Im Licht der Kerze
#1
Im Licht der Kerze saß sie in der Bibliothek der Akademie, allein, während sich die anderen bereits zurückgezogen hatten. Das spärliche Licht fiel auf die Seiten des Folianten, geschwungene Worte in dunkler Tinte wiedergebend.
Doch Lillie's Kopf war vornüber gesunken, leise ging ihr Atem während ihr das hellbraune, mit bernsteinfarbigen Strähnchen durchwirkte Haar ins Gesicht fiel. Der Schlaf hatte sie überwältigt, die Lider einfach schwer und schwerer geworden, während ihr Traum Szenen ihrer Reise zurückbrachte, das auf schwerer See wogende Schiff, die Fässer, die sich im Frachtraum gelöst hatten und gefährlich durcheinander rollten, die junge Frau an Deck klettern ließen, sich ein Versteck suchend, abseits von der eifrigen Mannschaft, weit unter ein Wachstuch schlüpfend. Dann zeigte der Traum die Türme Löwensteins in der Ferne, ihr Ziel und ihre Hoffnung.
Und weiter schlief Lillie, über das Buch gebeugt, eine Hand im Schoß, die andere als Kopfkissen nutzend nun.
Nortgard war fern, und mit ihm der Wind den sie liebte.
Im Tausch dafür erhielt sie Antworten auf tausend Fragen, Lillie seufzte leise im Schlaf auf... Antworten waren ein guter Anfang.

[Bild: 672y4v3w.jpg]
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#2
Die Tage die sie nun schon in Löwenstein verbracht hatte, reihten sich aneinander, ein jeder doch anders als der vorherige. Tagsüber weilte sie durchweg in der Bibliothek, immer und immer die Schriften durchgehend, solange bis ihr Kopf zu schmerzen begann, sodass sie sich von den Büchern wegreissen musste. "Verbringt nicht all Eure Zeit zwischen den staubigen Büchern, Fräulein Silberbach", riet die Magnifizenz, so, als gäbe es ein Leben ausserhalb dieser Mauern. Heute Morgen jedoch, in aller Frühe, stieg sie die Stufen eines kleinen Turms hinauf, um weit oben über den Dächern Löwensteins den Wind einzufangen. Er wehte den imaginären Bücherstaub aus ihrem Haar und kühlte ihre Gedanken. Der Herbst war da, die Jahreszeit die sie so sehr liebte. Wind, Regen und Sonnenschein reichten sich in einem wilden Reigen die Hände, ließen bunte Blätter fliegen während Kinder ihre selbstgebauten Drachen fliegen ließen. Hier oben kam sie zur Ruhe, ihre Gedanken flatterten zart umher, von den Büchern, den neugewonnenen Erkenntnissen, den neuen Bekanntschaften, all den Eindrücken die sich so sehr von Nortgard unterschieden. Sie war froh einen Landsmann kennengelernt zu haben, einen Feinschmied aus Nortgard, der ihr rührend Rat und Beistand anbot, und so etwas wie ein Stückchen Zuhause wiederspiegelte. Dann kam ihre erste Unterrichtsstunde, die Worte ihrer Magnifizenz, oh wie erfüllend war es dem Unterricht teilhaben zu können, wie sehr hatte sie darauf gehofft und nun war es Wirklichkeit geworden.
Gestern hatte sie Kräuter suchend, einen ersten, längeren Spaziergang gemacht, bis hin an die Grenzen Hohenquells, einem Teil Candarias wo Arellus Lyrandes lebte, einer der unterrichtenden Meister der Akademie. Durch einen Zufall fand sie sein Häuschen, fern ab der bewohnten Gebiete. Er nahm ihr die Scheu frei heraus zu reden, sich mitzuteilen. Zu rasch verflog der Abend gefüllt mit guten Gesprächen. Sie wusste nicht was es war, nur dass sie sich wohl fühlte in seiner Gegenwart, zu wohl vielleicht?
Sie ließ ihren Blick ein letztes Mal über die morgendlichen Dächer wandern, verfolgte den Flug eines Turmfalken der in Richtung der Akademie flog und nahm dieses als Anlass, sich von diesem lieb gewonnenem Ort, für heute zu lösen, die Bücher riefen und es war Zeit, dumme Gedanken tief unter dem Staub der Bibliothek Staub zu begraben.

[Bild: jdc66gfa.jpg]
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#3
Heute war es im Vergleich zum Vortage still in der Akademie, es schienen alle ausgeflogen zu sein, kein Laut drang weder aus dem Keller, noch aus dem Vorlesungssaal. Sie war wieder allein, sie und die vielen hundert Bücher.
Oftmals schien es ihr, als würde sich alles Gelesene nach kurzer Zeit wieder verflüchtigen, sich in vollkommnes Nichts auflösen. Alle Grundlagen die sie gelernt und im Unterricht verfolgt hatte mischten sich durcheinander, aus Formeln wurden Liedertexte, aus Textpassagen unpassende Zusammenhänge. Es schien nichts mehr zu passen. Vielleicht wurde es Zeit ein wenig durch die ruhiger werdende Stadt zu wandern, Luft zu atmen, ihre Nase war verstopft, der Hals machte ihr Beschwerden. Nachher würde sie Anastasias Lavendel aufbrühen und hoffentlich schlafen, denn das war ihr schon seit einigen Nächten nicht vergönnt. War es der volle Mond der ihre Nasenspitze kitzelte, waren es die Gedanken, die ihr keine Ruhe ließen? Was genau wollte sie hier? Herausbekommen welche Gesetzmäßigkeiten hinter dem Leben steckten? Und war das nützlich, war es lebensrettend? Heute Abend wusste Lillie so garnichts mehr, selbst der Sinn weshalb sie hier war, schien ihr abhanden gekommen zu sein. Sie sehnte sich nach der kühlen nortgarder Luft, die den Kopf so schön abkühlen ließ. Schliesslich löschte Lillie die Kerzen und noch lange sah man eine junge Frau schweigsam durch die Gassen gehen, begleitet von leisem Schniefen und Niessen.

[Bild: u6kpu7ms.jpg]
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