge, die kleinste Bewegung könnte sie provozieren, ihm das Werkzeug in den Bauch zu stoßen.
 
„Ich habe kein Interesse daran, dir wehzutun. Ich weiß, es sieht übel für mich aus. Aber es ist nicht, was du denkst. Es ist Teil eines größeren Plans. Sie haben mich vor ein paar Monden abgepasst, am Heimweg von einem Ausgang. Ich nahm es als Chance, aber nicht, wie du glaubst, um mich ihnen mit Haut und Haar zu verschreiben. Ich habe mich rekrutieren lassen, als Morrigús Soldat. Mich belehren und vollsäuseln lassen mit ihrem altgöttlichen Gift. Das ist wahr. Aber mit einem ganz anderen Ziel als dem, das du mir unterstellst: dem, sie zu unterwandern und ihre reichszerstörerischen Pläne zu zertrümmern, einen nach dem anderen. Mit dem Ziel, sie glauben zu lassen, ich sei einer von ihnen. Mit dem Ziel, ihnen weiszumachen, sie hätten mich umgedreht, einen glühenden Mondwächter geschaffen. Du weißt, wie es ist. Wir träumen doch alle davon, Großes zu leisten, in die Annalen einzugehen als leuchtendes Beispiel für alle anderen. Oder hast du dir nie ausgemalt, wie dein Name in goldenen Lettern an eine Wand gepinselt wird als Erinnerung an die Nachkommenden?“
 
Falsche Vertraulichkeit blitzte aus jedem Du. Marit Stein setzte ihr glattes Eis, unerbittlichen Frost und Laurenz Falks kalte Lehren entgegen.
 
„Männer wie Ihr wollen immer alles mit ihrem Namen anpinseln und die halbe Welt mit ihm markieren. Urkunden. Schwerter. Häuser. Erfindungen. Namen sind Schall und Rauch, Aurel Behringer. Es kümmert mich tatsächlich nicht, aus welchen Lettern der meine besteht. Mich kümmert das Wohl und der Glanz unserer einen, wahren Kirche.“ 
 
„Fein, nenn mich eitel oder von Hybris getrieben. Das nehme ich hin. Ich sage dir trotzdem die Wahrheit, bei allem, was licht und heilig ist. Mithras rufe ich an, dass er dir Einsicht schenke in dieser Stunde. Möge er mich in Sack und Asche gehen lassen, wenn nur eines meiner Worte Lüge in sich trägt.“
 
Er hielt die Hände zu seinen letzten Worten gefaltet, den Kopf geneigt, als säße er im Tempel – ein Bild eines zutiefst Gläubigen, der im Angesicht des Herrn demütig sein Haupt senkte. In Marit Stein keimte der Zweifel auf, eine unkrautige Pflanze, die in ihrem Beet aus Verachtung das oberflächliche Erdreich durchbrach. Sie merkte, wie gerne sie ihm Glauben geschenkt hätte und mahnte sich zur Wachsamkeit, die Heugabel fester umfassend.
 
„Warum weiß niemand von Euren Plänen? Wenn Ihr die Wahrheit sagt, ist es unfassbar dumm, dass Ihr Euch niemandem anvertraut habt. Wenn Ihr die Wahrheit sagt, muss Euch doch klar gewesen sein, wie gefährlich so ein Spiel ist? Wie schnell man zwischen den Fronten zerrieben wird?“
 
„Ich wollte glänzen, der Beste sein, der Einzige sein, der wusste, was gespielt wird. Ist das so unverständlich für dich? Ich malte mir Nacht für Nacht, Wachdienst für Wachdienst, aus, wie ich ihnen den Kopf des Anführers auf dem Silbertablett präsentieren würde und Monate an Arbeit feindokumentiert dazu. Akten voller Namen, Akten voller unbestreitbarer Wahrheiten.“
 
„Eure Tante ist unsere Ordensmeisterin. Und Ihr wollt mir erklären, selbst sie hat von nichts gewusst? Ich bitte Euch. Entweder lügt Ihr oder Ihr seid der ungeschickteste Legionsanwärter unter Mithras’ strahlender Sonne.“
 
„Natürlich nicht. Gerade sie nicht. Sie hätte mich sofort zurückgepfiffen. Was glaubst du, warum wir immer noch Anwärter sind, obwohl wir seit Monaten dienen? In Löwenstein befördern sie einen nach höchstens einem Mond, wenn man sich nicht anstellt wie Pentos Ruthe im Etiketteunterricht. Meine Tante hat viele Vorzüge, aber schnell oder wagemutig ist sie wahrlich nicht. Sie wartet lieber einmal zu oft ab statt eine überhastete Entscheidung zu treffen und lässt sich stets von ihrer Vorsicht leiten. Wie hätte sie wohl reagiert, wenn ich mich ihr offenbart hätte?“
 
„Wann behauptet Ihr, angesprochen worden zu sein?“
 
„Anfang Lenzing, es muss um den 5. gewesen sein. Du kannst es im Dienstbuch nachlesen. Ich war auf Ausgang in Guldenach, mit dem Ziel, neue Stiefel fertigen zu lassen. Du kannst sogar den Schuster in der Lederergasse fragen, er führt genau Buch über die Bestellungen. Im Dienstbuch steht, wann ich zurückgekehrt bin. Was willst du noch wissen? Frag mich ruhig.“
 
„Wir sind nicht per Du. Versucht nicht, Gemeinsamkeit zu schaffen, wo keine ist. Ihr sitzt hier auf der Anklagebank und ich bin weder Eure Freundin noch Eure Kameradin. Nichts von Euren Worten beweist Eure Unschuld. Ich bin überzeugt davon, dass der Ausgang und die Stiefelanpassung stattgefunden haben. Es wäre leichtsinnig von Euch, mich bei so einfach zu überprüfenden Fakten anzulügen. Was aber zwischen Euch und den Morrigújüngern gesagt wurde, ist nicht nachprüfbar – sehr praktisch für Eure Zwecke. Ihr könnt mir jetzt auch erzählen, dass Ihr in Wahrheit vorhattet, sie uns übermorgen zum Fraß vorzuwerfen und ihren Stützpunkt dann aufgeben wolltet – aber schenkt es Euch einfach, ich würde Euch ohnedies keine Silbe glauben. Oh, ich spreche Euch Eure Durchtriebenheit nicht ab. Wenn Ihr Euch je verdächtig verhalten hättet, wärt Ihr schon längst aufgeflogen. Ihr seid bis jetzt damit durchgekommen und wenn Euch die Erkennungsmünze nicht aus dem Beutel gefallen wäre – wer weiß, wie weit Eure niederen Pläne noch gediehen wären. Wenn wir Parzer nicht gefasst hätten – wer weiß, ob Ihr nicht an dem Attentat beteiligt sein solltet. Es wäre ein Leichtes gewesen, den Schlüsselbund Eurer Tante zu stehlen und nachts in Falkners Refugium einzudringen.“
 
„So weit hätte ich es nie kommen lassen. Aye, sie sahen in mir den goldenen Schlüssel, der ihnen Tür und Tor öffnen würde. Aber ich wusste immer, ich würde jede Gefahr abfangen und Kunde an meine Oberen tragen, bevor es so weit gekommen wäre.“
 
„Was ist mit den erwähnten Akten? Wo sind sie?“
 
Er klopfte sich mit dem Zeigefinger gegen die Schläfe. „Hier drin.“
 
„Das soll ich Euch nun also glauben? Ihr habt keinen einzigen stichhaltigen Beweis für Eure Worte, nichts, was Euch reinwäscht. Gar nichts. Für wie dumm haltet Ihr mich? Und Ihr wollt mir einreden, Ihr wärt unschuldig?“
 
„Ich schwöre vor Mithras, wenn du willst.“
 
„Nehmt seinen Namen nicht in den Mund! Diese Blasphemie ist ja nicht auszuhalten!“
 
„Du weißt um meine Aufrichtigkeit.“
 
„Nein!“
 
„Doch, das tust du. Du bist nächtelang neben mir gestanden und hast an der Pforte gewacht. Du und ich, wir sind uns gar nicht unähnlich, das war mir schon von Anfang an bewusst.“
 
„Schweigt. Wir sind uns so fremd wie die Nacht dem Tag. In Eurer Seele frisst eine ekelhafte Säure alles Helle auf.“
 
„Ich würde die Legion niemals hintergehen. Du weißt um meine Ehrlichkeit. Sag, du glaubst mir, Marit.“
 
„Nein.“
 
„Marit. Sag, du glaubst mir. Sag’s jetzt.“
 
Sag’s jetzt. Es brach aus ihr heraus, bevor sie den Worten Einhalt gebieten konnte. Ein Wortschwall, der haltlos über ihre Lippen drang, ungebremst wie das Schmelzwasser, das im Frühling von den Zwillingen stürzte.
 
„Du hast bis heute zur zehnten Abendstunde Zeit, um deine Seele zu retten. Geh beichten. Geh zu Falk und der Ordensmeisterin. Gesteh alles. Wag es nicht, etwas auszulassen.“
 
Die Frage, ob es ein Fehler war, ihn ziehen zu lassen, stellte sich ihr für keinen Moment. Es war ein unverzeihlicher Fehler. Sie sah ihm nach, bis er um die Kurve war. Benommen stand sie da, mit demselben Gefühl, das sich einstellte, wenn Pentos Ruthe ihr im Übungskampf das Holzschwert in die Rippen stieß: jähes, scheußliches Ringen nach Luft. Er aber schritt federnd aus, belebt von der frischen Chance, wie sie seinem Gang anzusehen glaubte. Eine Feldmaus wagte sich auf zwei Schritt an sie heran. Eine Feldmaus fand ein für eine Feldmaus rühmliches Ende, aufgespießt von einer Heugabel.
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#15
27. Ernting – Abends 

Das Badehaus der Silendirer Kirche lag einen kurzen Fußmarsch abseits vom Tempel, an einem schmalen Fluss, der sich von der Bucht von Silendir aus beharrlich ins Landesinnere vorgeschoben hatte. Man munkelte, selbst Fürsten besuchten das prunkvolle Badehaus ab und an, wenn ein Besuch aus fremden Lehen anstand. Es ragte langgezogen und sandsteinfarben aus einem wohlgepflegten, grünen Rasenmeer, das jeden Morgen sorgfältig gewässert wurde, wenn der Regen, wie für Silendir typisch, im Sommer wochenlang ausblieb. Auf der anderen Seite des Flusses wurde Korn angepflanzt - eine Idylle, wie ein Aushängeschild für das goldene Lehen selbst.

Das hohe, sandfarbene Gebäude konnte mit einem reichverzierten Vorraum und zwei separaten Baderäumen aufwarten. An einer Längsseite und den beiden Breitseiten des Vorraums verlief eine lange Eichenbank, fast schwarz geworden mit der Zeit, auf der man zu warten hatte, bis ein Zuber freiwurde, idealerweise ins Gebet vertieft. Die andere Längsseite war reichverziert mit einem Fresko zum Wirken der Alina Hamrich, das nur von den zwei Türen unterbrochen wurde, die in die Badebereiche führten – je einer für Frauen und Männer. Das Motiv des Freskos war fast perfide gewählt, bedachte man das Zielpublikum. Eine ruhige Seenlandschaft entfaltete sich im Hintergrund. Der Vordergrund wurde vom Kern der Hamrich-Legende illustriert. Gemäß Alina Hamrichs Leben zeigte die Frauenseite eine gerüstete Gestalt, deren langes Haar unter dem offenen Helm hervorquoll – künstlerische Freiheit, kein Ordensmeister in der langen Legionsgeschichte hätte so eine Unvorsicht je zugelassen. Alina Hamrich streckte die Hand nach dem König aus, den zu beschützen sie geschworen hatte, erreichte ihn aber nie. Passenderweise drehte sein freskohaftes, gekröntes Ebenbild ihr den Rücken zu und nahm sie nicht einmal wahr. 

Im Zuber angelangt bot sich den Badenden ein Bild der absoluten Ruhe und ermöglichte Kontemplation. Der Blick aus den raumhohen Fenstern, die im Sommer weit geöffnet wurden, fiel auf den Fluss, das Kornfeld und den Himmel. Die Zuber, je zehn an der Anzahl, verliefen ebenfalls an der Längsseite des Raumes. Marit war schon beim ersten Besuch nicht umhingekommen, diese geschickte Zuberpositionierung zu bemerken. Badenden wurde nicht nur ermöglicht, sich in die Betrachtung der Natur zu vertiefen und zu säubern – der gelenkte Blick nach draußen sorgte auch dafür, unbotmäßiges Interesse für andere Badende prophylaktisch gering zu halten. Zwar hätte man auch im Fluss baden können, doch wurde eine Flussbadepraxis allgemein als provinziell belächelt. Kirchenmitglieder waren angehalten, auch im Bereich von Badegewohnheiten Ordnung walten zu lassen. Wie die Erdgötteranbeter am Ufer herumzustaksen, zwischen Ästen und Laub, wurde als nicht standesgemäß angesehen. Zudem waren die Zuber mit Sägespänen bestreut, um Interesse an der eigenen Anatomie zu unterbinden – der Fluss hingegen plätscherte auch im Sommer kalt und allzu klar vor sich hin.

Zwei Priesternovizen führten angeregt ein Gespräch über die Bedeutung der rituellen Reinigung, als Marit Stein eintrat und direkt auf den Baderaum der Männer zusteuerte. Etwas regte sich in ihrem Rücken – ein Blick über die Schulter verriet, dass einer der Novizen eben den Kopf gehoben hatte und protestierend eingreifen wollte, Regelübertritt witternd. Ehe er den Mund aufbekam, rannte Pentos Ruthe in die Anwärterin hinein. Feixend und elysiumschreiend sauber verschränkte Ruthe die Arme vor dem Oberkörper und versperrte ihr den Weg in den Männerbaderaum.
 
„Ist Behringer da drin?“
 
„Woah. Hätte dir’n bisschen mehr Grips zugetraut, Steinchen. Wenn de einen Blick riskieren willst, vergiss den Behringer, is’ ja nix dran an dem. Sag’s nur, wenn dich der Hafer sticht, dann fällt die Hose, so schnell kannste gar nich' schauen. Kostet dich halt 10 Schilling, isses aber wert, kannste glauben! Am Fluss unten isses nett, wie wär's?!“
 
Die hochgeistigen Novizen wandten sich wieder ihrem Gespräch zu, beruhigt, dass jemand die Sache in die Hände genommen hatte, wenn auch essigsauer ob der Art und Weise. Als die Tür zum Männerbaderaum sich noch einmal öffnete, verschwanden sie eilig dahinter und ließen die beiden Anwärter allein im Vorraum zurück. Im nächsten Augenblick drosch Pentos’ nasses Handtuch gegen Marits Beine. Ein selbstzufriedenes Grinsen, das sie ihm gerne aus dem Gesicht geprügelt hätte, beherrschte seine Züge. Er schnalzte mit der Zunge.
 
„Hab’s immer noch drauf. Erwischt, Steinchen.“
 
Sie war todmüde, nach wie vor staubig von Kopf bis Fuß von der Heuernte, hatte Blasen an den Händen und konnte kaum mehr stehen. Aber nie war ihr Bedürfnis so groß gewesen, ihre Hände um den Hals eines anderen zu legen und zuzudrücken, ohne noch einmal über die Folgen nachzudenken.
 
„Was schauste jetzt wie ‘ne Kuh, wenn’s donnert?“
 
Zange. Fackel. Holzpflöcke. Ein kleiner, goldener Hammer. Zange. Fackel. Holzpflöcke. Ein kleiner, goldener Hammer. Es war wichtig, daran zu denken, wie klein der Hammer war.
 
„Steinchen?“
 
Sie riss den Kopf hoch, die Augen rot vom Heustaub, das Gesicht so ausgetrocknet, als wollte die Haut zerreißen und tat einen Schritt auf ihn zu, ohne die Hände zu erheben. Er verzog irritiert das Gesicht und wich unwillkürlich zurück, die Wand im Rücken, das nasse Handtuch baumelte nutzlos in seiner Hand. Ihre Stimme war ein Hauch.
 
„Weißt du, warum ich jeden Abend zu Falk gehe, Pentos?“
 
Sein Körper war schneller als sein Geist. Während ersterer instinktiv zurückwich, glaubte letzterer im Wechsel der üblichen Anrede eine Annäherung zu sehen. Sie las es in seinem tumben Auflachen.
 
„Noch nich’, aber etwas sagt mir, du brennst drauf, es mir zu sagen? Weiß da auch ‘nen passenden Ort am Ufer, hübsch versteckt, dann kannste es mir zeig..“
 
Sie packte ihn am Hemdsärmel und zerrte ihn nach draußen, unter eine nahe gelegene Trauerweide, deren Blattwerk lasch und ermattet herabhing. Dort angekommen gab sie ihm einen Stoß und richtete sich zu voller Größe auf, die Augen brennend auf ihr Gegenüber gerichtet.
 
„Falk bringt mir nützliche Dinge bei. Weißt du, was aus Lan Parzer wurde? Nein? Er verfault im Kerker, vielleicht ist ihm der Fuß schon abgefallen. Falk lehrt mich, was ein Körper aushält. Wenn du mir nicht auf der Stelle sagst, wo Behringer steckt, übe ich an dir weiter. Und eh du den Mund aufmachst, damit noch mehr Pferdemist hervorquillt: Ich finde einen Grund, es mit dem Segen der Kirche zu tun, so wahr mir Mithras helfe. Wird nicht schwierig, so verderbt wie deine Seele ist. Ich behaupte einfach, du vögelst deine Schwester und hast ihr schon ein Kind gemacht. Dann schützt dich auch dein Name nicht mehr.“
 
„Verdammich’ was is’n dir für ‘ne Laus über die Leber gelaufen? Is’ ja schon gut. Trink mal was eh, und kühl dich ab.“
 
Abwehrend hatte er die Hände gehoben und war aus ihrem Fokus einen Schritt zur Seite getreten. Kapitulation. Immerhin.
 
„War nur kurz hier, der Goldjunge. Hat sich nich’ mal innen Zuber setzen wollen. War’n Andrang hier vorher, wollten ja alle den Staub loswerd’n. Hab ihn aber innen Fluss springen sehen. Der war drauf, hättste mal sehen sollen, ganz kirre von der Sonne. Ein Grinsen als gäbs ‘nen Fass Met umsonst. Seitdem hab ich ihn nich‘ gesehn. Schätze mal, er wird langsam zurück sein, is’ ‘ne gute Stunde her un‘ wird ja schon finster.“
 
Sie wich zurück, die Fäuste geballt.
 
„Du wirst mir helfen, ihn zu finden.“
 
„Steinchen, glaub du hast ‘nen Sonnenstich, setz dich mal hin.“
 
Aggressiv drückte sie ihn gegen den Stamm, der Unterarm fand seine Halsbeuge, ehe er noch reagieren konnte und lehnte sich mit dem gesamten Körpergewicht gegen ihn. Aufkeuchend packte er ihren Arm und schob ihn nach kurzem Ringen ungehalten weg. 
 
„Was beim Abyss is‘ los mit dir?“
 
„Du verstehst nicht.“
 
„Ich versteh, dass du den ganzen Tag geschuftet hast, und dass du ein Bad, Essen und ein Bett brauchst, sonst mal gar nix.“
 
 „Ich muss ihn finden.“
 
„Du findest ihn nich‘ schneller, wenn du mich nun angehst. So wichtig kann’s schon nich’ sein, eh? Wasn los hier? Will ihm seine Tante hübsche Zöpfchen flechten? Braucht Falk ‘nen Schemel zum draufsetzen? Würd mal sagen, da kniet sich auch wer anderer für ihn hin. Madita Taler wär ‘ne Kandidatin.“
 
„Pentos.“ Sie fasste ihn um die Schultern. „Wenn dir Kameradschaft irgendwas bedeutet, dann tu jetzt, was ich dir sage. Hol die Hunde aus dem Zwinger und Proviant aus der Küche. Sag, es sei Novize Pollachs Order. Behringer ist nicht zurückgekommen. Du brauchst nicht nachsehen. Ich weiß es. Er ist geflohen. Aber wir beide, wir werden ihn finden.“
 
Er wollte es weglachen. Er wollte sie als nicht ernstzunehmend fortschieben. Er wollte es nicht wahrhaben. Bevor ein weiteres Wort seinen Mund verlassen konnte, hielt sie ihm die Bronzemünze hin. Nicht einmal ein Pentos Ruthe brauchte daraufhin noch viele erklärende Worte, aber jedes hervorgestoßene war eins zuviel, eines, das alles in einen noch zäheren Rhythmus stieß, verlangsamte. Die Ungeduld machte sie kurzatmig. Kopfschüttelnd drehte Pentos Ruthe die Münze zwischen Daumen und Zeigefinger.
 
„Der Goldjunge – ein Mondwächter. Und dann noch einer, der mit den richtig großen Fischen schwimmt. Attentat auf Hermeno Falkner, was? Der Hundsfott, steckt der wirklich mit so Gesindel wie Parzer unter einer Decke, man möchte’s nich‘ glauben...“
 
„Wir führen ihn seiner gerechten Strafe zu. Aber Pentos, du musst dich jetzt bewegen. Ich kann die Hunde nicht allein mitnehmen.“
 
„Weiß nich’, ob du’s bemerkt hast, aber es wird dunkel, Steinchen.“
 
„Das ist egal. Es ist fast Vollmond. Wir nehmen Fackeln.“
 
„Sie werden nach uns fragen.“
 
„Nicht bis zur Bettruhe. Bis dahin sind wir schon weit fort. Und wenn wir ihn wiederbringen, kommen wir als Helden zurück.“
 
„Wenn er uns nich’ abmurkst.“
 
„Schafft er nicht. Geh jetzt. Wir treffen uns wieder hier.“
 
„Was springt für mich raus?"

„Heldentum ist nicht genug?"


„Steinchen, komm schon. Bringt mir doch nix.“

„Ich lob dich ins Elysium und bitte Falkner um eine Position für dich, in der du viel kaputtschlagen kannst und den ganzen Tag schwitzt. Ohne weiteren theoretischen Unterricht.“

„Steinchen. Marit. Marit-Schätzchen. Da geht noch was."

„Ich geb dir einen Gulden."

„Schau an, sie ist reich. Gut.. auf die Hand gespuckt.

„Du bist widerlich.“

„Los, sonst geh ich nirgendwohin.“

„Meinethalben, wenn dich das endlich in Bewegung bringt!“

„Gut. Was tust du jetzt?“
 
„Parzer besuchen. Waffen holen.“
 
Er schwieg kurz. Sie konnte ihn nur noch schemenhaft ausmachen.
 
„Hast du Angst vor Falk, Steinchen?“
 
Sie wollte zuerst so tun, als hätte sie ihn nicht gehört, schon hatte sie ihm den Rücken zugedreht.

„Unendliche.“ 
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#16
27. Ernting, abends

Der Zweck ihres Vorhabens drohte der Anwärterin zu entgleiten, als sie die Tür zur Vorbereitungskammer aufzog, in der sie vor kurzem ein goldenes Tablett mit Hilfsmitteln versehen hatte. Modriger Kellergeruch stieg ihr als Schwall in die Nase. Heftig flammte der Wunsch in ihr auf, auf dem Absatz wieder umzudrehen. Sie hatte an diesem Morgen hier gestanden und Werkzeuge geordnet, sie hinuntergetragen und an Parzer angesetzt. Es kam ihr absurd vor. Nun war kein einziges der Instrumente zu sehen, nicht einmal ein Span. Die Unzahl an Schubladen an der Wand verbarg sämtliche Werkzeuge der Pein. Die nüchterne Kammer hätte, in ihrer geschäftig aussehenden Ordnung, schubladenweise Stoffe beinhalten können, wäre der penetrante Geruch nicht gewesen. Erde, schieres Vergessen und Auslöschung. Wer in den Zellen eine Etage tiefer landete, sah das Tageslicht selten wieder. Wenn je wieder ein Sonnenstrahl auf sein Gesicht fiel, handelte es sich entweder um eine Verhandlung, um zwanzig Schritte bis zum Scheiterhaufen oder eine kurze Gegenüberstellung, damit ein Übeltäter vor Zeugen geschleppt werden konnte. Danach: ein Stoß zurück ins Nichts oder in den Tod. Nach Wochen im Kerker war der Unterschied nicht mehr so groß. Wer ihn verließ, sah dem wandelnden Tod ohnedies verblüffend ähnlich.

Es war Anfang Wandelmond gewesen. Ein Wurf Mondwächter war im Kerker eingesessen. Nach einer durchzechten Nacht in Guldenachs Vergnügungsviertel hatten sie die Idee geboren, die Tempelmauer zu beschmieren, die Obersten der Silendirer Kirche mit abwertenden Namen zu versehen, Mithras’ Namen zu beschmutzen. Man hörte Gerüchte danach. Familien seien still aufmarschiert, allesamt mit hängendem Kopf, die man nicht in den Tempel ließ. Ein Stadtrat sei gekommen, der um Aufklärung gebeten habe, mit dem Hut in der Hand und gebeugter Haltung vor Hermeno Falkner, Gesine Behringer und Laurenz Falk, mit nervösen Blicken, ein kleines, verhutzeltes Männchen vor großen Männern und Frauen. Das Schweigen im Saal, das die hervorgewürgten Bitten erstickte, das sich verdickt haben musste, bis es nicht mehr zu durchdringen war und der Stadtrat unverrichteter Dinge abziehen musste. Flüstern, von Bett zu Bett im Legionsschlafsaal, anerkennend bei manchen, furchtsam bei anderen. Man munkelte, die vier Querulanten seien als nächstes in einen Hungerstreik getreten, hätten den Aufstand in ihren winzigen Zellen geübt. Kein Licht mehr für die Mondwächter, so die Order von oben. Wer Mithras so verachtete, seine Gaben von sich stieß, dem sei seine erhellende Flamme verwehrt. „Sollen sie ihre Erdgötter anrufen da unten!“, raunte ein Novize gerade einem anderen zu, als Marit einmal in die Waffenkammer getreten war, „ihre heiße Sulis sendet gewiss Licht, wenn sie nur laut genug schreien!“ Das herbe Auflachen des anderen blieb ihr lange im Gedächtnis. 

Nacheinander seien die vier umgefallen, tuschelte man sich zu, hätten um Gnade gewinselt, wenn einmal am Tag jemand Essen hinstellte, hätten tränenreich um eine Fackel gebeten, nur eine, schließlich nach einer einzigen Kerze geschrien, bis am Ende des Wonnemonds vier jämmerliche Gestalten vor versammelter Kirche über die untersten Tempelstufen krochen, Mithras’ Namen lobten, mit krächzenden Stimmen, ohne Verstand. Diesem letzten Spektakel hatte Marit beigewohnt, war wie die anderen hinter Falkner, Behringer und Falk in Reih und Glied auf den Stufen gestanden, hatte auf die ausgemergelten Gefangenen in ihren groben Roben hinuntergeblickt als Teil einer undurchdringlichen Wand aus starken Körpern, aus glänzender Bronze, aus unbeirrtem Glauben. Talpa behauptete felsenfest, danach seien die Aufrührer in ein Tollhaus eingeliefert worden, eins am Meer mit ausladenden Fenstern, eins, in dem das Licht sich abends besonders lange in den Räumen hielt – ein Gnadenakt Hermeno Falkners. Novize Pollach winkte ab, gabelte einen zu großen Bissen Karamelltorte auf und versicherte ihnen, Laurenz Falk hätte die vier wegschaffen und über die Grenzen nach Servano bringen lassen, während Pentos gänzlich überzeugt war, sie seien wieder in den Kerker geworfen worden und dort an ihrem Elend verendet.

Die Enteignungen von Mondwächtern nahmen danach zu. Man sah es an dem regen Treiben im Hof, den herbeizuckelnden Wägen, den geschäftigen Novizen, die mit Listen am Vorplatz standen und dokumentierten. Nach den vieren war der Fackelschein im Kerker Tag und Nacht der gleiche, die Zellen zwar überbelegt, die Gefangenen aber dumpfer und serviler. Das statuierte Exempel wirkte. Pentos schwor darauf, Schlafmohn in den Brei der Gefangenen zu mischen, wenn er dereinst Novize werden würde und Dienst im Kerker leisten musste. Er war nicht der Einzige, es gab einige Novizen, die das Geschrei und das Jammern so auf ein erträgliches Maß herunterdämpften. Es störte den Fluss des Kerkeralltags auch nicht, wenn Gefangene eine Weile den Mohnbrei verweigerten. Sollten sie, sie hatten immer die Wahl zwischen Hunger und wattiger Benommenheit. Die meisten kamen wieder zur Besinnung und nahmen ihre Löffel spätestens nach drei Tagen wieder auf. Die wenigen, die es durchhielten, bewiesen niemandem außer sich selbst etwas. Dann starben sie vielleicht mit starkem Willen – sonst hatten sie wenig von ihrer Verweigerung.

Marit Stein musste den Namen vor sich her prügeln, immer wieder. Lan Parzer. Wenn jemand wusste, wohin ein verfolgter Mondwächter aus Morrigús Armee flüchten würde, dann der geschundene, gefolterte Lan Parzer. Der einzige Anhaltspunkt. Sie korrigierte sich mitleidslos. Von ihr geschunden. Von ihr gefoltert. „Es war Falks Wille!“, wandte eine zaghafte Stimme ein. „Und deine Hand“, widersprach ihr eine kältere. 

Ihre Hand stieß die niedere Türe, die letzte vor dem Kerker, kräftig auf. Das Holz krachte gemartert auf Stein, ein Echo hallte nach. Kein Zögern mehr. Zögern konnte sie sich nicht leisten. Wer einmal foltert, kann auch zweimal foltern. Wenn Aurel Behringers Flucht glückte, wäre das eine Schmach für die gesamte Kirche. Eine gerechte Strafe konnte ihn nur ereilen, wenn man ihn zurückbrachte. Alles andere schob sie beiseite. Alles andere war irrelevant. Warum sie Falk nicht längst informiert hatte? Warum sie nicht einmal die Ordensmeisterin einweihte? Was mit Aurel Behringer geschehen würde? Fragen für später. Fragen für andere.

Die nächste Stufe hinunter schien weit entfernt, einen breiten Abgrund weit. Die letzten Schritte, dann ein grober Tisch, ein Stuhl, ein dösender Wärter, der bei ihren Schritten den Kopf hob. Novize Jeram – ein Nortgarder aus einem winzigen Dorf nah der Zwillinge. Anwärter wurden hier unten nicht eingesetzt und kein Novize tat länger als zwei Wochenläufe Dienst. Die Führungsriege achtete darauf, sie nicht über das Maß hinaus in den Tempelgedärmen vermodern zu lassen. Der Wärter entbot Marit Stein einen stoffgedämpften Kriegergruß, indem er sich und hernach die Faust erhob, diese gegen sein Herz drosch. Dicke Wolle bremste den Gruß. Die Novizen trugen keine Rüstungen hier unten, wenn Dienst zu verrichten war, sondern gefütterte Wappenröcke. Was brauchten sie eine Rüstung, wenn keine Gefahr zu befürchten war? Wenn schwere Gitter längst Fehlgegangene von Erleuchteten trennten, wenn Novizen die Herren über Kommen und Gehen waren und es in ihrer Macht lag, Fackeln zu entzünden oder zu löschen? 

„Anwärterin Stein? Was ist Euer Begehr?“

Herrisch sein. Bestimmt sein. Mehr als sonst: „Seine Seligkeit Falk schickt mich. Wir haben weitere Fragen an Lan Parzer.“

Der Novize zog die Lippen in ein schiefes Halbgrinsen: „Wir, wie?“ Er schmatzte einmal, musterte sie von oben bis unten. 

Marit Stein regte sich nicht, war es zu gewohnt und schaute nur abwartend auf eine Stelle über seiner Gugel. Natürlich hatte Jeram die Gerüchte auch gehört. Vielleicht fragte er sich, warum ein Erzpriester seine Gespielin zu einem Gefangenen schickte anstatt in eine helle, freundliche Schneiderei in Guldenachs noblen Straßen, wo man ihr rüschige Kleider nähte, die sie dann nur heimlich tragen konnte. 

„Habt Ihre Seligkeit wohl verärgert, wie? Na dann fragt, ist ja nicht so, als wär er beschäftigt. Oder als wär ich es. Drei Tage noch, dann ist mein Dienst vorbei hier, Mithras sei Dank. Ihr solltet Euch weiterhin mit Falk... gutstellen.. dann steckt man Euch vielleicht nicht in dieses elendige Loch.“ Marit Stein entschied sich, zu schweigen. Novize Jeram stemmte seinen massigen Körper auf. Der Schlüsselbund an seinem Gürtel klapperte schwach. 

„Mitkommen, Anwärterin.“
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#17
„Ihr solltet Euch waschen, Anwärterin Stein. Ich weiß nicht, ob es Euch aufgefallen ist, aber Ihr seid gänzlich eingestaubt. Und Ihr stinkt zum Himmel.“

„Es ist mir aufgefallen, Novize Jeram.“

„Habt Ihr vor, dem Badehaus in absehbarer Zeit einen Besuch abzustatten?“

Sie sparte sich die Antwort. Schweigend passte sie sich Jerams Schritt an und warf ihm nur einen längeren, ausdruckslosen Blick zu, als er sich mit tadelnder Miene zu ihr umdrehte. Offenbar war Lan Parzer verlegt worden. Der Nortgarder Hüne führte sie tiefer in das Gewölbelabyrinth. Links und rechts säumten Zellen den schmalen Gang, der nur für eine Person durchgängig war. Die Anwärterin konzentrierte sich auf den Weg, verlor aber nach der siebten Ecke, um die der Wärter bog, die Orientierung. Nun war der Kerker wieder ausreichend ausgeleuchtet, was auf kooperative Gefangene schließen ließ. Keine Lichterziehungsmaßnahme war hier mehr notwendig. Flüchtig fragte Marit Stein sich, woher sie hier wussten, dass es Tag oder Nacht war. Das Essen konnte kein Maßstab sein. Der Brei, der für Gefangene gekocht wurde, war immer der gleiche, wie man von Novize Pollach hörte.

Die Schritte der Legionäre hallten dumpf nach, begleitet von Jerams Schlüsselbundgeklapper, und weckten manche der dösenden Inhaftierten. Die Anwärterin folgte Jeram um die nächste Ecke, die ausgemergelten, aufdämmernden Gesichter in einer größeren Zelle, gut erkennbar im Fackelschein, geflissentlich ignorierend. Die meisten Gefangenen lagen uninteressiert und weitgehend geräuschlos dahinvegetierend in irgendwelchen Ecken. Nur hier und da regte sich etwas, wenn jemand Abwechslung witterte und an die Gitter trat. Ein paar fordernde Rufe wurden laut: nach einer Hammelkeule, mehr Wasser, einem Richter, einer Vatin. Jeram reagierte auf keinen der Zurufe und machte sich nicht die Mühe, auf die Forderungen einzugehen. Mutlos wiederholte der Gefangene, der nach einem Richter verlangt hatte, seinen Wunsch. Er glaubte selbst nicht an dessen Erfüllung, das hörte man der verzagten Stimme an. Auf eine Erwiderung wartete er abermals vergebens. Stattdessen wandte Jeram sich um und versuchte es noch einmal:

„Ihr wisst doch, dass wir ein Badehaus haben? Es ist voller Zuber und sauberer Handtücher.“

„Bringt mich einfach zu dem Gefangenen. Wir müssen keine Konversation dabei führen. Es wäre mir sogar weitaus lieber, wenn Ihr einfach schweigen würdet.“

„Mir ist hier todlangweilig, Anwärterin. Also tut mir den Gefallen. Das Badehaus kennt Ihr?“

„Ich kenne es, aber manchmal gibt es dringendere Aufgaben, die einen davon abhalten, sich zu waschen, Novize. Können wir das Thema nun lassen?“

„Mithras weiß, was Falk an Euch findet. Euer überbordender Charme und Sinn für Humor können’s ja wohl kaum sein.“

„Seine Seligkeit.“

„Ja, Anwärterin. Seine Seligkeit. Danke, Anwärterin. Die Verbesserung war sehr nötig. Zu gütig von Euch.“ 

Die Zellen wirkten allmählich spärlicher besetzt, bis Marit niemanden mehr hinter den Gittern ausmachen konnte und der Novize sie an einem Gang leerer Zellen vorbeiführte. Das gefiel ihr wenig. Es war merkwürdig, es war ineffizient. Jeram schritt weiter, auch mit ihrem argwöhnischen Blick im Rücken. Warum einen Abstand zwischen Gefangenenzellen einhalten? Sie sah sich unauffällig nach Waffen um. Nichts. Natürlich nicht. Man wollte niemandem Gelegenheit bieten, sich im Gang an einer dekorativ aufgehängten Lanze oder einem stolz ausgestellten Hammer zu bedienen. Ihre eigene Rüstung und ihr eigenes Schwert verharrten ordentlich abgelegt in der Waffenkammer. Außer der mitgenommenen, dünnen Leinenkleidung, die ihr vor der Heuernte ausgehändigt worden war, trug sie nichts am Leib. Die kargen Gänge wurden von Fackeln erhellt. Sie wollte sich nach einer strecken, als Jeram das Ende eines Ganges erreichte. Die letzten beiden Zellen waren nicht einsichtig, ihr Inneres verborgen vor aller Augen hinter schweren Vorhängen. Dennoch löste die Anwärterin eine der Fackeln aus der Halterung, tat, als wollte sie den Gang nur weiter ausleuchten und blickte den Wärter fordernd an.  

„Da sind wir. Und jetzt bin ich wirklich mal gespannt, was an dem Flohhaufen da drin so interessant ist, dass sich heute alle um ihn reißen.“

Jeram zog den Vorhand ratschend beiseite. Das feiste Gesicht von Novize Pollach strahlte Marit entgegen. Er saß auf einem gefährlich wackligen Hocker neben dem im Stroh halb liegenden, halb sitzenden Lan Parzer, der die Augen geschlossen hatte, und las in einem Buch, daneben stand ein Teller mit einem überdimensionalen Kuchenstück und einem Törtchen. Beides hatte kaum Platz auf dem Porzellan. Sie musste zweimal hinsehen und begann, ihn anzustarren.

„Was tut Ihr hier, Novize Pollach?“

Parzer fuhr auf, als Marit Stein sprach, und stierte die Anwärterin an. Sie konnte förmlich zusehen, wie der Hass ihm blitzartig bis in die Pupillen fuhr.

„Ich kümmere mich um einen Gefangenen, Anwärterin Stein. Was ist mit Euch? Noch immer keinen Zuber gesehen?“

„Das scheint in den Augen aller Priorität zu haben, Novize. Ich habe Wichtigeres zu tun. Habt Ihr seinen Bolzen herausgezogen?“

„Aye. Wir können doch nicht zulassen, dass sich sein Fuß entzündet. Wertvoller Fang und so weiter. Wichtiger Agitator, Mondwächtergezücht, etcetera! Steht schon alles in seinem Akt.“

Pollach schmatzte, tätschelte Parzer mit seinen Wurstfingern die Wange, was der sich widerstandslos gefallen ließ, griff nach einem perfekt gerundeten Törtchen, das neben ihm auf einem Teller thronte und biss dreimal kurz hintereinander ab, schluckte, ohne zu kauen, musterte Marit Stein noch einmal mitleidig und schwadronierte: 

„Ah, Sauberkeit und Ordnung sind die halbe Miete! Wir sind durch eine harte Schule gegangen, Anwärterin. Damals gab es keine Flecken, keine verstaubten Hosen und keine dreckigen Gesichter. He, Jeram, wie war das gleich damals, als du mit dem Rußfleck am Kinn beim Abendgebet gesessen bist?“

Novize Jeram lehnte sich an die gegenüberliegende Gittertür, sichtlich begeistert über die Aussicht, in Nostalgie verfallen zu können mit jemandem, der ihm tatsächlich gewillt war, zuzuhören. Oder im Fall des Gefangenen auch nicht anders konnte.

„Ah, die Ordensmeisterin hat mich für ein Jahr zum Kamindienst verdonnert, war andauernd schwarz wie ein verdammichter Indharimer, aber hatte mir trotzdem die Hände zu schrubben, bis sie rosa waren. Das waren noch Zeiten, eh? Muss noch vor Strastenbergs Rausschmiss gewesen sein. Das war ‘ne Kammer, Anwärterin. Hättet Ihr mal sehen sollen. Wir war’n berühmt-berüchtigt. Pollach nannten sie Gabel, Strastenberg Schwert und ich war Keule. Hat mir gefallen. Keule! Das waren noch Zeiten! War besser als hier unten herumzulungern. Für ‘ne Weile waren wir unterwegs in ganz Silendir, um zu missionieren. Ihr glaubt ja nie, was uns passiert ist in...“

Sie hörte nur mit halbem Ohr zu. Als nächstes ging es um Heldentaten - Konvertierung eines gesamten Dorfes, erschlagene Unholde, Prozession der drei Helden durch die Straßen, ohnmächtige Maiden, händeküssende Matronen, weinende Bürgermeister. Während Jeram in der Vergangenheit schwelgte und Pollach genüsslich sein Törtchen aß und wohlwollend grinste, korrigierte Marit Stein das Bild, das sie zuletzt von Lan Parzer gehabt hatte. Der Fuß des Gefangenen war versorgt worden, der Bolzen entfernt. Er trug saubere und weniger lumpigere Kleider, hatte offenbar im Gegensatz zu ihr einen Zuber gesehen, und obwohl er nicht den robustesten Eindruck machte, schien er die Gesellschaft von Novize Pollach keinesfalls furchteinflößend zu finden. Die Stimme kippte fast, als Lan Parzer unvermittelt Worte ausspie und damit Jerams Redefluss unterbrach:

„Was tut Ihr hier, Anwärterin? Noch nicht genug gefoltert? Ihr müsst Euch allmählich jemand anderen suchen, mir gehen die gesunden Gliedmaßen aus.“

Jeram und Pollach sahen sich an, dann blickten sie zeitgleich zu Marit. Diese zwang ihre Gesichtszüge in die Aussagelosigkeit:

„Ich möchte mit Euch sprechen, Parzer. Es gibt etwas, das Ihr für die Kirche tun könnt.“

„Da schneid ich mir lieber den Arm mit einer rostigen Schere ab. Langsam.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust, setzte sich gerade hin und spuckte in ihre Richtung. Ein großer Pfropfen landete vor ihren Füßen.

Sie ließ sich nicht beirren und bemühte sich um eine sachliche Tonlage: „Ihr bekommt auch etwas von.. uns.“

Erst wollte er noch einmal spucken, rotzte hoch, dann wog er ab, suchte Rückhalt in Novize Pollachs Blick. Der hob die Schultern, schaufelte sich Kuchen in den Mund und bot dem Gefangenen eine Gabel voll an. Parzer schnaufte, schüttelte den Kopf und blickte prüfend zur Anwärterin:

„Was wollt Ihr, Stein?“

„Sagt mir, wohin jemand, der zu Morrigús Armee gehört, fliehen würde. In einer Notlage.“

„Ich will meinen Druiden sprechen. Unter freiem Himmel. An einem Schrein. Allein.“

„Ihr könnt ihn sprechen. Hier unten. Unter Aufsicht.“

„Mieser Handel.“

„Nehmt ihn oder vermodert.“

Wieder ein Blick zu Pollach, als wollte er sich dessen Zustimmung versichern. Marit Stein verstand es nicht. Und sie hasste es, Dinge nicht zu verstehen.

„Was wird hier gespielt, Novize Pollach? Ihr kennt den Gefangenen?“

„Ah, Anwärterin, Euch bleibt auch nichts verborgen, eh? Aye, wir kennen uns.“

„Geruht Ihr, zu sagen, woher?“

Pollach schaufelte den letzten Kuchenrest zwischen labbrige Lippen und schloss kurz die Augen. Klein und wach saßen sie zwischen Fettpölsterchen eingeklemmt und beäugten die Anwärterin eine Weile. Jeram lehnte nach wie vor am Gitter, begierig darauf, dem Gespräch zu lauschen. 

„Jede Familie hat so ihre schwarzen Schafe. Wir sind uns nie ganz einig gewesen, wer das schwarze und wer das weiße ist, Lan und ich. Um genau zu sein, sind wir noch immer in Debatte darüber. Ich werde Euch aber als Erste informieren, wenn ein Urteil steht. Darf ich vorstellen: Lan Parzer, seines Zeichens abtrünniger Pollach. Er musste den Namen wechseln. Ihr versteht – unangenehme Fragen.“

Sie packte die Fackel fest. Sehr, sehr fest.
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