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Normale Version: Briefe in die Vergangenheit
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Manifestation eines Schattens
- Prolog -

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unversiegelt an Tajana Sasz in Guldenach, Silendir
verfasst am Tag des Dienstes, 22. Gilbhart im Jahr 1400




Liebste Schwester,

Ich weiß nicht wie dich dieses Schreiben erreichen soll - ich weiß nicht
einmal genau wo du bist - deswegen ist diese Geschichte in Wahrheit
auch eher für mich, als für dich. Ich versuche die Bilder, die ich mit
meinem inneren Auge aus dem See der Erinnerung fischen kann, so
detailliert in Worte zu fassen, wie es mir mit meinen begrenzten
rhetorischen Fähigkeiten möglich ist - aus dem einfachen Grunde, dass
ich mich an das klammern muss was noch Wirklichkeit ist. Langezeit
wollte ich nichts, außer vergessen; Selbst hier und jetzt, nach all den
Jahren, wünscht sich ein Teil von mir, dass alles was passiert ist einfach
langsam verblasst, sich mit anderen Träumen und Erinnerungen
verbindet, von der Fantasie meines Geistes verwirbelt und verdreht wird
und irgendwann, ohne dass ich es noch präsent wahrnehme, in
schweigende Vergessenheit gerät. Aber vermutlich bin ich an dem Punkt
in meinem reifenden Leben angekommen, an dem man realisiert, dass
auch die Zeit nicht jede Wunde heilen kann, dass man die wahren
Monster nur in den Tiefen der Erinnerung verstecken kann, bis sie sich
aus ihren Verliesen wieder an die Oberfläche des Bewusstseins
hinaufgegraben haben.

Wahrscheinlich habe ich mich davor gedrückt diese Geschichte
niederzuschreiben, dir zu schreiben, weil diese Worte, diese Tinte, dieses
Papier das Ganze zu etwas greifbarem machen - es ist leichter einem
Schatten zu entkommen, als einer Festung. Aber es beginnt sich zu
verselbstständigen und ist immer weniger unter Kontrolle zu halten, doch
genau das wäre nötig. Irgendetwas um sich daran festzuhalten für die
Momente in denen ich meinem eigenen Verstand nicht mehr trauen kann.
Also, genug drumherum geredet.
Aber bevor ich anfange, muss ich dir sagen wie sehr ich deine Stimme und
deine Nähe sehnsüchtig vermisse und hoffe dass es dir gut geht, du
gesund und glücklich bist - wo auch immer du dich gerade herumtreibst.
Ich hoffe sehr, dass du ab und zu noch an mich denkst. Und ich weiß es
ist nicht gerade der nobelste Wunsch - nein, er ist sogar egoistisch, aber
ich hoffe du vermisst mich auch ein bisschen.
Ich vermisse dich jedenfalls sehr.

Aber zu mir: Ich sitze auf einem alten Apfelweinfass, vermutlich aus
Candria, in einer schäbigen Taverne etwa einen halben Tagesmarsch vor
Löwenstein. Ich hoffe du vergibst mir dafür den Namen des Ortes nicht
zu nennen. Wusstest du, dass sich hier - im glorreichen Königslehen - ein
unproportional großer Haufen an Nichtsnutzen, Tagelöhnern und
Scharlatanen herumtreibt, die sich mit Händen, Füßen und Alkohol
dagegen wehren ihr jämmerliches freies Dasein in den Griff zu bekommen
oder sich zumindest in die Leibeigenschaft zu verschreiben?
Wie auch immer. Ich habe mir hier ein Zimmer genommen, weil es günstig
war und keine Fragen gestellt wurden, und weil die Bretter vor dem
Fenster und das Vorhängeschloss der Tür stabil aussehen. Es ist ein
wenig wie der Schuppen in dem wir uns damals bei Großmutter versteckt
hatten. Ich muss für dich klingen wie ein Verrückter, aber ich denke du
wirst mich verstehen, wenn ich dir erzähle wie alles begonnen hat.
Am Anfang beginnen; Das scheint normal zu sein, richtig? Manchmal
denke ich es ist schwer zu definieren wo eine Geschichte endet und eine
andere beginnt. Wo fängt meine Geschichte an? Soweit zurück wie meine
Erinnerung reicht? Mit meiner Geburt? Bereits als ich gezeugt wurde?
Fängt nicht jede Geschichte letztendlich mit der Schöpfung der Welt an,
wenn man die Kausalität rückwärts verfolgt? Herje, ich schweife
schonwieder ab und das Pergament ist fast voll mit der Einleitung.
Ich hatte einfach zu wenig Schlaf in letzter Zeit. Vielleicht sollte ich die
Pergamente einzeln absenden damit du schon etwas lesen kannst
während ich den nächsten Absatz zu Papier bringe und hoffe du
erwartest eine Fortsetzung meiner Erzählung mit Sehnsucht.



In tiefster Verbundenheit,
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