Arx Obscura

Normale Version: Gedanken einer Großmutter
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Nutzlose alte Frau!

Wann...

Wann genau in all den Jahren war sie zur alten Frau geworden?

Und wann so nutzlos?

So sehr wie nie zuvor in ihrem langen Leben wünschte sie sich, das Leben anderer Menschen besser zu verstehen. Nicht wie ihr eigenes Leben, das ein Kreis war, in dessen Mitte sie selbst stand und sich unentwegt drehte.
Sie hatte es aufgegeben, ihren Platz in der Gesellschaft zu suchen. Hatte es lange zuvor schon aufgeben, ihren Ehemann, den sie stets respektivert hatte, lieben zu wollen. Und auch die Beziehung zu ihrem Sohn lief irgendwie nie so wie sie es sich gewünscht hatte. Sie dachte immer, sie hätte mehr Zeit, um es dieses Mal richtig zu machen. Jetzt rannte ihr die Zeit davon und sie konnte es wieder nicht richtig machen...

Wenn ihr Herz einen Moment lang das Denken übernehmen könnte, das würde ihrem Kopf endlich einmal Ruhe gönnen. So könnte die alte Frau endlich ihre Gefühle ordnen, diese zerbrechlichen Gefühle der zerbrechlichen Frau...

Leonie, ihre Enkelin, war längst fort. Und Walburga Eulenruh war die letzte Person auf der gesamten Welt, die ihr einen Vorwurf machen könnte. Immerhin wählte sie selbst einst ihr Leben in Einsamkeit und ließ ihr Kind und ihren Mann zurück, um.. ja, um was eigentlich zu suchen? Einen Weg, wie sie die Bilder verschwimmen, die Stimmen verstummen lassen könnte... und wohin war Leonie gegangen, um was zu tun? Wieder einmal war Walburga dem Irrglauben verfallen, sie hätte mehr Zeit, mehr gemeinsame Zeit. Sie hatte geglaubt, sie hätte Zeit bis ans Ende ihres Lebens. Zeit, um für ihre Enkelin da zu sein, wie sie für ihren Sohn nie sein konnte. Aber wieder einmal hatte sie versagt. Was machte sie eigentlich noch hier? Nicht in Löwenstein, allgemein auf dieser Welt? Sie hatte keinen Nutzen... und sie vermisste Leonie. Sie hatte einfach zu wenig Zeit gehabt, sie richtig kennenzulernen... und nun hatte sie viel Zeit, um darüber nachzudenken...

Walburga Eulenruh hasste Löwenstein. Das würde sie ihm bald zeigen.

Und Leonie? Sie war ein abgebrochener Ast im Familienbaum...