Arx Obscura

Normale Version: Was soll schon schiefgehen?
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Mit einem einfältigen Lächeln auf den Lippen setzte der Berg von
einem Kerl einen Fuß vor den anderen. Die Sohlen der Wanderstiefel
hinterließen beinahe glatte Abdrücke im Matsch des Grabens neben
der Straße, als er auf die Herberge zuhielt. Das obskure Konstrukt auf
seinem Rücken, das wie eine Kreuzung zwischen Buchenholzkommode
und Bastkorb wirkte, war mit unzähligen kleinen Schubladen versehen,
mit Stoffstücken behangen und klapperte und klirrte vor Tiegelchen,
Phiolen und Zangenwerkzeugen. Am Kreuzungsschild verstummte das
Konzert aus Gerappel, als er anhielt, um sich zu orientieren.

Ra. Schon gar nicht so schlecht, dachte er sich.
Rav. Ja, geht doch. Bin gar nicht sooo langsam. Seine Stirn
furchte sich vor Anstrengung.
Ravin. Aha! Seine Zunge lugte im Mundwinkel heraus, als er
konzentriert die Buchstaben entzifferte.
'Ravinsthal? Ravinsthal.' schlussfolgerte er letztendlich und lächel-
te stolz. Sein Magen knurrte laut und erinnerte ihn daran, weswegen er
wieder auf Wanderschaft war. Die fleischigen Finger der schaufelartigen
Hände strichen über den voluminösen Bauch und endeten in einem
dunklen Trommeln der Fingerspitzen.

"Immer dem Bauch nach, ja. Hu-hu-hu," lachte er vor sich hin,
"Das hat der Meister immer gesagt, ja."

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Die, die er getroffen hatte, waren auf Pferden unterwegs gewesen.
Einen jeden hatte er - ganz so, wie er es auf der Olitätenwanderschaft
mit seinem Meister gelernt hatte - mit "hoher Herr" gegrüßt. Wer so
hoch saß, musste ja schließlich viel Geld haben und ein hoher Herr
sein. Selbst die, die beladen mit Erzsäcken oder Bündeln von Stroh
umherliefen, trugen Rüstwerk und dergleichen. Entweder war er in einen
komischen Krieg geraten und es gab keine Landbevölkerung mehr unter
den zahlreichen Soldaten (so sahen sie nämlich aus), oder hier hatten sie
wirklich alle viel Geld.
Geld... dafür schienen sie sich alle zu interessieren. Ein hoher Herr
warnte ihn sogar davor, allein zu wandern, weil ihn sonst Räuber
überfallen würden - er müsse gut auf sich Acht geben.
Es schien ihm nicht ganz schlüssig, warum ausgerechnet er überfallen
werden sollte, er hatte ja kein Geld bei sich. Und wie hatte sein Meister
damals gesagt? "Auf dich muss man nicht Acht geben, du Klotz gehst ja
eh nicht verloren."

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Später in der Stadt verbrachte er ein wenig Zeit am Marktplatz. Da gab
es viel zu sehen: Selbst bis in die Nacht verkauften die Herren Händler
und die Fräuleins ihre Waren. Und so wollte auch er dann einmal seins
dazu tun und seine Mittelchen anpreisen. Er stellte das mächtige
Tragekonstrukt vor sich auf den Boden und befühlte die orthografisch
nicht ganz korrekt eingeschnitzten Buchstaben.

[Bild: unterschriftrudi.png]

Was würde schon schiefgehen können? Ein wenig Lesen konnte er,
Schreiben ging ja auch... nur Rechnen, davor fürchtete er sich. Aber die
Leute würden wohl schon Acht geben, dass alles mit rechten Dingen
zuging - waren ja wohl nicht alle Betrüger, wie der hohe Herr zu Pferd
gemeint hatte.

So hob er die Stimme und gab zum ersten Mal in der neuen Umgebung mit
dröhnendem Bass und breitem Hohenmarschener Akzent seinen Vers von
sich.
Als er am Morgen erwachte, brauchte er einen Moment, um gedanklich ins
Hier und jetzt zurückzufinden. Ja, da hatte er auf dem Sack gelegen, den
er eigenhändig mit Laub gefüllt hatte, um sich weich zu betten. Nur wo
war er doch gleich... ach, richtig. Vor dem Tor des netten hohen Herrn
Ernst. Schlaftrunken rieben die großen Hände über die kleinen Augen, die
in dem bulligen Schädel weilten. Behäbig rollte er sich auf die Knie. Bei
seinem Gewicht und Umfang musste er doch ein wenig kämpfen, um auf
die Beine zu gelangen. Als er da so auf den Knien kauerte und sich mit
den Händen hochdrückte, entblößte er seine Poritze für einen Moment
durch das geschlitzte Hinterteil des Überwurfes, wo die Hose etwas nach
unten rutschte. Jetzt musste er aber in den Wald, um wieder nach Kraut
und Halm Ausschau zu halten. Nicht, dass ihn die Mägde und Burschen
noch von seiner Lagerstatt piesackten.

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"Uh-uh...," brummte Rudi leise, "uh-uh, das is' nich' gut. Nee, das is' nich'
gut. Ganz und gar nich' gut is' das."
Als er da so am Rand des Hanffeldes stand und sich den reglosen Arm
besah, der aus dem Ackerreich ragte und höhnisch einen Mittelfinger
emporreckte, konnte ihn selbst der Anblick der hübschen Pflanzenblüten
nicht trösten. Nein, er war ganz und gar untröstlich darüber.
"Sowas tut man doch nich'... hmnee, das is' nich' gut."

Nachdem er dem hübschen Fräulein Annabell (die so leckere
Schweinsstelzen zubereiten konnte!) gesagt hatte, was er da gefunden
hatte, hatte diese den hohen Herrn Ernst verständigt. Zusammen hatten
er und Rudi den halben Tag damit verbracht, diese Sauerei zu beseitigen.
Und doch gab es noch so viel zu erledigen, wobei er dem hohen Herrn und
den hohen Fräuleins behilflich sein konnte. Und immer wieder ging ihm eins
durch den Kopf:

Hoffentlich gibt keiner mir die Schuld. Sowas tut man einfach nich'.