Arx Obscura

Normale Version: Hanna
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Hanna
1399-1400

Er entstieg dem Grab und lief in seinem mottenzerfressenen Leichengewand zur Kapelle hinüber. Es dauerte nicht lange, da verließ er sie wieder. Er trug ein Kind auf seinen Armen und ein Lächeln auf seinen Lippen und kehrte in seine Ruhestätte zurück.

Sie träumte diesen Traum seit zwei Nächten und zwei Nächte waren auch vergangen seit Lew verreist war und sie mit den Toten allein gelassen hatte. Ihr schauderte bei dem Gedanken, dass jemand an die Tür klopfen könnte, um einen Todesfall zu melden und als sie dann am Morgen des dritten Tagen tatsächlich von einem lauten Poltern aus dem Schlaf gerissen wurde, wusste sie, lange bevor sie die Tür erreichte, was passiert war.

Das einjährige Kind des jüngst verstorbenen Falkners war nach einer Woche des Schreiens und der Tränen der Schwindsucht zum Opfer gefallen und nun stand die Witwe vor dem Haus und hielt ihr die kleine Leiche in ein paar Tücher gewickelt entgegen. Cleo wusste nichts zu sagen, denn es gab ja nichts zu sagen und so nahm sie nur das Bündel und ihre Wünsche für die Beerdigung entgegen. Nein, das Kind sollte nicht verbrannt, sondern zum ewigen Schlaf in die Arme des Vaters gebettet werden, damit sie - und das waren die Worte der Witwe - wenigstens im Tod zusammen sein könnten.

Selbst wenn Cleo nicht über alle Maßen abergläubisch gewesen wäre - und das war sie - hätte sie sich des Eindruckes nicht erwehren können, dass der Mann aus ihren Träumen der Falkner war und das Kind, das er geholte hatte, hielt sie nun in Händen. Eine höchst abscheulicher Gedanke und zudem in so mancherlei Hinsicht beunruhigend. Beunruhigend, weil ihr nicht klar war in welchem Bedingungsverhältnis ihr Traum zum Tod des Kindes stand. Wäre es auch gestorben, wenn sie nicht geträumt hätte?


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