Arx Obscura

Normale Version: Hinter dem Stahl.
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Gast

Das Poltern und Rumoren der ersten Ausrichter des Winterfestes hatte bereits abzuebben begonnen – die ersten Fuhren von Aufbauten, Verpflegung und sonstigen Dingen, die für die Ausrichtung des vier Tage andauernden Festes erforderlich gewesen waren, hatten ihren Weg zurück in die Kammern der Ravinsthaler Bevölkerung gefunden und würden sich mit einer gewissen Zukunft konfrontiert sehen. Was sicher war: Die vielen, unverspeisten Kuchen und Braten würden in keine rosige Zukunft blicken – Verfall oder Resteverwertung bar jeglicher Festlichkeit. Der Glanz des Volksfestes war vorüber. Die Blase verging schleichend und nicht in einem heftigen Aufplatzen, wie es eigentlich das Wesen jener fragilen Konstrukte war. In den Augen des Ordensstreiters war es sogar mehr als: Ein Lügengebilde, eine Scharade, die dem Wunsch entsprang, nach all' den Jahren der Entbehrungen, nach dem Blutkonklave, nach dem Krieg gegen Indharim, der endlich auch die Küsten Amhrans selbst erreicht hatte, zu so etwas wie Stabilität und Ordnung zu finden. Die Normalität als Ausnahmezustand eines Reiches, das ein Leben ohne die Katastrophe und die Klinge an der Kehle nicht mehr kannte. Kollektives Durchatmen unter der Ausgelassenheit des Ravinsthaler Pöbels, durch den der Adel seidengleich flanierte.


In der Kammer des Ritters Savaen und seiner Gattin hatten die letzten Geräusche vom Ausklingen des Tages ebenfalls abzuklingen begonnen und Yngvar Stein nahm den allseitig über der Burg Rabenstein ausgebreiteten Mantel der Ruhe als Anlass, sich in die Kammer zurückzuziehen, die neben dem edlen Paar zur Verfügung stand. Unter normalen Umständen hätte er darauf gewartet, dass seine Schwester vom Tordienst zurückkehrt – doch hatte die hässliche Fratze der Ruhe einen Nebeneffekt, mit dem der Ordensstreiter bereits gerechnet hatte. Das schmerzhafte Pochen seines Körpers nach den Kämpfen des Turniers war mittlerweile unerträglich geworden und begann ihm die Sinne zu rauben. Zugegeben: In der Hauptsache waren es die Hiebe des edlen Ritters gewesen, die Yngvar das Gefühl gegeben hatten, als hätte man ihm seine Rüstung mit Gewalt unter das Fleisch gepresst. Jeder dumpfe Aufschlag auf das Metall seiner Rüstung hatte dazu geführt, dass seine Rüstung zunehmend auf ihn wirkte, als hätte man ihm ein Bronzekorsett angelegt. Das Atmen fiel ihm schwer, der Geschmack von Blut auf der Zunge deutete an, dass irgendetwas Schaden genommen haben musste. Stehenbleiben. Lächeln. Verneigen. Versöhnliche Worte sprechen. Den Ritter das Gesicht nicht verlieren lassen. Als der purpur gewandete Krieger, das Aushängeschild des Löwensteiner Adels in den Dreck befördert wurde, flimmerte ein Gedanke durch seinen Verstand, der vom Trieb des Jünglings, der in seiner Nortgarder Jugend Turnier um Turnier gewonnen hatte, bislang vernebelt worden war: War es klug gewesen, einen Adligen des Reiches in den Staub zu schicken? Die Erwiderung seiner eigenen Zwiesprache folgte sofort, noch da der Krieger sich vor Schmerzen krümmend, aufzurichten begann. Darius Savaen war ein Ehrenmann – einer der es vermutlich als größere Beleidigung empfunden hatte, wenn man ihn absichtlich hätte gewinnen lassen. Der Ausgang war darob nicht aufzuhalten gewesen. Gerade stehen, Yngvar Stein. Nichts anmerken lassen. Schmerzen.


Fahrige Hände ergriffen die Goldstatue und die Urkunde des Freiherrn von Thalweide. Händeschütteln. Irgendwann abtreten, klatschende Hände, johlende Menschen. Der Sonnenlegionär ertappt sich bei einer nur allzu menschlichen Empfindung: Stolz – vielleicht sogar Hybris. Das gleiche Gefühl, welches er vor Jahren empfunden hatte – damals, als sie seinen ersten Sieg in einem Hammerhaller Turnier miterlebt und mit ihm gefeiert hatte. Erneut ein stechender Schmerz irgendwo zwischen Hüfte und Bauch, was den Krieger dazu zwingt, sich anzustrengen, um die statuenhafte, gerade Position nicht zu verlassen. Nicht reden. Eine Statue sein, sämtliche Empfindungen aussperren und den Schmerz still erdulden – und hoffen, dass es schnell vorbei ist. Das aufwallende Gefühl der Unbesiegbarkeit des Sonnenlegionärs war etwas, dass ihm geholfen hatte, die letzten Stunden des Tages aufrecht und – abgesehen von dem Schweiß, der sich nun trocken auf seinem Körper zwischen Rüstzeug und Unterkleid abgesetzt hatte, augenscheinlich unbeeinträchtigt durchzubringen. Das immer wieder in seinem Kopf explodierende Gefühl, in dem Gefängnis, das seine Rüstung war, schreien zu wollen, wurde erfolgreich heruntergekämpft. Gut so, Yngvar Stein. Du bist ein in Bronze gehauener Wächter des Herren. Nutze den Sieg. Nutze ihn für die Kirche, nutze ihn für das Reich. Erhebe dich. Die Tür der Schlafkammer, in der ebenso seine Schwester nächtigen würde, schloß sich und der Kämpfer sackte auf seine Knie. Die Arme stützten sich auf den Boden, als er – ungesehen von jenen, die in seinem Umfeld standen, die Menschlichkeit zeigen konnte, die unter dem Wachen Auge der Öffentlichkeit, dem Leib verboten war. Riemen und Verschlüsse wurden so hastig geöffnet, als würde da irgendwo ein jungfräuliches Weib auf den Kämpfer warten – doch war es einzig und alleine die Möglichkeit wieder befreit ein- und auszuatmen. Achtlos und nicht wie sonst sauber aufgeschichtet, lösten sich die einzelnen Rüstungsteile wie Zwiebelschalen vom Leib, während der Krieger sich, durch den belebenden Lufttausch seiner Lungen vitalisiert, unter dem umso deutlicher wirkenden Schmerz zu krümmen begann. Ein allzu unwürdiges Aufwimmern folgte, als der vom Ritter wie ein frisches Stück Rindfleisch durchgeklopfte Leib betastet wurde und die vielen, in grünen und blauen Färbungen getauchten Stellen des Körpers sich unter dem geschundenen Atemrhythmus wellenartig hoben und senkten. So lag Yngvar Stein eine ganze Weile einfach nur dort – und wartete darauf, dass der Schmerz irgendwann von alleine gehen würde. Das tat er immer. Irgendwann – da war jede Form des Schmerzes gleich. Geduld war die beste Waffe gegen diese widerliche Empfindung, die ihn stets so einfach und klein in seinen Augen wirken ließ.


Einem Wasserfall gleich, stürzte das Konstrukt, in dem sich Yngvar die letzten Tage bewegt hatte, dennoch ein. Der Verlust seiner Mutter, der Frau, die ihn und Marit großgezogen – und einen wesentlichen Anteil an der Trennung der Geschwister hatte, war vor dem Ereignis des erschlagenen, silendirer Erzpriesters zunächst zurückgetreten und in einen Teil seines Verstandes gesperrt worden, der ihm Zeit für die Trauer erst nach dem Winterfest einräumen sollte. Doch jetzt – alleine, sich unter den Schmerzen des Turnieres auf dem Boden seiner Kammer windend, schlug auch das noch zu, was die Seele des Kriegers zu ignorieren gelernt hatte. Unwürdig.

Momente wie Ewigkeiten vergingen, als die schweren Schritte auf dem Gang das Ende der Wache ankündigten, von der sich Marit bald zurückmelden würde. Die letzten Stunden bis zur Rückkehr nach Löwenstein liefen ab und Yngvar Stein erhob sich ächzend gleich einem Stahlträger, über dem ein Gebäude einstürzte. Erhebe dich, Yngvar Stein. Der Morgen kommt.