Arx Obscura

Normale Version: Am Heimweg
Du siehst gerade eine vereinfachte Darstellung unserer Inhalte. Normale Ansicht mit richtiger Formatierung.
Am Heimweg



Wie vermochten wir das Meer auszutrinken?
Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? [...]
Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts?
Haucht uns nicht der leere Raum an?
F.Nietzsche


Obwohl sie schon längst aufgehört hatte zu warten, saß Cleo noch zwischen zwei Zinnen auf der Brüstung der Brücke und starrte abwechselnd in die schwarze, ewige Weite über sich und in die bodenlose Leere unter sich. Es war längst dunkel geworden und mit der Nacht war auch die Kälte gekommen, die zu dieser Jahreszeit als Vorbote eines nahenden Herbstes lange nach Sonnenaufgang den Morgen blass und neblig anbrechen ließ. Aber noch war es Nacht. Seit Stunden konnte sie sich nicht dazu entschließen nach Hause zu gehen und es mussten auch mehrere Stunden vergangen sein, seit jemand die Brücke passiert hatte.

Immer wenn sie die Augen schloß, fühlte sie sich stürzen und erwachte wenige Augenblicke später aus einem dumpfen Schlaf in eine beharrlich schweigende Nacht. Sie fragte sich wer sie finden würde und ob ihr Körper vom Wasser aufgedunsen wäre. Ob sie ans Ufer gespült werden würde, oder aufs Meer hinaus trieb. Ob jemand kommen würde, um sie zu besuchen und wenn ja, welche Blumen er mitbringen würde. Sie gab sich keinen Illusionen über ihre Person hin und wusste, dass sich die Trauer in Grenzen halten würde und Lew ihre Leiche gegen ihren Wunsches verbrennen würde.

Sie fühlte die unsichtbaren Hände, die sie über die Kante schieben wollten und wenig inneren Widerstand, gegen den sie ankämpfen musste, um das zu verhindern. Der Fluss war an dieser Stelle nicht tief und umspülte die Felsen, die knapp unter der Wasseroberfläche in das Flussbett eingelassen waren. Sie drehte sich auch nicht um, als sie die Schritte hörte, die sich langsam näherten und den vertrauten, heißen Atem in ihrem Nacken fühlte. Er legte die Finger um ihre Hand, die sich Halt suchend um die Zinne gelegt hatte und löste sie mit zärtlicher Bestimmtheit. "Du brauchst dich nicht zu fürchten." Nein, sie fürchtete sich nicht, sie war nur traurig.

Als es dann endlich doch Morgen wurde und die Sonne sich allmählich über den fernen Horizont wölbte, war sie schon gestürzt.

Der Stuhl.


Neben dem Krankenbett befindet sich ein Stuhl, der wie auch jeder andere Stuhl über vier Beine, eine Lehne und eine Sitzfläche verfügt. Auf der Sitzfläche wurde ein Laken ausgebreitet; es besitzt keinerlei Verzierungen. Auf dem Laken steht ein Teller aus Holz, abgegriffen und mit diversen Flecken, die sich über die Jahre in das Material gefressen haben. Auf dem Teller liegt eine große Kerze, die grob in die Form eines Herzens geschnitten wurde. Auf der Kerze findet sich kein Docht - er wurde entfernt.