Arx Obscura

Normale Version: Ein Schritt
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Die Ordnung die er so sehr schätzte war nach den Kämpfen gegen den Untoten Magier wieder eingekehrt. Doch wo lag die Befriedigung in diesen nun wieder ruhigen Zeiten? Waren es nicht gerade all die Wachen bei Nacht, die ihn so sehr an seine Zeit im Norden zurückerinnerten? Waren es all die Gespräche die er mit jenen führte, die wieder ihres Weges gingen?

Es war eine schöne Zeit, nicht der Untoten wegen, nein. Es war eine schöne Zeit weil die Bande die einen in der Not binden oftmals die Stärksten sind. Ein gemeinsames Ziel vor Augen, ein gemeinsamer Feind. Spät des Nachts hörte man nichts auf den Straßen, vereinzelte Patroullien striffen wachsam durch die Straßen, die nur von ein paar Laternen oder Fackeln erhellt waren. Die Ungewissheit ob jener Wachgang der Letzte wäre, war ein Gefühl das einen jeden Sonnenaufgang wieder schätzen ließ.

Wo waren jene Leute die er in dieser Zeit beim Wachposten kennenlernte nur hingegangen? Waren sie gerade im Dreimaster? Oder schliefen sie? Umarmten sie ihre Liebsten die nun endlich wieder in Frieden leben konnten?

Jetzt sind vor den Toren der Kirche nurnoch vereinzelt Menschen zu sehen, keine Wächter die die Zeit mit Gesprächen totschlugen. Keine Menschen die ihre Sorgen mit den Wächtern teilten. Keine der Laternen konnte den Platz so hell erleuchten wie die Fackeln die von den Wächtern aufgestellt wurden.

Nun, der Blick aus dem kleinen Turm am Rande des Südwalds, es ist still geworden. Doch nicht so still wie es zuvor war. Ein paar Uhus uhuten, hin und wieder erklang das Geheule eines Wolfes aus dem Wald. Doch nichtsmehr erinnerte an den Schrecken der sowenige Stunden zuvor in diesem Waldstück herrschte. Fernab der Stadt hört oder sieht man kaum etwas, es ist langweilig geworden. Soviele Menschen wünschten sich jene Ruhe zurück, doch nicht jener einzelne Krieger der im Turm auf Kisten saß und entspannt in die Ferne blickte.

Wo war sie? Die nächste Bedrohung? Würde es denn jemals wieder eine geben? Gäbe es denn je wieder einen Grund seine Waffe zu ziehen um der Gerechtigkeit genüge zu tun? Die langsamen schweren Schritte die durch das kleine Treppenhaus des Turmes hallten, sollten niemanden wecken. Der schwere Helm wurde samt Wappenrock auf eine Kiste gelegt, wie ein rohes Ei berührte er jenen Helm nochmals und faltete den Wappenrock vorsichtig und ordentlich zusammen. Beim öffnen knarrte das Tor leise vor sich hin, und blieb einen kleinen Spalt geöffnet. Immerwieder schwang es ein paar Fingerbreit auf und zu bis es letztendlich vom Wind geschlossen wurde.

Es gab noch soviel zu erleben, und eine einzelne Laterne wanderte mit ihrem Besitzer Schritt für Schritt durch den Wald, ein Ziel gab es nicht, aber es gab einen Drang den ersten Schritt zu tun.
Die Schritte durch die Nacht wurden immer häufiger von Regengüssen erschwert und die metallene Rüstung mit Dreckspritzern übersäät. Ein langsamer schwerer Schritt der tiefe Abdrücke der Lederstiefel hinterließ war kaum zu hören neben dem Prasseln des Regens auf die Blätter und Bäume. Immerwieder drängte er sich nach dem ersten Schritt ausserhalb des Hofes den Weg zurückzusuchen, doch der Antrieb ließ sich nicht einfach in eine andere Richtung lenken.

Tiefer und tiefer Drang die Gestalt in den Wald hinein, die Trampelpfade gesäumt mit kleinen Pfützen die sich mit fortlaufender Zeit immer mehr zu einem Rinnsal in die bewaldeten Ebenen flüchtete. Das zischeln von Schlangen schreckte den Wanderer nicht ab, nun folgte er den kleinen Bächen in das Dickicht. Über einen kleinen Wiesenpfad dessen Anstieg durch das peitschen des Regens erschwert wurde folgte er ohne auch nur den Blick anzuheben. Am Ziel angekommen erklomm er die Stufen des einst wohl mächtigen Gebäudes das sich vor ihm wie ein alter Herr erhob. Die Stufen waren glitschig und teilweise von Moos bedeckt, so wollte jeder Schritt bedacht sein. Die Belohnung für den Weg war der Blick über den Weg den er gekommen war.

Stundenlang saß er am Rande des alten baufälligen Balkons und sah in die Ferne. Die Nacht im Walde war nicht viel ruhiger als das Stadtleben, es war nur anders. Doch wo sollte man hingehen wenn man den Anblick der Stadt nicht ertragen, und vieles nichtmehr sehen wollte. Fernab der Pfade herrschte normalerweise eine gewisse Ruhe, doch diese wollte sich nicht einstellen. Die Ruhe die er empfand wenn er den steinigen Weg seines Kommens hinabblickte wurde immermehr zu einem Drang erneut jenen WEg zurückzugehen. Die Beine baumelten im Windzug mit und er schenkte weder dem Wind noch der Kälte beachtung. Nur seine Gedanken schienen ihn zu fesseln. Gesichter die vor seinem inneren Auge erschienen während er in einen halbschlaf verfiel. Stimmen die er wahrzunehmen glaubte obwohl niemand um ihn herumstand.
Sein schlagendes Herz das in jenen Momenten immerwieder schwer wurde und die Augen aufriss und sich umsah als hätte ihm jemand eine Hand auf die Schulter gelegt. Fluchtartig verließ er jenen Ort immer kurz bevor die Müdigkeit ihn vollends erfasste. Bei seinem Rückweg bemerkte er wie seine Stiefel immer schwerer, durch Schlamm und Morast, wurden.
Der Mond zeichnete immerwieder merkwürdige Fratzen durch die Äste in den Waldboden, doch jene erschreckten ihn nichtmehr seit er den Schlaf mied. Es erschreckte ihn auch nichtmehr wenn plötzlich ein Reh oder ein Wolf neben ihm erschien. Die Ignoranz sämtlichen Waldlebens um ihn herum beim Rückweg schien ihn wie einen Schatten zwischen den Ästen verschwinden zu lassen, bis er vor den Stadttoren ankam und letztendlich ein paar Sonnenstrahlen den nächsten Tag erweckten.

Ein feuchtes Pergament holte er hervor und schrieb Gedanken nieder
"Wo bin ich nur gegangen, ferner Wege.
Wo war ich grad gefangen, in deinem Bann?
Wo werde ich heut sein, im tiefsten Walde
Wo schlaf ich heut nicht ein, nicht bei dir, nur allein"


Immerwieder las er die Zeilen und zerknüllte letztendlich das Papier das er über die Brücke in den Graben warf. Die Stiefel zogen noch eine Weile seine Abdrücke hinter sich nach, bis der harte Pflasterstein den Dreck bei den Schritten abklopfte. Eine Tür stand ihm immer offen, doch sollte er sie durchschreiten?

Vor der Tür angekommen griff er nach seinem Schlüssel, starrte ihn an und sperrte die Türe langsam auf. Niemand war hier, nur ein Fass und ein paar Becher. Er füllte etwas ein und trank Einen aus ... Zwei... Drei... Vier... Fünf. Irgendwann begann die Welt sich zu drehen und er stellte den Becher ab, in einer Ecke deckte er sich zu und fiel in den rauschigen Schlaf den er sich gewunschen hatte ohne Träume.
Kurz vor der besinnungslosigkeit hetzte sein inneres Auge ihm ein Gesicht ins Gedächtnis und er schlief ein bevor das Regenwasser gepaart mit ein paar Tränen einem unglaublichen Schnarchen wichen.
Eine endlose Leere im Herzen trieb ihn durch die Gassen. Seine Haut so hell wie seine Haare. Der ewige kalte Regen machte Serbitar weniger aus als die Tatsache dass selbst wenn jener Enden würde, er sich nicht so leicht zwischen den Pflastersteinen zurückziehen konnte. Die Keuche war nach wie vor allgegenwärtig und nun war er dazu gezwungen eine Lösung für jenes Problem zu finden. Doch wie sollte man gegen etwas kämpfen das man mit blankem Stahl nicht erstechen konnte? Man kann einen Menschen töten, aber wie eine Krankheit? Was fällt dieser Krankheit überhaupt ein sich in sein Leben einzumischen? Immerwieder wechselte die Stimmung zwischen Zorn und Verzweiflung. Warum musste es gerade jemanden erwischen der ihm am Herzen lag? Konnte es nicht irgendjemand sein? Ein Anderer? Eine Andere? Doch mit diesen Gedanken fühlte er sich ebenso unwohl, wem würde er denn das wünschen? Ist er nicht besser als jeder Andere der sich erst mit einem Problem befasst wenn es entstanden ist, und es nicht schon im Keim erstickt? Kann er wirklich Andere verurteilen die so denken?


Wenn selbst die Kirche nicht imstande war der Seuche einhalt zu gebieten? Wer war es dann? "Das Leid das die Seuche über mich gebracht hat ist nicht das Ende der Welt, es ist nur die Saat der Veränderung."

Wer konnte einen Menschen besser unterstützen als seine Familie? Wohlmöglich niemand, doch ein Funke blieb in seinen Gedanken, jemand den er kannte, jemand mit Einfluss und jemand den er sehr Respektierte. Sein Weg führte ihn zum Hause Ganter, seiner ersten Station in diesem Kampf, doch wie jeder Kampf muss er gut vorbereitet sein.
Es musste der Dreiundzwanzigste des Elften Monats gewesen sein, oder war es schon der Vierundzwanzigste als er seinen Posten verließ? Langsam ging er wie nach jedem Schichtwechsel in seine Unterkunft. Manchmal loderten noch die Kerzen der Laternen im Untergeschoss wenn die Mitbewohnerin arbeitete, oftmals waren sie aber schon ausgelöscht. So griff er langsam nach dem Türgriff und entsperrte den Riegel des Schlosses. Ein leises "Klick" ertönte und er drückte die Tür auf. Der Vorraum war immer in Dunkelheit gehüllt und die Tür geradeaus zeigte unter dem Spalt keinen Lichtschein. So entschied er sich die Türe leise hinter sich zu schließen und wieder mit einem "Klick" fuhr der Bolzen des Schloßes ein. Der Schild wurde vorsichtig neben der Tür abgestellt und die Handschuhe darauf gelegt. Eine Reinigung folgte im Waschzuber und so schritt der Krieger leichten Schrittes die Treppen hinauf. Das Knirschen der Rüstungsteile hätte ihn wohl mehrfach verraten aber er versuchte dennoch nicht zu Laut zu sein um seine Mitbewohnerin nicht zu wecken.

Auf dem Tisch stand noch etwas zu Essen, in der Dunkelheit machte er ein Stück Brot aus und griff danach um es mit sich in die Dunkelheit seines Schlafraumes zu nehmen. Dort angekommen entzündete er vorsichtig seine kleine Laterne, die mehr Schatten als Licht warf und setzte sich an einen kleinen rustikalen Tisch mit Stuhl. Er zückte ein paar Papiere heraus und begann sich Notizen zu machen. Währenddessen kaute er immerwieder am Brotherum, bis letztendich die Papiere und der Tisch voll von Krümeln waren. Mit der freien Hand wischte er jene Krümel hinfort und ließ die Feder neben dem Papierhaufen niedersinken. Ein lautes Gähnen folgte, unterstützt vom knirschen der Rüstungsteile, als er aufstand und sich streckte. Die Prozedur die Rüstung abzulegen wurde selbst im Halbschlaf recht schnell durchgeführt bis er sich ins Bett legte und aus dem einzelnen Fenster sah das den nächsten Tage mit einem Sonnenstrahl in sein Gesicht einläutete.
"Jetzt noch Schlafen" murmelte er sich leise zu und kurz bevor die Dunkelheit der Müdigkeit seinen Verstand benebelte murmelte er "Wir finden eine Möglichkeit dich zu Retten. Ich habs versprochen"
.

Am späteren Nachmittag des Vierundzwanzigsten des Elften Monats.

Mit müden Blick wischte er sich den Schlaf aus den Augen als er seine Beine aus dem Bett schwang und sich langsam hochdrückte. Das Bett war zwar nicht sonderlich Weich, aber wenn man müde ist, ist meistens eine Waagerechte Position besser als eine Senkrechte. Mit langsam Schritten ging er auf seinen Stuhl zu und den Tisch auf dem er seine Rüstung ablegte. Mit den Fingern richtete er sich das Haar sorgsam und legte die Rüstung wie am Vorabend nur in umgekehrter Reihenfolge wieder an.
Die Treppen stieg er an jenem Tag mit schwereren Schritten hinab, die Mitbewohnerin sollte wohl schon wach sein. Am Ende der Treppe angekommen griff er nach Handschuhen und Schild. Mit einer geübten Handbewegung zog er sich seine Maske über und verließ das Haus.

Wie jeden Tag ging er die kurzen Wege über die Seitengassen bis er letztendlich zur Brücke der Gefängnisinsel kam. Den Schild fest umklammernd ging er Schritt für Schritt über das Gemäuer hinweg. Die Wachen waren schon vor einiger Zeit abgezogen worden, oder einfach nichtmehr zurückgekehrt. So standen nurnoch seine Brüder und Schwestern an den Toren die er mit einem Nicken begrüßte. Der übliche Blick zur Brüstung offenbarte die Anwesenheit einer Priesterin. "Meistens bedeutet das Ärger" murmelte er unter der Maske zu sich und stieg die steinernen Treppen empor.

"Sie ist Tot, Serbitar" hörte er von der Roten Kapuze in flüsterndem Ton.
"Sie ist Tot"
"Sie ist Tot"
"Sie ist Tot"

Hallten die Worte immerwieder in seinen Gedanken nach.
Es war als würden die Worte immerwieder und wieder ausgesprochen werden, und wie von selbst wandte er sich um um zu gehen. "Tot" "Tot" "Tot". "Du hast versagt." "Ich habe versagt." Die Beine führten ihn zur Brücke zurück. Doch bevor er noch weitergehen konnte verstummten die Echos in seinem Kopf und eine Hand lag auf seiner Schulter, er blickte zurück und erkannte unter einer roten Kapuze Lisbeths trauriges Gesicht.

"Wieviel ist mein Wort noch Wert, wenn ich das Versprechen des Schutzes nicht halten kann?"