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Normale Version: Svesursche Klappschnitte
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Hartung des Jahres 1402

„Diese Candaria sollte sich schämen den Mann einer anderen anzufassen!“
Wütend geschimpfte Worte schlugen Liese bei ihrem Eintreten in das Häuschen entgegen.
Es hätte weiterhin ein friedlicher Tag auf der kleinen Insel Svesur werden können, aber es lag offensichtlich ein Hauch von Misstimmung in der schönen Winterluft.
Lieses Mutter war außerordentlich aufgebracht und benutzte die gesamte Länge des Hauses, um diese mit energischen Schritten und Gesten zu füllen, die ihre Aufgebrachtheit auf beeindruckende Weise untermalten.
Gerne hätte Liese die schweren Holzbeile und ihr Gepäck in Ruhe abgelegt, sich vielleicht sogar die Zeit genommen den Dreck der arbeitsreichen Tage aus dem Gesicht zu waschen, aber offenbar blieb dafür keine Zeit, denn das Zimmer war eher klein und der wütende Marsch an das eine Ende schien beendet und so stapfte ihre Mutter grollend wieder auf Liese zu „Er wälzte sich in den letzten Nächten wieder unruhig umher und rief nach so einem Luder mit Namen Candaria. Jedes Mal, wenn er ihren Namen haucht, möchte ich ihn mit seinem Kissen ersticken.“ teilte sie Liese wutentbrannt mit. Während des Vortrages malträtierte die Mutter parallel einen notdürftigen Taschentuchersatz in Form eines Hemdes, drehte und würgte das Stück Stoff mitleidlos.
Und wie das mit dem stimmigsten, erwischbaren Zeitpunkt so ist, steckte in diesem Moment ein rotschopfiger, sehr beunruhigt aussehender, Vater des Hauses den Kopf zögerlich zur noch geöffneten Haustüre hinein. „Hast du dich beru…“ weiter kam er nicht mehr, aufgrund einer wütenden Rothaarigen, die das tränennasse Hemd schwungvoll und gekonnt aus dem Handgelenk in sich verdrehte und es als peitschenartiges Schlaginstrument vorschnellen ließ. Und zu Lieses erstaunen machte sie das ausgesprochen geschickt!
Als im ersten Versuch die Türe getroffen wurde, erklang ein Laut, als würde es sehr schmerzhaft sein, würde das Werkzeug der Vergeltung auf zartes Fleisch treffen.
Gepackt vom Jagdfieber und dem Zorn der Gerechten verlagerte sich die Auseinandersetzung vor die Türe, zum Glück für die schadenfrohen Klatschmänner der Nachbarschaft und Liese, die nun ihr Gepäck ablegen konnte.
Das Zetern vor der Türe war jedoch trotzdem nicht zu überhören und wurde nur gelegentlich unterbrochen von einem „Au!“ des Vaters und dem Klang von ledernen Schuhsolen, die daraufhin flink über die Straßensteine tanzten. Er war größer und kräftiger als die meisten Männer auf Galatia, aber er setzte seine Kraft nie ein, für ihn war körperliche Überlegenheit keine Wahl zur Lösung eines Problems.
So wurde dieser Tag für die Beine und den Hintern des Vaters sehr schmerzhaft, für ihre Mutter sehr nervenaufreibend und für Liese der Tag, an dem sie von der
Heimat ihres Vaters erfuhr: Candaria.

Mehr als diesen Namen sollte sie dann leider auch nie erfahren, denn wenn ihr Vater eines konnte, dann war es über seine Vergangenheit geheimnisvoll zu schweigen. Selbst seinen Namen hatte er dem Galatischen angepasst, seiner Tochter dafür aber wiederum einen amhranischen Namen gegeben. Auch hatte er das geschriebene Wort aus seiner Vergangenheit mitgebracht und er bestand darauf dies an Liese weiterzugeben, genau wie die Fähigkeit sich manchmal gestochen auszudrücken. Wozu das nützlich sein sollte, erschloss sich ihr nicht, aber um Ihren Vater stolz zu machen, hätte sie auch gelernt wie man Fische mit den Zehen fängt. Zugegeben, die ein oder andere Münze gelangte durch die schriftlichen Fähigkeiten des Vaters schon in die Haushaltskasse, indem er Schriftstücke für andere Leute verfasste oder übersetzte. So sehr sich Galatier gegen die Schrift sträubten, es war doch oft recht nützlich für den Handel mit Reisenden aus fremden Landen, wie zum Beispiel diesem seltsamen Candaria.

Gerne wäre Liese an weiteres Wissen um dieses geheimnisumwitterte Land gelangt, aber es war dafür nicht besonders hilfreich, dass ihre Mutter dieses Candaria weiterhin genauso als Konkurrenz ansah, wie eine andere Frau. „Kind“ sagte sie dann immer „wenn du einen Fisch gefangen hast, dann musst du ihm immer auf den Kopf schlagen, damit er nicht zurück ins Wasser hüpft.“ Was ihr Vater mit einem Fisch gemein hatte, hatte sich Liese noch nie erschlossen.
Verweilte der Mutter Gatte aber mit den Gedanken zu lange in vergangenen Zeiten, dann zerrte die Mutter ihn mit sich in das Schlafzimmer und trieb ihm rigoros die Gedanken aus. Genauso hatte ihre Mutter schon in vergangenen Zeiten reagiert, wenn Liese ihren Vater mit löchernden Fragen zu seiner Herkunft bedachte und ihn auf diese Weise vielleicht an etwas Verlockendes zu erinnern vermochte.
Die Neugierigen, um das Vergangenheitswissen des Vaters bemühten Zeiten wurden jene Zeiten, in denen Liese viel nach richtigen, sprich bekiemten, Fischen angelte, denn eines steht für jedes Kind, egal welchen Alters, unumstößlich fest: die Eltern sind beide jungfräulich, treiben definitiv keine Unzucht und man selbst wurde von den Göttern mittels eines kleinen Schilfbootes vor der Türe des zur Elternliebe bestimmten Paares abgelegt.
Nur, diese Ansicht gegenüber ihren Eltern zu äußern, das hatte sie sich schnell abgewöhnt. Ihre Mutter hatte dann die unangenehme Eigenschaft weitere Lebensweisheiten mit der Tochter zu teilen. Darunter waren Juwelen wie „Einen Mann muss man regelmäßig melken, sonst staut es sich in ihm auf und wenn es den Kopf erreicht, dann wird er verrückt und du musst ihn verscharren wie ein durchgedrehtes Tier.“
Diesen Ratschlägen verdankte Liese aber auch das Wissen um das Wohlergehen ihrer Mutter, wenn sie selbst Galatia verlassen würde. „Kind“ hatte ihre Mutter oft genug gesagt „den Nachwuchs setzt man irgendwann in der Wildnis aus, sonst fällt man hässlich und tot um, während einem die Kinder noch an den graugewordenen Haarresten nagen.“
Daß sie Svesur verlassen würde und ihren Eltern nicht die Haare vom Kopf fressen würde, das stand für Liese wenigstens recht früh fest.
Es waren keine großen Unterschiede, die den anderen Kindern früh auffielen und Liese ein Leben lang in ihrem Dorf nahe Suelta zur Außenseiterin bestimmten. Das Beherrschen einer Schrift. Der Klang eines fremdartigen Namens. Manchmal ein etwas anderes Benehmen. Einen Deut größer. Einen Deut kräftiger. Einen Deut mehr Appetit. Einen Deut seltsame Wortwahl. Einen Deut anders.

Ihr Vater verstand Lieses Sehnsucht nach Candaria, sie war weder vom Blute, vom Namen, noch von ihrem Wesen her jemals eine vollblütige Galatierin gewesen, sondern ihrem candarischen Vater in Aussehen und Art wesentlich ähnlicher. Vielleicht machte es ihn sogar ein wenig Stolz, daß es die Tochter in seine alte Heimat zog.
Von der Mutter bekam sie zur Abreise noch einen letzten Ratschlag „Es gibt Leute, die achten konsequent auf eine schlanke Figur und Leute, die achten konsequent auf gutes Essen“ Ihre Mutter wäre ja nicht ihre Mutter gewesen, hätte sie es bei dieser einfachen und verständlichen Aussage gelassen, nein. Sie musste natürlich noch ein
„dicke Hüften bringen gute Kinder“ dranhängen.
Auch der Vater ließ sich zum Abschied nicht lumpen und endete seine reichlichen Ratschläge mit einem liebevoll vorgebrachten
„Meine liebes, kleines Klappschnittchen, gib ja auf dich acht“.
Es war bei den Brafees üblich es eine svesursche Klappschnitte zu nennen, wenn man eine Scheibe dunkles und eine Scheibe helles Brot aufeinander pappte, bevorzugt mit Honig dazwischen. Eine Spezialität des Hauses.
So fand ihr Vater das einen furchtbar entzückenden Kosenamen für das Töchterchen, befand er Liese doch für ein Wesen aus zwei verschiedenen Welten und aufzu für ein ausgesprochen süßes Töchterchen. Daran konnte Liese auch nichts dadurch ändern, daß sie sich für das Holzfällerhandwerk entschied und nach den saisonalen Arbeiten auf Prenne mit möglichst schmutzigem Gesicht zurückkehrte.
Also war es des Vaters Aufgabe sie mit diesem Kosenamen zu necken, während es Lieses Aufgabe als Tochter war, diese Bezeichnung einfach nur furchtbar zu finden.
Trotz der mangelnden Eingebundenheit in das saftige Miteinander der Galatier, standen außer Ihren Eltern noch einige andere, gute Freunde am Steg und winkten ihr nach.
Für Liese war es das berühmte lachende und weinende Auge, mit dem sie die Heimat verließ.
Wie konnte man nur von Galatia stammen und chronisch Seekrank sein? Liese fütterte während der Überfahrt genug Fische an, um damit halb Amhran ernähren zu können, dessen war sie sich sicher, obwohl sie die Ausmaße des Landes noch nicht einmal kannte. Bei allen Göttern hoffte sie nur auf festen Boden unter den Füßen. Dieser eröffnete sich ihm im Hornung des Jahres 1402, als sie das Land ihrer unbekannten Ahnen und der selbstgewählten Zukunft betrat.



Die Stadt der hässlichen, großen Katzen empfing sie mit aggressiven Ratten und reichlich Gassen zum verlaufen, gefüllt mit hektischen Gestalten.
Liese konnte gar nicht schnell genug nach Candaria finden und war dankbar für die vielen Wegweiser, die sie zielstrebig über halb befestigte Straßen dorthin führten, fort von den vielen Menschen.
Zu viele fremde Menschen auf einmal waren ihr einfach furchtbar unangenehm.

Es schien, als veranlasste Lieses Ankunft in Candaria den dortigen Winter zu seiner Abreise, und bald schon brachten Liese und der beginnende Frühling frischen Wind in das schönste aller Lehen Amhrans. Schneller als sie es hoffte fand sie Anschluss in einem Haus mit Namen Fuchsenfelde. Es waren sehr nette Menschen, die sie wohlwollend aufnahmen und Liese fiel es nicht schwer sich jauchzend in diese Arme voller Freundlichkeiten zu werfen.
Von Nara wurden ihr sogar köstliche Leckereien aus den talentierten Händen einer richtig echten Baronin versprochen, sowie die lehrreichen Talente eines Holzmeisters mit Namen Ley Animar.
Zwar hegte sie als Überbleibsel vergangener Tage noch immer eine Gewisse Unsicherheit gegenüber anderen Menschen, aber Candaria malte ihr bisher in watteweichen Farben die schönsten Wendungen aus und so hielt sich ihre Schwachstelle brav zurück.

Spionageunternehmungen verrieten Liese von den Läden des Herrn Animar in Löwenstein, bescherten ihr aber, trotz fleißigem in-der-Nähe-unauffällig-umher-Strolchens kein Aufeinandertreffen.
Dies übernahm der Zufall ein andermal in Candaria. Plötzlich lief ihr der Herr Animar samt einer Spaziergängertruppe in die Arme und es ergab sich die einmalige Gelegenheit mehr über ihren möglichen Lehrmeister, sowie über Candaria im Allgemeinen zu erfahren.
Zu ihrem Bedauern scharrte der gute Meister reichlich junge Lehrmädchen um sich und schien deren Aufmerksamkeit auch in vollen Zügen zu genießen.
Das erinnerte sie an ein scherzhaftes Zitat ihrer Mutter, welches sie oft gehört hatte, wenn sie mit ihr bei etwas vehementeres Wellengang in dem schaukelnden Boot saß, um zu Fischen. „Kind“ sagte die Mutter dann zu der unter Übelkeit leidenden Liese “du bist hier zum Anfüttern, also übergib dich endlich, die Fische wollen angelockt werden!“
Irgendwie schien Herr Aminar ein fetter Wurm zu sein, umgeben von einer schmackhaften Wolke Lockmittel in Form eines Wissensschatzes über Holz.
Und diese jungen Fische, die knabberten fleißig daran, was ihn kitzelte und zum Lachen brachte.
Irgendwie wollte Liese zwar auch sehr gerne ein Stück von dem Wurm, aber ihr kam das so vor, als wären das ziemlich viele Forellen und ständig so viele Menschen um sich, das konnte problematisch werden. Und der Wurm hatte einige, pfauenartige Anwandlungen, die nicht akzeptabel waren.
So wich sie diesem Thema vorerst aus und genoss eine ausgesprochen gute und geschichtenreiche Führung durch das schöne Lehen Candaria.
Eines musste man dem Holzmeister lassen: das konnte er wirklich gut.
Vielleicht bis auf den Teil der Führung mit Wald und Spinnen. Den Göttern sei Dank war der Rest der Wandergemeinschaft ausgesprochen geschickt und wehrhaft und so bugsierten alle zusammen eine kreidebleiche Liese gekonnt durch die Gefahren des fremden Waldes.
Und an am Ende der Führung wurde sie belohnt mit dem Anblick des Sägewerkes und hatte erfolgreich die ersten, zarten, Bande zu anderen Lebewesen des Holzwürmlischen geknüpft, sowie andere, nette Begleitschaften kennengelernt.
Zufrieden wie ein Fisch im Wasser befand Liese, daß die Götter ihr und diesem fremden Land ausgesprochen wohlgesonnen waren.