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Normale Version: Schatten der Vergangenheit
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Marie Philippa Strastenberg

Es waren solche Momente, in denen die Schreiberin sich die Frage stellte, ob sie wohl im falschen Lehen geboren worden war. Sicher, sie war in Ravinsthal immer gut zurecht gekommen - eine gewisse angeborene Biegsamkeit in Charakter, Ansichten, Moral und Besitzverhältnissen war dem durchaus zuträglich gewesen - aber wirklich wohl gefühlt hatte sie sich erst in Silendir. Das freskenverzierte Fachwerk Guldenachs, die manierlichen Plaudereien bei Tee und Gebäck, die noch der letzte Schuhmacher zu beherrschen schien, und natürlich die Säle. Oh, die Säle. Kitschige Blumenkinder in Gold, die von den Wänden lachten, Spiegelwände, von schwerelosem Schmiedewerk umrahmt, glänzend polierte Böden, Fenstergläser die an einen durchscheinenden Regenbogen gemahnten.... sie vermisste es bis heute. Die Paläste Silendirs hatten sich alle Farben von Himmel und Erde zunutze gemacht und einen Rahmen daraus gewoben, der des Kaleidoskops hindurchschwappender silendirer Mode würdig war.

Marie seufzt leise. Löwenstein mochte größer und eindrucksvoller sein, doch nur in der Hinsicht, in welcher ein muskelbepackter Feldarbeiter neben einem Tänzer eindrucksvoll wirkte. Es war Masse. Masse an Stein, an Straßen, an Häusern, an Menschen... Löwenstein hatte alles außer Stil, weder in den Gebäuden, noch an den Bewohnern. Die Leute trugen allen ernstes Wollkleider, die kaum bis übers Knie reichten, bei den Göttern. Röcke aus Bärenfell. Bärenfell. Bärenfell legte man sich vor den Kamin, so der Raum rustikal genug gestaltet war. Wie kam man da bloß auf den Gedanken, sich diesen besseren Teppich um die Hüften zu wickeln? Was Mode anging, war es in Löwenstein, so musste sie nach mittlerweile drei Jahren feststellen, ebenso schlimm wie in Nortgard. Nun...nein. Beinah so schlimm wie in Nortgard. Nirgendwo war es so schlimm wie in Nortgard.

Ein neues Seufzen, als sie das Glas auf diese traurige Erkenntnis hob und einen Schluck daraus nahm, auf den Marktplatz herausstarrend. Hätte sie damals geahnt, wie schlecht es um die Schneiderei von Löwenstein steht, hätte sie wohl ihr gesamtes Vermögen für Kleidung ausgegeben, bevor sie Silendir verlassen hatte.... Die Gedanken stockten und ließen die Blonde leise schnauben. Nein. Nein das hätte sie nicht. Nicht nachdem sie ihn fallen sah. Die Lippen bildeten eine feste, verkniffene Linie. Ein neuer, langer Schluck Wein, als sie die Gedanken mit Mühe zurück lenkte.

Kleider. Hübsche Kleider. Denk an Kleider.

Kleider... Es gab zu wenige davon, wenngleich eines der schönsten Stücke nun glücklicherweise in ihrem Besitz war und - wie konnte es anders sein - aus Silendir. Feines Leinen, scheinbar nur aus fein bestickten Borten und Ausschnitten und Öffnungen bestehend. Es wurde zumeist als Überkleid genutzt, wenngleich der Schnitt es durchaus erlaubte, es auf bloßer Haut zu tragen, ohne einen einzigen verfänglichen Deut zu zeigen - dennoch war der dadurch erzielte Effekt so vielversprechend, dass es sich kaum empfahl, so etwas außerhalb der eigenen vier Wände auszuprobieren. Insgesamt also ein typisch vieldeutiges, elegantes Meisterwerk aus Silendirer Hand, das sie doch nur ein einziges Mal seit der Schenkung getragen hatte. Zu groß die Angst, dass der Stoff an einer rauen Hausecke hängen bleiben oder von einem trunken vorbeitorkelnden Idioten mit Körperflüssigkeiten befleckt werden könnte. Ganz von der Gefahr zu schweigen, die der Zobel barg - Marie erinnerte sich gut daran, wie er mit nonchalanter Miene den feinen Umhang des Ritters als Putzlappen nutzte.
Kurzum: Die Situation war untragbar geworden, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Blondine gehörte nicht unbedingt zu jenen, die sich mit ihrem Besitz hinter Schranktüren und Truhenschlösserln glücklich wähnten. Was sie hatte, wollte sie nutzen (wenige Ausnahmen vorbehalten). Es musste endlich etwas unternommen werden.

Marie leerte ihr Glas und ließ es auf der Fensterbank zurück, sich zum Schrank wendend, um diesen schillernden Schatten der eigenen Vergangenheit vorsichtig herauszuziehen. Es war ja nicht so, als hätte sie heute Besseres zu tun.
Es gibt so viele Eigenschaften die sich für ein schickliches Fräulein nicht gehören. Der Neid gehört definitiv dazu. Man durfte bewundern, man durfte loben, aber neidisch sein war etwas, dass ich schlicht nicht gehörte. Und so sehr sie es versuchte, so sehr konnte sie dieses Gefühl nicht unterdrücken.

Damals in Rabenstein hatte sie diese Art von Kleid zuerst gesehen und sich in jenes verliebt. Ein semi-aufwändiges Kleid mit gut gewählten Ausschnitten. Sie hatte es sich immer und immer wieder durch den Kopf gehen lassen, und es gab recht wenig was man zu diesem Kleid nicht tragen könnte. Kalirana hatte die Ministrale nicht gefragt woher sie es hätte, ging sie doch davon aus es wäre ein Unikat, geschneidert nur für jene selbst. Aber die Blutkonklave zeigte anderes. Der Fürst – in mancherlei Gedankenwelt auch Herzog – von Silendir hatte diese Kleider mitgebracht und der Vogtin, und den Fräuleins der Stadt-Verwaltung vermacht. Sie hatte gesehen wie sie die Kleider trugen, zu diesem und jenem Anlass. Ihr Blick ging aus dem Fenster auf die andere Strassenseite auf das Haus des edlen Ser Seysbald. Bestimmt sass das Fräulein Strastenberg gerade vor ihrem Kleiderschrank und lachte sich ins Fäustchen die kleidsamste Verwalterin des Viertels sein zu können.

Nein! Neid gehört sich nicht!

Es muss eine andere Lösung geben. Wenn sie nur an ein solches Kleid kommen könnte, könnte sie die Nähweise studieren, den Schnitt erforschen ohne des unzüchtigem Starrens an öffentlichen Orten bezichtigt zu werden. So schwer konnte es auch nicht sein. Im Grunde war es doch nur ein etwas größeres Kleid, mit rafiniertem Schnitt. Es hört an der Brust auf und wird von einem Schulterstück hochgehalten. Dieses wurde offenbar von einem Lederriemen an Ort und Stelle gehalten. Aber wie bekamen die Schneider es hin die Schultern so, robust zu befestigt. Aber wie konnten die Schultern nur so imposant darin aussehen? Die Vogtin war nicht gerade dafür bekannt ein Muskelpaket zu sein, also wäre es ausgeschlossen dass ihre eigenen Schultern diese Werk vollbrachten. War hier vielleicht Leder unter dem Stoff eingearbeitet um das Stück robuster zu machen? Sie brauchte eindeutig so ein Kleid um Dinge wie diese zu überprüfen.

Vielleicht sollte sie sich mit dem Fräulein Strastenberg treffen. So könne eine Freundschaft gedeihen, und gewiss könne sie sie so davon abhalten vor ihrem Kleiderschrank zu sitzen und hexenhaft zu lachen.
Hah! Mithras war gnädig mit ihr gewesen! Nicht nur kam das Fräulein Strastenberg auf sie zu, nein sie konnte dieses Kleid auch noch ausgiebigs studieren und die fein geschnittenen Linien auch geniessen.

Marie sagte sie würde sich mit ein wenig Materialkunde beschäftigen. Vorallem galt es die Kanten zu verstärken, dass diese auch in Form blieben und nicht lieblos herunter hangen. Ihr nun oblag die Verantwortung den stofflichen Hauptkorpus des Kleides zu entwirren und ein Muster zu schaffen, welches einem erlaubte aus den Leinenbahnen etwas auszuschneiden, und dann richtig zu vernähen.

Sie griff sich einige Pergamente und begann auf jenen mit einem Kohlestift zu zeichnen. Immer wieder wurden Muster verworfen und landeten achtlos zerknüllt in einer Ecke, ehe sie das Geheimniss gelüftet zu haben schien. Endlich etwas mit dem man Arbeiten konnte!

[Bild: kleid.png]

Endlich etwas mit dem man Arbeiten konnte. Die Proportionen waren nocht etwas unpassend, aber die würde man so oder so je nach Kunde anpassen müssen. Schließlich war dies kein Kleid welches massenhaft produziert werden würde. Jemand der so etwas trug, musste sich wohl oder übel einen Maßschnitt leisten können.

Aber sie war bereit, morgen würde die Schöffin wieder kommen und hoffentlich eine gute Lösung zur Verstärkung der Kanten gefunden haben, dann konnten sie das Kleid zusammensetzen und hoffentlich etwas silendrische Edelkeit nach Löwenstein holen.

Marie Philippa Strastenberg

Sie war keine Schneiderin. Sicherlich, sie konnte, was jede Frau können musste: Löcher ordentlich stopfen, zerfaserte Ränder neu vernähen, das ein oder andere zu große Hemd enger fassen, und natürlich all die weniger nennenswerten Kleinigkeiten wie Knöpfe anbringen. Kurzum, sie konnte auf ihre Garderobe aufpassen - wer sollte es auch sonst tun?
Die Erfahrung reichte soweit natürlich auch aus, um vielleicht gar ein ganz, ein sehr einfaches Kleid selbst zu schneidern, was ebenso keine Seltenheit war. In einem jeden Armenviertel einer jeden Stadt unter dem Mond sah man sie, all die Straßenhändler, Wäscher und Tagelöhner in grober Kleidung, die irgendwie, ungefähr und möglicherweise besser als ein Kartoffelsack saß - zweckdienliche Stoffe aus eigener Hand, die das Notwendigste erfüllten. Marie erinnerte sich gar an die Zeit zurück, selbst so etwas getragen zu haben, und hing zuweilen sogar recht gern in Gedanken diesen einfachen Tagen hinterher, in denen sie noch wusste, wie sich warmes Straßenpflaster unter bloßen Füßen anfühlte. Sie war jedoch auch Realistin genug, um Nostalgie als Nostalgie zu enttarnen und ebenso leichthin zur Seite legen zu können, wie manches Andere aus früheren Jahren. Müsste sie tatsächlich barfuß über die Straße laufen und Kartoffelsäcke tragen, wären die Gefühle dabei weit, sehr weit von Glück entfernt, dessen war sich die Schreiberin vollends bewusst.

Und so kam es, dass sie die knappe Freizeit der letzten Tage damit zubrachte, nicht etwa verblichenen Erinnerungen nachzuhängen, sondern an etwas zu arbeiten, was sie ganz praktisch im Hier und Jetzt haben wollte: Das vermaledeite silendirer Überkleid. Während sich Brandt als echte Schneiderin mit dem befasste, wofür man nun mal Schneider brauchte, nämlich mit dem Schnitt an sich, galt es für Marie, eine angemessene Verstärkung der so tollkühnen wie wohlgeformten unteren Ränder des Kleides zu finden. Es musste weich und biegsam genug sein, um nicht aufzufallen, fest genug, um die zart zugespitzte Form zu halten, und dünn genug, um nicht durch allzu dicken Rand das ganze Stück zu verderben. Es wäre natürlich am einfachsten gewesen, das bereits vorhandene Kleid aufzuschneiden und nachzuschauen, doch was, wenn die Kopie dennoch nicht gelang? Dann würde sie überhaupt nichts mehr besitzen. So blieb raten und diverse Dinge in die Ränder der von Kalirana zubereiteten Probetücher zu stecken, um so irgendwie auf das Richtige zu kommen.

Sie hatte anfänglich gezielt angefangen: Metalldraht, feine Fischgräten, Weidenästchen, all das eben, was eine gewisse Formstabilität versprach, ohne allzu steif zu werden. Es wurde natürlich dennoch zu steif, und so griff sie irgendwann zu vollkommen zufälligen Dingen: Kettchen, Schnüre, Wollfäden, alles was man irgendwie in einen umgeschlagenen Stoffrand zwängen konnte. Womöglich war es dieses erratische Suchen, das nun, etliche Weinflaschen und Tage später, endlich etwas ergab, was erfolgversprechend aussah - eine dünne Lederschnur, die sich im Stoff verbarg und etwa jene Eigenschaften heraufbeschwor, nach denen gesucht wurde. Ob all das auch am fertigen Objekti wirken würde, ob das Leder nicht etwa zu viel Gewicht auf das Material geben und das Kleid verziehen würde, das blieb allerdings abzuwarten.

Der Gedanke entlockte Marie ein fahles Schulterzucken, als sie ihr erfolgversprechendstes Ergebnis vorsichtig einpackte. Wenn nicht, würde man es eben weiter versuchen. Alles gab nach, wenn man nur beharrlich genug blieb. Nun...fast alles.