Arx Obscura

Normale Version: Tagebuch eines Jehann
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Ein loser Stapel Hadernpapier findet sich auf dem Schreibtisch im Haus von Ernst und Magdalena. Nur die erste Seite davon ist beschrieben, versehen mit einigen Tintenklecksen, die wohl von längerem Nachdenken zeugen.



Wie beginnt man nach annähernd vier Dekaden eines erfüllten und ereignisreichen Lebens ein Tagebuch?


Ein Datum wäre wohl nicht verkehrt.

1. Gilbhart, 1400 n.M.

Auch möchte ich eine Anmerkung voran stellen: Solltet Ihr dieses Buch in Händen halten und Euer Nachname nicht Jehann lauten, oder ich Euch die Erlaubnis gegeben haben, es zu lesen, lasst es bleiben. Ihr verschwendet Eure Zeit. Nichts werdet Ihr auf diesen Blättern finden, das meinem Hause schaden könnte, kein Wissen, dass Ihr für Euren Vorteil benutzen könntet. Also lasst Eure dreckigen Finger von meinen Sachen!

Nachdem das nun klargestellt wäre, kann der erste Eintrag folgen. Ich möchte mich hier nicht über Dinge auslassen, die Jahre zurückliegen. Erstens, weil ich kein nachtragender Mensch bin. Zweitens, weil meine Erinnerung an die meisten erwähnenswerten Ereignisse dieser Zeit schon allmählich zu verblassen beginnen. Nicht, weil mein Gedächtnis vom Alter schwach wäre, im Gegenteil. Ich bin voll und ganz der Herr meines Geistes, und darum bleiben mir auch nur jene Dinge bildhaft im Kopf, an die ich mich auch erinnern möchte, die es wert sind, dass ich meine Gedanken dafür aufwende. Dinge, Ereignisse, Personen ... mein erstes Schwert. Das erste Mal, dass ich einen Menschen tötete. Der alte Ulbrecht, zum Beispiel, oder Berta. Solcherart sind die Dinge, die mich auch nach Jahrzehnten noch im Gedächtnis bleiben, aber es lehnt nicht, die Vergangenheit aufzurollen. Es soll genügen zu sagen, dass wir vor drei Jahren aus den Hohenmarschen nach Löwenstein kamen, um uns hier ein besseres Leben zu suchen. Doch erst in den Wirren der letzten Monaten gelang es uns, hier richtig Fuß zu fassen, auch wenn ich mich weiterhin nicht als Städter fühle. Daran werden alle Erfolge nichts ändern können – dafür hat Löwenstein ein zu schlechtes Bild hinterlassen. Es gibt hier Menschen, deren Dummheit mich dazu veranlasst, ihnen an die Gurgel gehen zu wollen, sobald sie auch nur den Mund aufmachen um zu sprechen, doch des lieben Frieden willens reiße ich mich zusammen. Es gibt Menschen hier, die ihre Nase so hoch tragen, dass sie mit der Spitze schon die Wolken berühren, ohne, dass sie irgendetwas dafür geleistet hätten, sodass ich sie am Liebsten an ihrer eigenen Arroganz aufhängen würde. Aber des lieben Frieden willens reiße ich mich zusammen. Zumindest solange, wie es unserem Ansehen schaden könnte.

Zugegebenermaßen ist es nicht ganz unzufriedenstellend, diese Idioten einfach öffentlich bloß zu stellen, aber es ist kein Vergleich zu einer ordentlichen Backpfeife – etwas, das deren Eltern in ihrer Kindheit wohl versäumt haben. Und, gleichermaßen zugegeben, wäre es falsch, dieserlei Volk überhaupt meine Aufmerksamkeit zu schenken, wenn es denn nicht notwendig ist. Carl ist natürlich in seinem Element. Auch wenn ich mich notgedrungen in die Politik begeben habe, werde ich nie über dieselben Feinheiten im Umgang mit diesem Feld erlernen, die ihm schon immer mitgegeben waren. Ich beneide ihn nicht. Relativ gesehen hat er wohl viel Macht, aber kaum Gelegenheit sie auszukosten. Ich bin mir sicher, dass es ihm nicht an Plänen mangelt, doch er muss sich derart oft mit Narren und Toren herumschlagen, dass ihm kaum Zeit für Anderes bleibt. Doch ist dies eben ein Preis seiner Position.

Es wäre allerdings auch Unrecht, der Stadt eine Natur abzuerkennen, die allen Dingen innewohnt. Die Natur der zwei Seiten. Es wäre wahrhaft übertrieben zu sagen, dass für jeden Idioten auch ein vernunftbegabter Mensch hier lebt, doch bin ich froh und glücklich das ein oder andere Exemplar gefunden zu haben. Meine Magda ... ich muss zugeben, ich habe mit ihr einen Fehler gemacht. Ich habe sie falsch eingeschätzt. Als ich sie das erste Mal sah, war mir wohl klar, dass sie eine tüchtige, fleißige Angestellte sein würde – Carl hat ja bekanntlich ein Händchen für so etwas - aber ich hätte nie geahnt, dass ich mich in sie verlieben würde. Die ersten Wochen habe ich sie kaum beachtet. Dann haben wir es miteinander getrieben. Dann war ich ihr Ausbilder. Dann haben wir uns verliebt – und nun bin ich mit ihr verlobt und werde sie in wenigen Wochen geehelicht haben. Und schließlich wird sie mir ein Kind gebären. Bei Mithras, fast fehlen mir die Worte um meine Gefühle zu ihr zu beschreiben. Ich würde es ihr nicht sagen, und sie würde es wohl auch nicht denken, aber nie fühle ich mich so wohl und geborgen, als wenn sie ihren baren Busen des Nachts an meine Brust schmiegt. Sie bringt mir ihre bedingungslose Liebe entgegen, ihre Opferbereitschaft rührt mich in meinem Innersten – und ich weiß, dass ich es ihr nicht zeigen muss. Uns verbindet ein Verständnis, das keinerlei Worte oder Gesten bedarf, und ich bin froh, sie gefunden zu haben. Ich bin froh, sie bald zur Frau zu haben, und ich bin froh, in Zukunft ein Kind mit ihr groß zu ziehen.

Doch nun habe ich mich genug ausgelassen und das soll es für den ersten Eintrag gewesen sein. Woran kein Zweifel besteht ist, dass diese Stadt genügend bietet, dass ein Nächster bald folgen kann.