Zum ersten Mal seit sie Silendir verlassen hatten, war sie ihrem Ziel einen Schritt näher. Die Samen des Meisters, welche es ihm ermöglichten einen Trank herzustellen, welcher die Fähigkeit zu „fliegen“ verleiht. Doch tat der Meister nichts was nicht seinem Ziel diente: der Unsterblichkeit. Der Trank musste also ein Teil des Rätsels sein. Ein Teil der Lösung.
Heute Abend wurde mit der erste Schritt getan werden: das Einpflanzen der Samen.
Das stellte die erste Herausforderung da. Der Meister hatte niemals einen seiner Schüler in den Raum mit den Pflanzen gelassen. Folglich wusste sie nicht wie genau er die Samen gezogen hatte. Sie hatte beschlossen nicht alle Samen zu verwenden, sondern lediglich vier. Sollte es misslingen wären noch einige übrig.
Als erstes mussten die Pflanzen also in der richtigen Erde am richtigen Ort wachsen. So sie sich recht entsann braucht die Pflanzen Dunkelheit. Was nur logisch war, Mithras stand für die Sonne, für Licht und somit gegen alles was die Hexerei ausmachte. Einen dunklen Raum hatte sie bereits gefunden. Niemand würde dort hoffentlich das Wachstum stören.
Danach würde es ans „Tränke brauen“ gehen und im Anschluss mussten die Tränke ausprobiert werden.
Gewiss, der Ratssitz sollte auch noch einmal untersucht werden und – obgleich einige nicht begeistert waren – musste das Wesen gesucht werden, welches entkommen war.
Die Unsterblichkeit war so nah…
Vergangenes neigt gern dazu, sich zu wiederholen. Besonders unter solchen Menschen und Gruppierungen, die ihre Vergangenheit schlichtweg nicht kennen.
Deswegen zieht sich ein roter Faden aus Gewalt, Misstrauen und Tod durch das Leben jener, welche eine Verbindung mit dem Abyss haben. Ob durch den Dunkel oder den Pakt, ab dem Moment, in dem sich ein Hexer seiner Kraft bewusst wird, ist sein Leben ein anderes.
Mit der Macht folgt Gefahr. Aus der Gefahr heraus entstehen Verschwiegenheit, Eigensinnigkeit und ab und an Paranoia. Und die Folgen daraus sind unberechenbar.
Doch weckt die Macht ebenso Neugier und Wissensdurst. Ebenso das Bedürfnis nach noch mehr Macht.
Und Gelegenheiten dazu gab es einige. Grund dafür sind die Gräber an einen längst verschollenen Ort. Eines dieser Gräber hielt ein Wesen gefangen, welches eine neue und unbekannte Variabel in den Geschicken dieser Welt darstellt.
Ein Wesen, das so wie die Hexer eine Verbindung zum Abyss hat. Und obwohl dem so ist, weckt es nicht die Neugier der anderen. Nein, es weckt ihre Vorsicht und Angst. Und so gibt es Stimmen, die eine Inquisition fürchten und aus eben diesem Grund, selber zu einer aufrufen wollen. Nachvollziehbar ist es. In einer Welt, in der das Geheimnis am wichtigsten ist, sind unbekannte Mächte gefährlich. Eine unbekannte Macht, welche das Geheimnis vieler offenbaren kann. Doch sind Menschen und Wesen, welche vom Abyss berührt wurden, Außenseiter in einem Land geprägt von Mithras. Deswegen ist es noch unklar, ob die Hexer jagen werden oder mit dem Wesen zusammenarbeiten werden. Nur eins ist klar, das Wesen darf nicht länger unbekannt bleiben.
Das andere Grab enthielt Wissen über einen der großen Dämon des Abyss und Samen, welche augenscheinlich nicht von dieser Welt stammen.
Rot wie Blut und Ingredenzien für einen Trank, der einem zum Fliegen verhelfen soll. Ob es die Samen selbst sind oder Bestandteile der Pflanze, welche daraus entstehen, genau dies liegt in der Absicht von ihm und der seinen, es herausfinden.
Die Informationen über diese Samen sind dürftig, doch ist ihnen zumindestens bewusst, dass sie nur in absoluter Dunkelheit wachsen.
Deswegen wurden vier Töpfe angelegt, eine jede gefüllt mit Erde. Der erste Samen findet sich in einem Topf mit gewöhnlicher Erde wieder, welche mit dem Wasser aus einer Quelle getränkt wurde.
Der zweite Samen wurde in einen Topf gesteckt, welcher mit einem Ritual vorbereitet wurde. Die Absicht des Rituals war es, den Boden zu entweihen und ihn mit der Energie des Abyss zu durchtränken. Dafür fanden sich die Hexer in einem Dreieck um den Topf ein. Der erste Bestandteil war Infernit, der Stein welches am ehesten mit dem Abyss in Verbindung gebracht wird. Drei Splitter, gefüllt mit der Macht des Abysses, wurden in einem Dreieck in die Erde des Topfes gesteckt. Der zweite Bestandteil waren Zehennägel eines Toten. So wie Dünger wurden sie auf der Erde verteilt, auf dass der Boden wie der Abyss ist.
Der Boden, gedüngt mit Infernit, Zehennägel und der Macht von drei Hexern, veränderte sich und gab eine Flüssigkeit frei, welche fern an einen Pilz erinnert, jedoch nach Moder und Tod roch. Die Flüssigkeit zeichnete sich als ein Ritualkreis im Topf ab, welcher die Mitte des Topfes umrahmt.
Als letztes folgte Grabmoos, welcher dem Ritual noch Stabilität geben sollte, damit der Samen in der zubereiteten Erde gedeihen kann.
Der dritte Topf wurde mit Blut gedüngt, während in dem vierten ein Brocken Infernit gesteckt wurde.
Ein jeder dieser Töpfe wurde markiert mit den alten Zeichen der Hexer. Auf jedem dieser vier Blumenkübel sind Dreiecke zu sehen, in denen die Paraphernalien abgebildet sind, welche genutzt wurden.
Die Samen wurden gesät, nun müssen die Hexer warten, bis sie die Ernte einfahren können.
Pflanzen sind, wie Pflanzen nun einmal sind - Tagelang scheint sich um die Samen in den Erdgefäßen nichts zu tun, aber ein jeder Bauer weiß, dass man in solcherlei Dingen Geduld haben muss. Oder vielleicht nicht?
Knapp zwei Wochen nach dem Säen und Präparieren der Pflanzkübel hat sich etwas an dem kleinen Raum geändert. Der beißende Geruch von verbranntem Pflanzenmaterial liegt in der Luft, die von einem fahlgrauen Rauch erfüllt ist. Dieser steigt ganz offensichtlich aus den vier Gefäßen auf, wo scheinbar über Nacht gewucherte Setzlinge schwärzlich und verbrannt auf der Erde liegen. Am Verbranntesten ist dabei jener nahe der Türe, wo die Sonne bereits am Vormittag ihre Strahlen hin entsandte, am wenigsten verbrannt ist der südlichste Setzling, der wohl den meisten Schatten hatte. Dennoch sind alle vier Versuche gescheitert, und der Raum wird ein ordentliches Lüften benötigen, um den beißenden Geruch wieder zu entfernen.
Die Nachricht des Meisters war ein Schlag ins Gesicht: die Pflanzen hatten es nicht geschafft.
Den nächsten Versuch würde sie persönlich überwachen, sie durften nicht noch einmal scheitern. Also ließ sie sich neben den vom Meister neu befüllten Töpfen nieder, entspannte sich und begann vorsichtig und kontrolliert die Kräfte des Abyss auf die Töpfe zu lenken.
Die ersten Stunden waren erträglich. Die darauffolgenden wurden mehr und mehr zur Qual. Die Kälte des Kellers wurde immer deutlicher spürbarer, die Glieder wurden steif und die Augen müde. Das Schlimmste jedoch war der Mangel an Zeitgefühl, es gab hier unten kein Tages- oder Mondlicht. Lediglich Fackeln. Wie viel Zeit war verstrichen? Wie lange würde sie noch warten müssen?
Erschöpft drückte sie den Rücken an die Wand. Wie lange würde sie noch durchhalten? Müde starrte sie die Töpfe an, rang darum nicht die Beherrschung über ihre Gefühle zu verlieren. Nur nicht wütend werden…Sie schloss die Augen. Einfach nicht mehr hinsehen…
Ein Teil von ihr verfluchte die Meister, genauso wie ein anderer Teil von ihr hoffte einer käme vorbei und würde sie ablösen. Aber alles hatte seinen Preis auch der Erfolg.