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Normale Version: Geister im Tempel der Sonne
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Geisterhaft strichen die nervösen Schatten ihrer selbst durch den Tempel des Mithras, falteten emsig Umschläge aus Papier und verteilten sie. Huschten mehr oder weniger lautlos über leise knarrende Holzdielen in Sorge um Vater Claudius Zorn. Huscht durch den dunklen Ratssaal, vorbei am wütenden August, der doch nur seine Arbeit tat, die Legion beschützt die Priesterschaft.
Schlichten über den Steinboden der Krypta in Gedanken bei des seligen Vaters Sonnfeld Worten. Alles war Sache der Stadtwache, einer Stadtwache die sich selbst nicht einig war.
Besorgt huschten die ängstlichen Schatten ihres Seins zum wutschnaubenden August und dem besorgten Carlos zurück. Nur um in noch größerer Sorge neuerlich den Weg über Treppen und durch Räume zu finden. Irrten durch den Garten, vorbei an den bleichen Gespenstern Vater Manessers und Elena Hohensteins. Wahrheit oder Lüge? Macht Streben oder Mithras Dienst?
Getrieben von nervöser Unruhe fanden sie sich in jenem Raum ein, der Ruhe brachte, Ruhe erzwang. Stille, nur durchbrochen vom leisen Klacken von Holz auf Holz. Still und stumm versammelte sich die Schar der Schatten vor dem veltenbruchschen Geist. Sich dem Elysium, dem Quell der Macht anzunähern barg Gefahren. Zu lange, zu nah an der Quelle und man fand den Weg nicht mehr zurück, wollte ihn nicht mehr zurückfinden. Still verharrten die Geister, Momente des Friedens, ehe sie wieder hinaus huschten. Getrieben von der beginnenden Dämmerung. Vor dem Quartier der Legion auf und ab wanderten, ohne die Schwelle zu übertreten, leise Klagelaute. Rastloses wandern nur ab und an vom Gesell leisen Gemurmels begleitet, bis das Licht Mithras die Schatten bricht und nur eine junge Frau in roter Robe zurücklässt.
Still lag sie im Halbdunkel. Schloss die Augen, suchte den Schlaf. Ein kalter Lufthauch, ein ungutes Gefühl ließen sie blinzeln. Da war etwas… das Flattern eines löchrigen Umhangs aus ungefärbter Wolle…
Er war in Löwenstein!
Still, erstarrt blickte sie zur Gestalt in Leder und Wolle auf, leere Augen starrten sie hinter der Maske hervor an.
Vielleicht sollte sie schreien, Mutter Greiffenwaldt und Vater Veltenbruch wecken.
Wie schnell wäre die Legion aus ihrem Quartier hier?
Vielleicht sollte sie ihm einfach Mithras Macht entgegen schleudern?
Er verharrte, starrte. Nur ein Herzschlag ehe er aus ihrem Blickfeld entschwand, lautlos auf welchen Ledersohlen.
Erstarrt lag sie im Halbdunkel und wusste nun: sie träumte. Sie schlief.
Erst gegen Morgen erwachte sie, erschöpft unter Kopfschmerzen.
Elender Salbeitee, wie hatte sie sich nur darauf einlassen können?
Wie lange war die Reise von Guldenach nach Löwenstein her? 20 Tage? Mehr oder weniger. 20 Tage im Dienste Mithras. 20 Tage in der Gemeinschaft der Kirche. Sie hoffte Gerrik würde Carlos und Vater Claudius die Nachricht zukommen lassen. Was würden sie davon halten? Dass sie nachts lieber alles andere tat als zu schlafen wussten sie. Ehrwürden August würde sich nicht erfreut zeigen. Und dieses Versteck war…lächerlich! Früher oder später würde man sie finden. Was nicht das Problem war, wichtig war nur bis zu jenem Zeitpunkt eine Lösung für das Problem gefunden zu haben! Bedauerlicherweise gab es einen Mitwisser.

Janusch Veltenbruch

Was würde er tun? Wie dumm sich nicht zu beherrschen! Das schränkte den Zeitrahmen ein. Wie viel Zeit blieb? Wichtiger: Was nun? Erneut mit Seiner Seligkeit Sonnfeld sprechen? Das alles seiner Weisheit und Führung überlassen? Eine Möglichkeit. Mit Seiner Seligkeit Veltenbruch sprechen? Möglich. Mit Mutter Greiffenwaldt sprechen? Unbedingt!
Sie zog die Knie an, lehnt den Rücken an die Holzwand. Gab es hier Wölfe? Wilde Tiere? Vielleicht war die Sorge der Brüder der Legion doch nicht ganz unbegründet… ein Messer und eine Lederrüstung…nützliche Dinge um sich sicherer zu fühlen.
Sie schlang die Arme um die Knie. Vielleicht wäre es besser gewesen im Tempel zu bleiben und zu beten? Sich beim Bibliothekar oder auf dem Dachboden zu verstecken war wesentlich sicherer als hier…
Verdammt, bei Mithras! Warum musste sich alles so entwickeln? Bestand die Kirche der Ordnung, des Lichts, des Mithras nur aus Lüge, Betrug und Verrat?
Sie schob den Gedanken beiseite. So etwas durfte sie nicht einmal denken!
Es würde alles nach Mithras Willen werden nun wo Vater Veltenbruch Erzpriester war.
Es musste…
Leise begann sie das Nachtgebet zu sprechen:

Mithras, Licht der Welt!
Im Angesicht der Finsternis rufe ich Dich an!
Vertreibe die Schatten aus den Seelen der Menschen!
Dein Feuer erfülle uns!
Stähle unsere Stirn gegen alle Schrecknisse!
Dein Feuer erfülle uns!
Die Schönheit und Stärke Deiner Ordnung öffnet uns für Ruhe und Zuversicht!
Dein Feuer erfülle uns!
Lasse Mut in unsere Herzen quellen und überschäumen!
Dein Feuer erfülle uns!
Da Du uns beistehst, oh Herr, ist kein Abgrund zu tief und keine Widrigkeit unüberwindlich!
Dein sind wir mit Haut und Haar auf alle Zeit, in Ewigkeit.
So sei es!
Was war geschehen das sie sich vom Ekel, vom Zorn überwältigen ließ? Ordnung! Dieses Weib mit kostbarem Wasser des Lebens zu überschütten…viel zu kostbar für sie! Es war eine sinnlose und dumme Tat gewesen. Dennoch sie hatte mehr als nur das Wasser verdient, sie hatte den Tod verdient… eine Weile kreisten ihre Gedanken wie besessen um die Ermordung dieses Weibes…Ordnung…Ordnung! Mord war wieder die Ordnung! Zumindest öffentlich…gegen die öffentliche Ordnung!

Ordnung half die Wut zu zügeln. Sie konzentrierte sich auf ihre Schritte, jeder Schritt exakt gleich lang, die Füße, die Knie, die Beine alles musste richtig sein, ordentlich. Haltung, Schultern, Arme, Kopf. Auch wenn es Albert ärgerte, dass sie so Zeit vergeudeten. Es half dem nächsten Mondwächter nicht den Hals umdrehen zu wollen.

Seine Seligkeit Veltenbruch hatte Recht, Mondwächter mussten überzeugt, mussten missioniert werden, man musste ihnen die Hand reichen. Die Buße war angemessen, aber Brot und Wasser? Dazu Trockenfleisch! Wie sollte man das ordnen? Warum konnten es keine Linsen sein? Oder Kohl? Irgendetwas das sich ordnen ließ! Wenigstens keine Suppe!

Nachdem Nachtgebet ging sie ins Skriptorium. Ablenkung suchen, einen Brief an Livera Schreiber aufsetzen. Livera Schreiber, die Mondwächterin. Sie war in Ordnung. Wie Aline. Vielleicht musste doch nicht jeder der ihren sterben? Vielleicht ließ sich Mithras Ordnung gemeinsam mit ihnen errichten…

Gehüllt in Fackelschein trat sie in den Garten und begann mit einem Messer und einer Schere aus der Küche die Bäume zu bearbeiten, sie mussten bis zum Morgen gleich aussehen. Vater Claudius wurde das Licht im Garten auffallen, da er selbst nach im Büro arbeitete. Zwei die nicht schliefen. Sie beschloss ihm gegen Morgen einen Salbeitee vorbeizubringen, sobald die Bäume ordentlich aussahen…
FSK-18:

OOC
Sie kannte den Ort, den Raum. Es war schließlich immer derselbe Traum. Sie wusste, dass es ein sinnloser Versuch war die Beine zu bewegen, noch ehe sie es wie immer dennoch versuchte.

Es war kein schlechter Plan gewesen. Nur eben nicht perfekt. Es war nicht sehr hoch und die alte Eiche stand dicht genug am Haus um aus dem Fenster zu klettern. Im Nachtgewand natürlich nicht schicklich! Aber sich im Dunkeln anziehen? Ein falsches Geräusch und man würde sie womöglich hören. So stieg sie im Nachtgewand barfuß aus dem Fenster, knapp erwischten ihre Finger einen der dickeren Äste, mühsam klammerte sie sich an ihn. Nur nicht runter fallen! Nicht loslassen! Ihre Finger krallten sich in die Rinde während ihre Füße über dem Boden baumelten, strampelnd schaffte sie es einen Fuß auf einen Ast unter sich zu setzen. Keuchend setzte sie den zweiten Fuß auf, tastete um sich bekam einen weiteren Ast zu fassen und ließ sich hinab. Ungeschickt kam sie mit einem dumpfen Laut auf dem Boden an. Hatte sie etwas gehört? Ein nervöser Blick zum Haus. Nein, alles war dunkel. Es war nicht weit bis zum Geschäft ihres Vaters und sie wusste, dass er heute mit einem Geschäftspartner zusammensaß. Sie brauchte sich nur auf dem Karren des Mannes zu verstecken, zwischen der Ladung und zu warten bis er die Stadt verlassen hatte.

So einfach.
So naiv.

Ungesehen – viele Menschen war nun wirklich nicht nachts unterwegs – gelangte sie zum Geschäft ihres Vaters. Ein Blick nach oben zum Fenster seines Arbeitszimmers zeigte: er war noch da. Er arbeitete immer sehr lange. Bis spät in die Nacht, oft übernachtete er auch dort oben. Alina hätte sehr gerne bei ihm übernachtet. Hastig sah sie sich auf dem Hof um, da der Wagen! Leise, fast lautlos huschte sie über die festgetretene Erde zum Wagen. Rauf und zwischen die Waren! Bemüht leise kletterte sie mit mehr Glück als können eines der Räder hinauf und kroch zwischen die Ladung.

In Sicherheit… bis ihr Vater mit einer Laterne und seinem Geschäftspartner heraus kam und sie die Ladung überprüften. Der Blick des rothaarigen Mannes neben ihrem Vater schien eher verwirrt über seine neue Fracht als verärgert. Ihr Vater wirkt hilflos, fast verzweifelt – wie immer und wie immer suchte er es vergeblich zu verbergen. Natürlich nahm der Mann sie nicht mit, stattdessen brachte man sie zurück nach Hause.

Sie kannte den Traum. Dennoch wand sie sich, versuchte sich zu befreien, griff – wie schon unzählige Male – nach oben, krallte die Finger in roten Wollstoff und sah nach oben in das strenge Gesicht mit den blauen Augen umrahmt von rotblonden Haar.

Vater Veltenbruch!
Das war neu!

Der Rest war nicht neu:

Sie bettelte, sie flehte, sie versprach zu gehorchen, nie wieder wegzulaufen. Sie spürte wie das Holz unter ihren Fußsohlen fortgezogen wurde, spürte die Hitze und begann zu schreien…

Keuchend fuhr sie im Bett hoch. Dunkelheit nur durchbrochen vom Schein des Mondes, welcher durch die Fenster hereindrang. Stille.

Warum war niemand von ihrem Schrei erwacht? Es war gespenstisch still im Schlafsaal, nicht einmal der Atem der anderen Schläfer war zu hören. Als sich ihr Atem beruhigte vernahm sie ein Geräusch, leise und regelmäßig.

Sie war nicht wach. Einen Moment lang erwog sie sich einfach wieder hinzulegen und das Tropfgeräusch zu überhören. Aber welchen Sinn machte es in einem Traum den Versuch zu unternehmen zu schlafen? Man schlief ja bereits.

Vorsichtig stand sie auf. Ihre Füße schmerzen noch immer vom Laufen ohne Stiefel und sie hatte Hunger. Sie folgte dem Tropfgeräusch, nur um festzustellen, dass der Ursprung Blut war, welches aus einer aufgeschlitzten Kehle auf den Fußboden tropfte.
Langsam trat sie zu den anderen Betten, Alberts Bett war leer. Leise schlich sie aus dem Schlafsaal, fand im Flur an der Wand lehnend Mutter Mirialay mit einem Sax in der Brust. Mit einem tiefen Atemzug schloss sie die Augen. Mutter, Vater….

Sie musste zu den Quartieren der Legion. Doch wollte sie das wirklich? Sie sollte sich wenigstens bewaffnen…langsam trat sie zur Tür, öffnete sie. Der Raum dahinter lag im Dunkeln. Mondlicht zeichnete die reglos daliegenden Körper nach. Ihr Blick glitt über die Betten. Langsam, zögerlich trat sie an eines heran, sank auf die Knie. Griff nach der Bettdecke und beugte sich über den Toten: Vater! Sie schlang die Arme um den toten Leib.

Nein! Nein! Nein! Warum er? Tränen schossen ihr in die Augen, brannten. Sie blinzelte. Es ist nur ein Traum! Verdammt, nur ein Traum!

Langsam löste sie sich von der Leiche, sah sich im Raum um. Eine Waffe…und ließen sich Liturgien im Traum anwenden?

Sie erhob sich, verließ den Schlafsaal der Legion ohne Waffe. Sie konnte eh nicht damit umgehen. Bei jedem Knarren der Holzdielen zuckte sie leicht zusammen auf ihrem Weg hinab, der Tempel lag, still stand die Gestalt gehüllt in einen löchrigen Umhang vor der Statue des Mithras. Erst als sie herantrat kam Bewegung in sie, eine Drehung, die weiß-graue Maske wandte sich ihr zu, die linke Hand hob sich um ein Sax freizugeben.

Sie taumelte, Schmerz schoss durch ihre Brust, strahlte in Schulter und rasch taub werdenden Arm aus. Verwundet sah sie auf den Griff hinab der aus ihrer Brust ragte. Ehe sich Dunkelheit über ihre Sinne legte…
Langsam glitt ihr Blick über die Dächer der Stadt. Nahm jede Unordnung, jedes Fehlen von Symmetrie wahr. Ekel und der Wunsch einige Menschen vom Dach zu werfen stiegen in ihr auf.

Doch..Zurückhaltung war geboten. Sich dem Gewürm gleich verhalten! Schließlich hatten sie alle Pläne, um das zu erkennen reichte ein Blick auf Aushänge, Briefe, Schreiben. Erbrechen in Schriftform! Widerlich! Eine Entweihung der Ordnung!

Vielleicht war es Zeit zu reden. Zeit mit jenen zu reden die doch ach so viel Wissen sammelten. Wissen und ein Eid der sie band.

Doch was sprach gegen eine hübsche kleine Bibliothek, weit, weit fort von all diesem Gewimmel. Die Ordnung der Bücher!

Ordnung durch Führung!

Sie schloss die Augen, breitete die Arme aus…mantraartige wiederholte ihr Geist die Worte.
Die Ordnung brauchte Rahmenbedingungen, Regeln. Regeln waren Veränderungen unterworfen, wandelbar.
Vielleicht wurde es Zeit mit der Feder neue Regeln zu verhandeln. Allgemein hin schon eine Sache der Höflichkeit wo am morgigen Tage doch Loyalität erwartet wurde.

Loyalität erforderte es sich zu „benehmen“ und sie erforderte neue Verhandlungen um Rahmenbedingungen.

Und schließlich gab es auch noch Arbeit zu tun, sie schloss die Augen, ließ ihren Atem sich dem Rhythmus der Worte anpassen, Gleichheit, Einigkeit, Ordnung…

Ordnung durch Führung…Ordnung durch Führung
„Wenn dich das Licht verbrennt, umarme die Dunkelheit.“

Still, reglos lag sie auf dem Bett in der Dunkelheit. Starrte die Decke an. Auch ohne hinzusehen wusste sie von der Anwesenheit der anderen.

„Du magst sie, oder?“

„Mögen? Ich ‚mag‘ niemanden. Ich teile deinen Traum nicht, mein Traum ist Mithras Ordnung.“

„Gut, du magst es ihr zu schreiben, du schätzt ihren Geist.“

Beredtes Schweigen. Ein Moment der Stille.

„Fürchtest du nicht, dass es irgendwann jemandem auffallen könnte, dass du ihr schreibst?“

„Nein, außerdem welche Wahl hast du? Du brauchst mich.“

Beredtes Schweigen. Ein Moment der Stille.

„Was hast du nun vor?“

„Herausfinden ob ich Recht hatte, gib mir Tinte und Feder.“

„Aber du kannst doch nicht…“

„Natürlich kann ich, dein Handeln war wider die Ordnung. Wie Seine Seligkeit sagte. Oder wäre es dir lieber ich lasse es dich büßen?“

Die schlangengleiche Stimme bekam einen freundlichen, sanften, mitfühlenden Unterton. Ein Tonfall der nur einen Schluss zuließ: die Buße würde sich an der reichhaltigen Kenntnis der Folter zu bedienen wissen.
Ausreden, zwecklos.

„Aber ihre Gnaden hat nichts von Buße gesagt!“

Sehr gut, Priester besaßen Autorität und in diesem Fall sogar mehr als das! Gnaden Veltenbruch besaß Respekt (oder zumindest so viel Achtung „geschätzt“ zu werden). Die Andere schätzte die Briefe, die Unterhaltungen, das verbunden mit der Frage ob seine Seligkeit Gnaden Veltenbruch bei einem Gespräch gestatten würde als ihre Lehrmeisterin anwesend zu sein. Alles Argumente die für eine Buße durch seine Seligkeit – und für weniger Folter – sprachen.

„Besorg mir Verbände und ein oder zwei Wundheiltränke…oh und ein Messer!“

Nein! Sie schloss die Augen. Wenn sie sie einfach missachtete vielleicht verschwand sie dann?

„Du wirst immer bleiben was du bist, du wirst mich stets brauchen.“

Dunkelheit. Stille. Sie war fort…
„Dämonen des Gestern“

Wer so viele Dämonen hat, dem kann wenigstens nichts noch schlimmeres widerfahren.

Langsam nahm sie einen Schluck roten Blutes aus dem Becher. Schon die Gedanken beiseite, die sich ihr doch so beharrlich aufdrängten.

Respektierst du den Vater mehr als den Sohn? Herr Veltenbruch mehr als Seine Seligkeit? Nein, der Gedanke verbot sich einfach! So etwas dachte man nicht!

Und doch warum war es dann so? Warum brachte jeder mithrasverdammte Schluck Wein ein bisschen mehr bittere Erinnerung an Feuer, an Schreie, an Leid…an den letzten Mann zurück von dem sie sich gewünscht hätte er wäre wie Janusch Veltenbruch.

Der Mann den sie gerne geliebt hätte und doch nicht hatte. Der Mann der seinen eigenen Tod befohlen hatte um sie zu retten.

Hatte er sie geliebt? Auf seine Art gewiss.

Schreie, Blut, Feuer.

Ihr war übel. Sie schloss die Augen. Vermutlich kam die Übelkeit von dem einen Schluck Cervisia oder dem knapp ein Dutzend Becher Wein, welche ihm folgten.

Wundervoll, das morgen einem Priester zu beichten – vielleicht Manesser? – und dem Rest danach zu erzählen, dass sie gebeichtet habe und alles in Ordnung wäre? Guter Plan!

Nur das nichts in Ordnung war…

Erneut nahm sie einen Schluck roten Blutes aus dem Becher.
Für einen Moment, nur einen Augenblick pulsierte Mithras Licht und Wärme durch ihren Leib. Gruben sich ihre Finger in den roten Wollstoff, schmiegte sie ihr Gesicht in die Robe.

„Mutter…“

Für einen Moment erklang dieses Wort voller Liebe, voller Zuneigung, voller Hingabe.

Im nächsten Moment wandelte sich Licht in Feuer, verbrannte Haut und Haar. Schmerz fegte jede andere Empfindung beiseite. Für einen Herzschlag schrie sie, gequält, gepeinigt auf. Ehe sich die Kälte der Nacht wohltuend, kühlend um sie schmiegte.
Ihre Züge gefroren zur Maske. Lächeln, lächeln. Wo hatte sie das eigentlich gelernt? Ach ja, des Nachts vor dem Spiegel, wenn sie sich vorstellte wie Mithras sie sah, wenn sie betete, wie er sie lächeln sah. Ein hübsches, ein geübtes Lächeln. Eine lächelnde Maske.

Die Stimme, ein weiteres Werkzeug. Leicht moduliert. Warm, sanft, freundlich im Klang. Sie musste Wahrheit vermitteln, Aufrichtigkeit.

„Ja, Mutter, ich liebe Euch.“

Lächeln, die Stimme modulieren. Erreichte das Lächeln auch ja die Augen? Täuschte es über die Lüge hinweg, ließ die Maske das blutige Stück Fleisch hübsch erscheinen? Fähig die Peiniger zu lieben?

Der Spiegel sagte: Perfekt!

Die Finger schlossen sich um den Federkiel, kratzen als die Spitze über das Papier glitt, Worte formte. Es wurde Zeit Gnaden Veltenbruchs Auftrag zu erfüllen. Keine Spiele mehr, Ehre war Ehre und kein Spielzeug!

Und der Moment des Schmerzes vergangen, wichtig war nun allein der Auftrag und nichts anderes mehr. Aber: ein Sax war eine gute Idee. Nur für den Fall der Fälle.

Sie überlegte ob sie Seiner Seligkeit davon berichten sollte, verwarf den Gedanken dann jedoch. Vermutlich wäre sie nicht erfreut von der Neuigkeit, dass sie nicht vorhatte sich als fünftes oder sechstes Messer hinten anzustellen. So etwas war erbärmlich. Und gegen die Ordnung. Gegen jede Rahmenbedingungen.

Albert oder Zerline wären gewiss bessere Gesprächspartner für jenes Thema. Doch zuerst die Arbeit, dann das vergnügliche Plaudern.
Der Wahn trieb sie davon, riss sie gleich einem unerbittlichen Mahlstrom mit sich. Sie hatte es nicht gewusst… woher auch? Dass Seine Seligkeit bedingungslosen Gehorsam verlangte. Sie hatte gebetet, bis ihr der Gedanke kam, dass es Seine Seligkeit verärgern könnte so sie sich in der Quelle verlor.

Tag um Tag, mehr Wahnsinn. Hatte Janusch Recht oder Sie? Sie wartete, ein Sax war nicht nötig. Feuer und Stahl.

Verbände ließen sich auftreiben, vielleicht gar ein Wundheiltrank. Unnötige, verfügte man über Mithras Segen.
Sie zitterte. Wie viel hatte Wulfrik gesehen? Wie viel Janusch? Wie viel Albert? Wie viel Xin?

Nein! Albert musste Recht haben, Taten, ja das war gut, das klang, richtig! Seine Seligkeit würde sehen, dass sie bereute. Er würde führen und dann würde dieser Wahnsinn enden.

Enden ohne Feuer und Stahl.

Leder schützte die Hand vor der Hitze des Feuers, Finger drehten die rotglühende Klinge.

„Halt still oder ich muss zwei Mal ansetzen, dann tut es dir viel mehr weh…“

Die Vorfreude in der schlangengleichen, zischelnden Stimme war unüberhörbar. Sie schrie als der Stahl sich in ihr Fleisch brannte. Schrie nach Führung, nach Vergebung. Ohne das freilich der Adressat der Schreie sie hören konnte.

Seine Seligkeit war nicht hier, niemand war hier der sie hätte hören können.
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