Von Leuchtfeuern und Seemannsgarn
#11
Episode 11 - Grau und Königsblau

Im Gilbhart 1403
Löwenstein (Servano)




Der wachsende Konflikt zwischen Krone und Herzogsring hatte den Seemann nun auch eingeholt.
Seit er vor drei Monaten den Wolfsbrief um besagte Monatszahl verlängert hatte, war es mal für mal schwieriger für ihn geworden, sich nicht in die Scheiße zu reiten.
Wie gewohnt war er seinem Dienst auf dem Leuchtturm nachgekommen, hatte die Nächte am Hafen durchwacht und die Häuser der Stadt auf der Suche nach offenem Feuer überblickt. Jüngst wurde er auch noch für zusätzliche Arbeiten gedungen, Geld stank schließlich nicht. Und bei alledem trug er, wie gewohnt, das Grau der Wölfe, was nie irgendjemanden gestört hatte. Denn er war ja ehemaliger Hauptmann, der amtierende Leuchtturmwärter und Bürger der Stadt Löwenstein - und hatte es so gut es ging vermieden, sich aktiv an dem Konflikt zu beteiligen. Die Masche mit der Wache auf dem Leuchtturm, die er immer dann vorgeschoben hatte, wenn ein heikler Auftrag bei den Grauwölfen anstand, der seine Stellung im Kampf zwischen Königsgarde und Herzogsring gegen seinen Willen festgelegt hätte, zog nicht mehr.
Vor einigen Tagen hatte Schultheiß Misitia ihn bei der Lohnauszahlung gewarnt, dass er seit dem jüngsten Überfall der Wölfe - den er selbst auf dem Leuchtturm zugebracht hatte - das Wolfsgrau lieber ablegen sollte, wenn er in der Stadt weilte.
Lysander hatte der Warnung nicht den notwendigen Ernst beigemessen, denn er hatte noch lebhaft in Erinnerung, wie die Edle Eirene ihn noch vor wenigen Wochen (oder waren es Monde..?) im Wolfsgrau anstandslos empfangen hatte. Die Tragweite des letzten Überfalls, der einige Brände in den Vierteln hervorgerufen hatte, war allerdings wohl größer, als der Galatier sich eingestehen wollte. So kam es, dass er gebeten wurde, sich im Hauptquartier der Stadtwache, da er noch allzu gut kannte, mit dem amtierenden Hauptmann und dem edlen Vogt zu treffen.
Beide nahmen ihn ins Gebet: Wie stehe er zu den Wölfen? Er sei ein akives Mitglied, wie man hörte. Die Daumenschrauben wollte man ihm im metaphorischen Sinne anlegen, das Grau war in Löwenstein nicht mehr gesellschaftstauglich, so viel stand fest. Die Befragung ging eine Weile und der Galatier gab sich alle Mühe, nur so viel preiszugeben, wie unbedingt sein musste. Nicht, dass er etwas zu verbergen hätte: Tatsächlich war er ja nicht gerade der umtriebigste Söldner und hatte sich gedrückt, wo es nur ging. Das könnte ihm jetzt den kopf retten, denn man drohte ihm mit dem Galgen! Und eher würde das Meer zufrieren, als dass er sich im Namen eines Konflikts opferte, der nicht der Seine, geschweige denn einer seines Volkes war! Indes hatte er den Wölfen einmal einen Eid geschworen, der mit dem in diese Monat auslaufenden Wolfsbrief zwar sein Ende fand, ihn aber daran hinderte, zu viel über jene preiszugeben, die ihm seinerzeit eine neue Heimat geboten hatten, als er am Boden lag. Er wollte nicht, dass Einar, Marquard und die anderen unnötig in Gefahr gerieten oder im schlimmsten Fall durch das, was er verriet, um seinen eigenen Hals zu retten, den Tod fanden. Also antwortete er auf die Fragen so unverfänglich, wie möglich und so nah an der Wahrheit, wie nötig.

Ob es nun eine Farce oder blutiger Ernst war, am Ende schenkten sie ihm Glauben und Lysander hatte für einen Moment geglaubt, dass es damit erledigt wäre.
Doch da hatte er sich geirrt.
Die Edle verlantge von ihm, das Grau abzulegen, auf dass er es nie mehr in ihrer Gegenwart oder überhaupt in Löwenstein trage. - Das schien ihm von ihrer Warte betrachtet einleuchtend, also zog er den Überwurf im Wolfsgrau aus und steckte das Wolfsabzeichen in die Tasche.
Ferner galt es als unabdingbar, dass der galatische Bürger Löwensteins seine Loyalität zur Vogtei beweisen müsse, und das könne, so Vogt und Hauptmann einstimmig, allein durch den Dienst in der Stadtwache geschehen. - Lysander riss es an dieser Stelle förmlich. Aus der Stadtwache hatte man ihn hinausgeworfen, weil er zu korrupt gewesen wäre, jetzt wollte man ihn wieder in der Truppe sehen? Und, das war ja klar, natürlich nicht als Hauptmann, also würde er als ein verdammter Wachmann herumlungen dürfen. Prächtige Aussichten... aber wenn er die Wahl hatte zischen Galgen oder Wache, würde er die Wache wählen.

Der amtierende Hauptmann Axis, ein ehemaliger Grauwolf, der die Seiten gewechselt hatte, nahm ihn nicht als gemeinen Wachmann in die Truppe auf, sondern als neuen Wachtmeister. Immerhin etwas. Ob damit auch Sold und Würden eines Leutnants einhergingen, würde er bei einer passenderen Gelegenheit abklären. Mit einem Wachmanns-Sold würde er sich zumindest nicht abspeisen lassen, wenn er diese bittere Pille schon schlucken musste.

Als Lysander an jenem Abend wieder in der Geborgenheit seines Leuchturms war, hoch oben über den Dächern der Stadt, drehte er das Wolfsabzeichen der Grauwölfe in der Hand. Er hatte überlegt, ob es nicht das Beste wäre, es einfach ins Meer zu werfen und mit der Sache abzuschließen, der Wolfsbrief lief doch immerhin auch aus... und er wollte ja nicht hängen.

Der Morgen brach Stunden später an und läutete das Ende von seiner Wache ein. In der Koje angelangt, die neue (alte, denn er hatte sie aufbewahrt) Uniform im Königsblau hing über dem nahen Stuhl, schob er das Wolfsabzeichen unter sein Kissen. Er würde es aufbewahren.
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#12
Episode 12 - Opfergaben

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#13
Episode 13 - Die Vollkommenheit der See

Im Hartung1404
Löwenstein und die Küsten von Servano




Seit einigen Tagen war der Galatier bereits jeden tag aufs Neue früh Morgens, sobald das Tageslicht anbrach, vom Leuchtturm hinabgestiegen und hinaus aufs Land gereist. Die Strände und engen Schlaufen der Flüsse waren seine Ziele.
Er suchte Steine.
Nicht irgendwelche Steine.
Ganz besondere Steine.
Und letztlich - nur einen, den einen Stein.

Um die geistige Gesundheit des Leuchtturmwärters war es gut bestellt, keine Frage. Der Mineralogie hing er auch nicht nach, wie es viele Studenten und Meister der Hermetik taten. Vielmehr war er auf Geheiß des Rabenkreises unterwegs, der für die Anwartschaft entsprechende Vorgaben gemacht hatte, so musste Lysander unter anderem diese Suche nach einem ganz bestimmten Stein bewerkstelligen. Die Druiden, zu deren Kreis er einmal gehören wollte, machten sich sicherlich nichts aus dem Objekt an sich. Es war, darüber war er sich im Klaren, mehr eine geistige, spirituelle Übung.
"Finde einen Stein, der die See in ihrer Vollkommenheit darstellt."
Was also sollte es werden? Er hatte im Laufe der Tage so manchen Stein aufgelesen und schnell wieder verworfen. Von der See rund geschliffene, faustgroße Steine, manch unförmiger Brocken - ja, sogar ein Stück Bernstein war darunter, was ihn doch sehr überraschte, so weit im Süden.
Aber nein, das als Wink der Götter zu deuten, lag ihm fern. Bernstein mochte für sich zwar schön anzusehen und von gutem Wert sein, wenn er von schöner Struktur und Qualität war. Doch die See vermochte er in seinen Augen keinesfalls zu repräsentieren, vielmehr war er ein Kind ihrer selbst.
Am dritten Tage fand er letztlich das, wonach er suchte. Es war auf den ersten Blick unscheinbar, ein Brocken Flint, wie man ihn zum Schlagen von Feuer nutzte. Hätte er ihn nicht zuerst übersehen und wäre deswegen nicht über ihn gestolpert, wie er es an jenem tage tat - er wäre einfach an ihm vorbei gelaufen. Doch da, als er beinahe fiel, riss er den Brocken aus dem ihn umgebenden Sand und legte die Besonderheit seiner selbst frei: Er hatte einen verdammten Hühnergott gefunden!
So nannte man Stücke von Flint, die der See entwichen eines oder mehrere Löcher aufwiesen und denen man magische Kräfte apotropäischer Natur nachsagte.
Sein Ohm hatte immer solch einen Stein mit sich getragen, wenn wer zur See gefahren war. Wie eigentlich fast alle seine Ahnen und Verwandten, gute Seeleute, wie sie alle waren und sind.
Dieser Hühnergott-Flint spiegelte die See in ihrem ureigensten Charakter wider: Es vermochte zu zerstören (indem er unkontrolliertes Feuer entfachte), er vermochte Leben zu schenken oder zumindest zu bewahren (die Wärme des kontrollierten Feuers) und in der unberechenbarsten Form auftreten (mal ein Loch, mal zwei oder mehr in den wildesten Formen). Er war wie die See ein Segen, ein Fluch und vor allen Dingen unberechenbar.

[Bild: 320px-H%C3%BChnergott%2C_150615%2C_ako.jpg]
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#14
Episode 14 - Spiegel deiner selbst

Im Frühjahr1404
Flüsterwald, Servano und Drechslerspitze, Candaria




Die freien Männer hatten sich als derbe, kampfeslustige und sowohl Nodons wie Gwynn würdige Krieger erwiesen. Im noch jungen Jahr 1404 hatte die Stadtwache eine Strafexpedition in den Flüsterwald durchgeführt, um die marodierenden Strauchdiebe, die sich freie Männer nannten, auszuräuchern. Unter dem Kommando des Edlen Ser Savaen hatte sich jedoch nach viel Schweiß und noch mehr vergossenem Blut im Verlauf der Mission gezeigt, dass es keineswegs Strauchdiebe waren, mit denen sie zu tun gehabt hatten. Vielmehr waren es ehemalige Soldaten unter dem Befehl eines Nordgarder Ritters, der kein Ritter mehr sein wollte. Lysander verstand die Amhraner nach all den Jahren immer noch bisweilen nicht - das war einer dieser Fälle. Man konnte doch nicht von heute auf morgen entscheiden, dass ein vor den Göttern gegebener Eid nicht mehr gültig sei? Wie dem auch sei... der Kampf war hart und der servanoer Verband an dessen Ende beinahe aufgerieben. Dank des Verhandlungsgeschicks Ser Savaens kamen sie heil aus der Sache heraus - und Lysander um den Kopf eines der Offiziere des Nortgarders reicher.

Zwei Tage später hatte der Stadtknecht einen dienstfreien Tag dazu genutzt, um den Kopf nach Candaria zu bringen. Genauer gesagt auf die Drechslerspitze, mit eine der höchsten Erhebungen in diesem Fürstentum der Bauern und Holzfäller.
"Steige auf die Drechslerspitze hinauf und finde heraus, welchen Takt dieser Ort deinem Herzen gibt."
Diesen Auftrag der Raben gedachte er, beflissentlich zu erfüllen. Auf welche Weise, war freilich ihm überlassen.
Also hatte er sich ein Lagerfeuerchen in windgeschützter Position angelegt, den Kopf des Offiziers vor sich auf einer Decke aufgestellt und sich in seine roten Opferkleider geworfen.
Die ersten Stunden des Tages - denn er war in den frühesten Morgenstunden angereist - verbrachte der Galatier damit, zyklisch um das Feuer zu gehen, Schnaps zu trinken und dem Toten anzubieten, Met und Tabak im Lagerfeuer zu verbrennen. So ging es Stunde um Stunde, bis er endlich den Zustand milder Betrunkenheit und seliger Selbstzufriedenheit erreicht hatte, für den ein Alkoholiker Stunden, ein Gesunder vielleicht eine Viertelstunde gebraucht hätte.
Er ließ sich mit untergeschlagenen Beinen vor dem Kopf des Toten nieder, zündete sich eine Pfeife an und  blies den Rauch über den Kopf hinweg.
Drei Stöße Rauch zur Linken.

Drei  mitten ins Gesicht.
Drei zur Rechten.
Sodann, immer noch kniend, blickte er über die linke Schulter, dann die rechte und zuletzt erneut die linke.

Hvað er þetta líf? Goðin vita allt
Það er skammvinnur kvöl, Þar til dauðinn kemur


Nach diesen langsam und klar gesprochenen Worten nahm Lysander einen tefen Schluck vom Met, den er bis dahin nur für das Feuer vorgesehen hatte. Ohne auch nur einen Finger zu rühren, blieb er regungslos für die nächste Stunde so sitzen und blickte - nein, starrte - dem Kopf in seine toten, leeren Augen. Dann wiederholte er den Ritus mit dem Rauch und den Schulterblicken.

Hvað kemur þegar lífið laumar í burtu?
Þráðurinn ákveður mannleg örlög

Zu diesen Worten zerbrach er seine Tabakspfeife auf eine Art, die darauf abzielte, dass er sich dabei in die Hand schnitt. Den vom Blut getränkten Ton warf er so dann ins Feuer, während er diese Worte sieben Mal wiederholte. Beim siebenten Mal beugte er sich über das Feuer, sog den Rauch tief ein und blies ihn dem Toten in sorgsamen, kleinen Mengen in den offen stehenden Mund hinein. So harrte er nun aus, eine weitere Stunde des Mettrinkens und stillen Meditierens mit dem abgeschlagenen Kopf als einzigen fleischlichen Gefährten.

Göngufólk í myrkri næturinnar, föst í heiminum, sérðu þessa fórnarlamb, blíður og veikburða.
Ég kalla á hinum fornu guðum!

Als er schließlich zur Anrufung kam, hob er die Arme in Adorantenhaltung, die mit dem geronnenen Blut bedeckten Handinnenflächen nach oben gedreht, und legte den Kopf in den Nacken.

Ég kalla á hinum fornu guðum!
Hver er ég?

Ég kalla á hinum fornu guðum!
Hver er ég?


Diese letzte Frage wiederholte er, jedes Mal leiser, bis es nur noch ein Flüstern und irgendwann bloße Stille war.
Schließlich waren es nur noch er, das herabbrennende Feuer und der Kopf des toten Nortgarders, die über diese Fragen aller Fragen sinnierten.
Die Antwort war denkbar einfach: Ein Gefäß.

In diesem Wissen fand er Ruhe und Zufriedenheit, so dass er letztlich den Kopf des Toten in das Tuch, auf dem er gebettet lag, einwickelte und in der Grube des heruntergebrannten Feuers deponierte. Darüber errichtete er einen kleinen Scheiterhaufen und ließ ihn die Nacht über brennen, ohne dass er auch nur ein einziges Mal ausging. Lysander gestattete dem Feuer erst beim ersten Sonnenlicht des nächsten Tages, herunterzubrennen.
Dann wischte er die Asche und das zu Holzkohle vebannte Brennmaterial . ausnahmslos nach rechts - fort. Die verkohlten Reste des Schädels sammelte er dabei sorgfältig ein.
Sie fanden, zu feinem Staub zermahlen, ihren Weg in einen Amulettbeutel, den Lysander künftig zu den übrigen Amuletten tragen solte.
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#15
Episode 15 - Auf See I
 
Im Heuert/Ernting1404
Sund zwischen Candaria/Servano und den Wildlanden

 
 
Das Salz in der Luft, das sich im Seegang wiegende Schiff unter den Füßen, allethalben Knarzen von Holz und Windpfeifen - wahrlich, der Galatier befand sich nach mehr als sieben Jahren endlich wieder auf See.
Wäre es aus Lust an der Freude, zum eigenen Vergnügen gewesen, er hätte frohlockt. Doch er hatte einen Auftrag zu erfüllen, was ihn noch mit weit mehr Frohsinn erfüllte. Der Edle Ser Savaen war auf ihn zugekommen und hatte ihn mit einer Erkundungsmission beauftragt, die er als einziger Seemann in der königlichen Stadtwache zu erfüllen befähigt war. Seit einiger Zeit hatten sich Übergriffe und sonderbare Vorfälle, einschließlich erschreckender Berichte von Fischern entlang der amhranischen Gestade derart gehäuft, dass an weitreichenderen Informationen dringender Bedarf bestand.
Lysanders Auftrag: Erkundung der Verhältnisse entlang der Gestade Servanos, Candarias und der Wildlande; Dokumentation und Kartierung etwaiger Truppenanlandungen und -bewegungen.
In dem Wissen um die Gefahr einer dräuenden oder bereits begonnenen Invasion von fremdlänischen, womöglich indharimischen, Truppenverbänden hatte er also dann noch am selben Abend der Auftragserteilung damit begonnen, einige alte Kameraden aus seiner Zeit vor der Wache aus den Hafenspelunken zusammenzusammeln. Bisweilen unter der Anwendung guter alter Shanghai-Methoden, das heißt beherzte Überzeugung mit Alkohol oder Prügeln beziehungsweise einer Kombination aus beidem. Zur Ehrenrettung der ehemaligen Kollegen, alllesamt Schmuggler, Fischer, Matrosen und Dockarbeiter, waren die meisten der insgesamt zehn Mann ohne weitere Überzeugungsarbeit dazu bereit,, anzuheuern. Ihnen war das Leben an Land ein Graus und kaum einer hatte, wie auch Lysander, des Krieges wegen eine ordentliche Heuer auf einem Schiff bekommen - und wenn, dann nur von kurzer Dauer.
Als der Morgen graute, hatte Lysander seine Mannschaft beisammen, Vorräte aus dem Arsenal der Stadtwache in ausreichender Menge 'geborgt' (inklusive eines ordentlichen Bestands an Schnaps für die Moral der Truppe) und die Ausrüstung eines jeden Mannes überprüft. Zwar hatte er nicht vor, Feindkontakt zu haben - im Idealflal sollten die Fremdländer sie gar nicht erst bemerken - doch wenn er eines in seiner Zeit als Schmuggler gelernt hatte, dann, dass die See keinen Fehler vergab und man stets auf alles vorbereitet sein sollte.
So kam es denn, dass am Vormittag des 27. Heuert zehn wenig vertrauenswürdig aussehende Galatier und Amhraner, angeführt von einem galatischen Wachtmeister der Stadtwache das schnellste kleine Schiff im Hafen Löwensteins im Namen des Reiches requirierten: Eine Fischerei-Knorr, die ein nortgardstämmiger Fischer, der im Neuen Hafen seinem Gewerbe nachzugehen pflegte, sein Eigen genannt hatte. Kalkweiß und dem Zusammenbruch nahe hatten sie ihn am Kai zurückgelassen, mit der Versicherung, dass der Edle Ser schon für den Verlust aufkommen werde - und wenn nicht, diene er hiermit dem Wohl von Krone und Reich!
Es war keineswegs ein Zufall, dass Lysander diese Knorr ausgewählt hatte. Sie kam den Langschiffen seiner Heimat am nächsten - die Nortgarder hatten sich in dieser Sache viel von den Galatiern abgeschaut, wenn ihnen auch die Perfektion und das Verständnis fehlten - und war sowohl zur Wind-, als auch Ruderfahrt geeignet, also unabhängig von den Wind- und Strömungsverhältnissen. Zudem wies sie nur eine geringe Höhe über der Kimmlinie auf, was durch den abnehmbaren Mast verstärkt wurde. Kurzum: Wollte man sich dem Schmuggel oder der Spionage von See aus hingeben, war die Knorr ideal.

In den nächsten Tagen, aus denen bald mehr als zwei Wochen werden sollten, fuhren sie die Küsten entlang der Meerenge, beginnen im Nord-Westen, ab, stets auf der Suche nach Auffälligkeiten und Truppenbewegungen. Lange Zeit hatten sie nichts Ungewöhnliches zu kartieren oder niederzuschreiben, abgesehen von einigen hell in der Nacht aufflackernden Feuern entlang der Kimm, die aus Richtung Servanos und Candarias herüberdräuten. Dass dort alle übrigen Schiffe, bis auf jenes, das sie trug, von den Invasoren dem Feuer überantwortet wurden, war ihnen zu diesem Zeitpunkt freilich nicht bewusst. Am Tag nach den Feuern hatten sie erste Feindberührungen, denen nicht nur einer der Ihren zum Opfer fiel, sondern die auch so manchen Stoff für Geschichten und Lieder lieferten, über die an anderer Stelle berichtet werden wird. Relevant für die Mission des Wachtmeisters war, dass sie auf Höhe des Ausläufers der Meerenge zwischen Candaria und den Wildlanden – des „candarischen Sunds“, wie Lysander ihn zu nennen pflegte – eine Blockade ausmachten.

Erst, als die Nacht am Tage dieser Entdeckung hereingebrochen war, hatten sie sich näher herangewagt. Der Mast abgebaut und mitsamt Segel an Deck verstaut, die Gesichter mit Ruß geschwärzt, nur eine abgedunkelte Lampe am Heck, so näherten sie sich unter langsamen, leisen Riemenschlägen dem Sund. Befehle mussten dank eingespielter Zusammenarbeit wenn, dann nur im Flüsterton ausgesprochen werden. Schlag um Schlag der Riemen schälten sich die Schiffe des Feindes entlang der nachtesdunklen Kimm, nur beleuchtet vom Licht des Mondes aus der Schwärze der Nacht. Da Lysander es nicht wagte, ein Fernrohr zu nutzen, kamen sie so nah, wie nur irgend möglich heran, ohne dass sie eine Entdeckung hätten fürchten müssen: ein halber Werst trennte schließlich noch das einzige verbliebene Schiff unter amhranischer Flagge und jene, die unter dem Banner der Wüstenkrieger fuhren. Der nasskühle Wind trug leise, schnarrend-kehlige Stimmen zu ihnen herüber, so nah waren sie, als die Späher die Schiffe zählten, derer sie ansichtig wurden. Es waren nicht wenige, gewiss mehr ein Dutzend, verschiedener Mastenzahl. Nur dem blanken Zufall und dem Mondlicht hatten sie es zu verdanken, dass sie das wohl größte Problem an dieser Blockade entdeckten: Eine große Stromkette, die den Sund und damit den südlichen Zugang zum Meer von der candarischen bis zur Wildlande-Küste  versperrte. Diese überraschende Entdeckung führte sie infolgedessen an die Küsten besagter Gestade, um die dortige Verortung und Absicherung der Kette zu sichten und zu kartieren. Wollte man diese Blockade brechen, musste die Kette fallen, denn die deutlich engeren Zugänge zur offenen See, die im Nord-Westen weit in den Widlanden und Norden Amhrans in den verwinkelten Fjorden Nortgards lagen, waren kaum oder überhaupt nicht mit größeren Schiffen befahrbar und dadurch keine kriegsentscheidende Alternative.  
Mit den Berichten und Kartierungen der Kettengründungen, gesichteten Schiffe und Truppenbewegungen machten sich die nunmehr zehn Mann zurück auf den Weg nach Löwenstein, dessen Hafen sie am 21. Ernting erreichten. Die übriggebliebenen Männer hatten zuletzt den Auftrag erhalten, die Knorr sorgfältig in den versandeten, labyrinthartigen Gestaden des alten Hafens zu verstecken und sich für Weiteres bereitzuhalten. Was immer die Indharimer für Amhran bereithielten: Sollte alles vor die Hunde gehen, würde der Galatier mit seinen Leuten lieber auf See türmen, als für die Sache der Amhraner zu sterben. Oder es kam doch ganz anders, wenn es nach den Fädenspinnern des Schicksals ging… in jedem Fall galt die Devise: „Besser mit Schiff, als ohne.“
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#16
Episode 16 - Ein Schwur vor den Göttern
 
Im Ernting1404
Servano und Ravinsthal

 
 
Die Götter wandelten auf verborgenen Pfaden und die Fäden des Schicksals, die sie sponnen, waren nur fahle ABbilder davon.
Einige jener Fäden, die zum Gewebe von dem gehörten, was den Galatier Lysander ausmachte, fanden dieser Tage im Spätsommer ihren Platz, als der Seemann endlich seinen Eid vor den Göttern sprechen konnte. Viele Mondläufe davor hatte er begonnen, einen der amhranischen Druidenzirkel - den Rabenkreis Südamhrans - davon zu überzeugen, ihn, einen Fremdländer, in ihre Reihen aufzunehmen.
Von anfang an war er davon ausgegangen, dass es kein leichtes Unterfangen werden würde. Er war Fremdländer, schon über dreißig und hatte als Galatier womöglich einen teilweise anderen Alltagsbezug zu den "alten Göttern", wie sie auf Amhran auch gerne genannt wurden. Während auf AMhran vielerorts der vergleichsweise junge Gott Mithras das Alltagsleben und das Schicksal des Reiches zu verantworten hatte, verblieben nur wenige Regionen wie Ravinsthal, in denen die 21 Götter noch den Stellenwert besaßen, wie sie sie in Lysanders Heimat seit jeher ungebrochen hatten.
Nach so manchen Gesprächen mit Mitgliedern des Zirkels, Opferungen und rituellen Prüfungen hatte man ihm die ANwartschaft auf den Zirkel zuerkannt. Die Götter beliebten, sich auf seine Kosten zu unterhalten, schickten sie ihm doch ausgerechnet eine jurische Druidin, um ihm den Kodex des Zirkels näherzubringen. Aber Lysander diente den Göttern schon lange genug, um zu wissen, dass seine persönlichen Animositäten an dieser Stelle hintan stehen mussten. Mithraisten würden darin eine "Prüfung" sehen - er sah darin nur den Beweis dessen, was alle Galatier wussten. Die Götter existierten, ob nun im Gaukler, dem einsamen Wanderer oder eben einem veraledeiten Juren - sie leben in den Geschichten, Legenden und Erfahrungen. Ob nun im Guten oder Schlechten. So hatte er die Jurin und ihre Lehre ertragen, ohne mit der Wimper zu zucken und hatte sich auf den alles bedeutenden Schwur vorbereitet.
Jenen Schwur nahm ihm viele Tage später seine künftige Meisterin ab, eine Amhranerin, die er bereits kannte und schätzte: Gwen.
Sie verlangte von ihm, wie es Brauch war, den Göttern, den Aufgaben als Druide und dem Kodex des Zirkels Treue zu schwören und dies mit Blut zu besiegeln.


Hiermit schwöre ick, Lysander Ó Domhnaill, Sohn 'et Caradóc ous Svesur,
Abkömmlinge det Domnall, det Ersten unseret Blutes,
Under 'en Oug'n 'er Jötter un'ihrer ehrenwert'n Stimme 'em Zirkel im Zeich'n det Rab'n,
sein'n Oufjaben un'Ziel'n, wie et 'er Kodex bestimmt un'darlegt
Unbedingte Treue


Diese Worte schloss er mit kurzen Rauchstössen aus der Tabakspfeife, drei über jede Schulter, einen langen über die Klinge des Messers in seiner Rechten.

Wou'e Worte ein Ende ha'n, verhall'n un'verjess'n wer'n könn'n.. da bleibt'ein Schwur, jebun'n durch
Blut un'Entschloss'nheit.

Mein Blut bezeucht 'en Schwur.
Mein Blut bezahlt, wenn ick ihn breche.



Daraufhin schnitt er sich in den linken Unterarm und ließ das Blut aufs sie umgebende Gras hinabrinnen. Einen Teil davon fing er mit der Tabakspfeife auf und zerschlug sie am nahen Steinaltar, um die blutigen Scherben gleichsam eines Opfers der Entschlossenheit liegen zu lassen. Das Messer fand seinen Platz neben dem Blutnest im Gras, woraifhin der Galatier sich dahinter niederließ, zum Zeichen, dass diese rituelle Handlung zum Ende gekommen sei.
Das Einbinden des Rauchs, der in der Ritualistik seiner Heimat von besonderer Bedeutung ist, war ihm bei dem Schwur ein zentrales Anliegen, denn auch künftig gedachte er, die galatische Note miteinfließen zu lassen. Die Chance dazu sollte er auch bekommen, denn Gwen nahm ihn als ihren Schüler im Rabenkreis an.
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